Omar, der Geschichtenhändler von Dave Duncan
Omar Bände 1 und 2
Rezension von Christian Endres
Omar zieht durch die Lande und handelt – im wahrsten und jedem Sinne des Wortes – mit Geschichten. Dabei scheint er von den Göttern gesegnet zu sein und ferner auch stets geleitet zu werden: immer ist er zur Stelle, um große, wichtige Ereignisse zu einer Geschichte zu verarbeiten, damit den Geschehnissen durch die Worte des geschickten Erzählers Glaubwürdigkeit und ferner Unsterblichkeit verliehen wird. Doch Omar ist nicht nur ein einfacher Trader of Tales, also ein Händler von Geschichten, mit einem göttlichen Gespür für den richtigen Ort zur richtigen Zeit; hie und da greift der clevere Geschichtenhändler auch mehr als nur aktiv in das Geschehen ein, sodass seine Gefährten, Mitstreiter und Widersacher sich gelegentlich nicht ganz zu Unrecht fragen, ob diesem Omar tatsächlich nur unverschämt viel göttliches Wohlwollen widerfährt, oder ob in ihm nicht doch noch etwas anderes, etwas Göttliches verborgen ist ...
Das zweite Abenteuer dieses Sammelbandes hat von der Rahmenhandlung her dann etwas von den legendären Geschichten aus Tausendundeiner Nacht, als schwere Strafe das Schlitzohr Omar für Schelmereien der Vergangenheit einzuholen droht und er sich nur durch einen geschickt eingefädelten Geschichtenwettstreit innerhalb der von Schnee und Eis in der Herberge festgesetzten Gruppe Zecher Zeit erkaufen kann, um seinem Schicksal zu entfliehen. Dabei bekommt der Leser so manch tragische oder schöne Geschichte zu hören, wenn Omar sich Runde für Runde mit einem der Anwesenden misst, und am Ende ergibt die Kette aus Geschichten der Vergangenheit ein Muster, das bis in die Gegenwart von Schnee und Eis reicht ...
Man merkt, dass Dave Duncan beim Schreiben der beiden in diesem Band zusammengefassten Romane großen Spaß gehabt hat und dass im Geschichtenhändler Omar ferner viel von der Essenz des Schreibers und Erzählers in Duncan selbst steckt. Humorvoll, pointiert, augenzwinkernd, sprachlich opulent, stets sardonisch und ironisch, aber dennoch auch episch und weltenschöpferisch – so kennt man Duncan freilich auch aus den meisten seiner Werke der High Fantasy, doch sind die humoristischen Aspekte seines Schreibstils dort zumindest nie so stark vertreten oder ausgeprägt wie in Die Straße der Plünderer und Die Jägersschenke.
Manchmal ist es in all der Euphorie und Leichtigkeit der spritzigen Handlung des ersten Teils vielleicht etwas zu viel Hin und Her, aber unterm Strich unterhalten die beiden flotten Geschichten mitsamt der in sie integrierten Erzählungen und Legenden auf ganzer Linie, weshalb man auch kleinere Längen zwischendurch leicht verschmerzen kann. Duncans Stil sprüht in diesen beiden Romanen vor Witz, agiert trotz des ganzen Humors aber zugleich auf einem sprachlich hohen Niveau und sorgt auch für ordentlich Spannung – wie man es von einem Geschichtenhändler eben erwartet.
Omar indes ist ein Hauptcharakter zum Verlieben, ein Schelm, dem etwas von Vances Cugel und Leibers Mausling, etwas von Eulenspiegel und dem Pfaffen Amis, aber eben auch genügend Individuelles zu eigen ist, um ihn zu einer interessanten, liebenswerten und trotz allem Humors auch sehr weisen und klugen Romanfigur zu machen, der man gerne folgt. Der listige – und manchmal auch ordentlich lasterhafte – Omar löst seine Probleme seltener mit dem Schwert und öfter mit der Zunge und dem Köpfchen oder gar dem Zufall, und das macht in der Summe einfach großen Spaß, ist für die moderne Fantasy – auch aus Duncans Feder – erfrischend anders und weiß ausnahmslos gut zu gefallen.
Auch die Aufmachung des Sammelbandes aus dem Otherworld-Verlag überzeugt einmal mehr. Mit »Omar, der Geschichtenhändler« liegt ein weiterer dicker Fantasy-Schmöker von Genre-Größe Dave Duncan im toll aufgemachten Hardcover vor, der Dank eines sparsamen Druckbildes auf knapp 500 Seiten lange anhaltenden Lesespaß garantiert.
Dave Duncan erzählt mit Die Straße der Plünderer eine rasante und mit Die Jägersschenke eine ungemein atmosphärische Geschichte mit einem tollen Hauptcharakter, haarsträubenden Wendungen, magischer Sprache und tollem Setting zwischen Göttlichkeiten und Politik. So ist »Omar, der Geschichtenhändler« dann auch vor allem in der ersten Hälfte des Bandes einer der wenigen großen Schelmenromane der modernen Fantasy, von feiner Ironie und gutem Humor durchzogen, hinreißend erzählt und stets mit einem wohltuenden Augenzwinkern, während die zweite Hälfte des Bandes ein etwas ruhigeres, aber mindestens genauso unterhaltsames Stück Erzählwerk darstellt.
Vielleicht der beste und authentischste Duncan.
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