Optimismus und Overkill (Autor: Hans Frey)
 
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Optimismus und Overkill von Hans Frey

Deutsche Science Fiction in der jungen Bundesrepublik

 

Rezension von Matthias Hofmann

 

Neuerscheinungen im Bereich der Sekundärliteratur für die Genres Science Fiction, Fantasy, Horror und Fantastik haben Seltenheitswert. Das liegt einerseits daran, dass sekundärliterarische Bücher in der Regel komplexer und zeitaufwendiger zu recherchieren sind als Primärliteratur. Andererseits daran, dass der Markt und damit die Nachfrage eher klein und sehr überschaubar sind. Realistisch gesehen ist mit solchen Büchern kein Geld zu verdienen.

 

Ein neues Werk kommt in der Regel zustande, wenn jemand mit Herzblut ein Thema aufarbeitet und/oder viel Zeit übrig sowie seine finanziellen Schäfchen im Trockenen hat. Und wenn dieser jemand außerdem einen Kleinverlag findet, der einen kleinen administrativen Overhead hat und mit wenig Gewinn zufrieden ist. Wenn überhaupt. Typische Beispiele für einen solchen »jemand« sind Privatiers, Rentner oder Pensionäre.

 

Hans Frey ist so ein Pensionär. Der ehemalige SPD-Landtagsabgeordnete hat in den letzten Jahren nicht nur Artikel über Science Fiction geschrieben, sondern auch Sachbücher wie Monografien über James Graham Ballard

und James Tiptree jr.. Seine Werke erscheinen unter der Ägide des Berliners Hardy Kettlitz, der sich mit seinem Memoranda Verlag im Jahr 2020 selbständig gemacht hat.

 

Obwohl ich seit den 1980er-Jahren in der deutschen SF-Szene aktiv und gut vernetzt bin (mit einer Dekade der Abwesenheit in der 2000er-Jahren), ist mir früher der Name Hans Frey nicht aufgefallen. Deshalb war er für mich auch ein unbeschriebenes Blatt, als der erste Band seiner mehrbändigen Aufarbeitung der Geschichte der deutschsprachigen SF-Literatur erschienen ist. Ein eklatantes Versäumnis, wie ich im Nachhinein feststellen muss.

 

Die Titelbilder von Freys Büchern tun ihr übriges. Sie gehören zu den banalsten Umschlägen, die in den letzten Jahren gestaltet wurden. Dafür kann der Autor natürlich nichts. Memoranda lässt seine Bücher von S. Beneš gestalten, was grundsätzlich für ein modernes Layout sorgt. Allerdings zeugen manche Titelbilder von einer schreienden Langweiligkeit, dass sie den Betrachter fast schon anflehen: »Bitte ignoriere mich!«.

 

Am schlimmsten sind die Titelbilder der Reihe SF Personality, die Monografien von ausgewählten SF-Autorinnen und Autoren vorstellt. Sie kommen gänzlich ohne Illustration oder Foto aus, wirken daher pseudoakademisch und strahlen den Charme einer einfarbigen Küchentapete aus. Selbst Universitätsverlage wie die University of Illinois Press gestalten ihre Titelbilder heutzutage aufregender, wie man am Beispiel der ambitionierten Serie Modern Masters of Science Fiction sieht.

 

Direkt danach folgen in Sachen Belanglosigkeit die Titelbilder von Freys Bänden über die Historie der deutschen SF. Gepaart mit den politisch konnotierten Unterschriften wie Vom Vormärz bis zum Ende des Kaiserreichs und Von Weimar bis zum Ende der Nazidiktatur dachte ich eher an politisch gefärbte Untersuchungen, erzeugen sich fälschlicherweise einen drögen ersten Eindruck.

 

Wie dem auch sei, den dritten Band habe ich nun gelesen, schließlich kommt es auf den Inhalt an, und das mit Genuss. Diesmal behandelt Frey den Zeitraum »von den Anfängen der BRD bis zu den Studentenprotesten« und damit die Jahre 1945 bis 1968.

 

Während sich Frey in den vorigen Bänden auf eher unbekanntem Terrain bewegte, weil es darüber einfach wenig Sekundärliteratur gibt, sind die Nachkriegsjahre und auch alle folgenden Dekaden relativ gut dokumentiert. Ein Grund dafür ist das Entstehen einer lebhaften SF-Szene, die, mit all ihren Vor- und Nachteilen, dafür sorgte, dass man sich intensiv mit SF beschäftigte. Zeitgenössische SF wurde in Fanzines und Magazinen besprochen, aber auch ältere SF fand ihre Fans, die zumindest Listen und erste Bibliografien zusammenstellten.

 

Frey gliedert »Optimismus und Overkill« in zwei große Kapitel: Neubeginn der westdeutschen SF (1945-1960) und Verfestigung, Erneuerung und Expansion (1960-1968). Das Schöne an dem Buch ist, dass Frey nicht nur die Geschichte der deutschsprachigen SF darlegt, sondern Querverweise auf kontemporäre Entwicklungen platziert und im Bereich der Primärliteratur nicht nur auf Autoren und Verlage eingeht, sondern auch dezidiert und kompetent auf Inhalte und Form.

 

Interessant ist, dass Frey auch vermeintlichen Randthemen wie Das Fandom und der SFCD Raum einräumt, wobei er sich hier vor allem auf die Bücher von Vorreitern wie H. J. Galle und Rainer Eisfeld zu stützen scheint, also auf Informationen zweiter Hand. Das Fandom, die Clubs und die Fans, sind wichtig zum Verständnis der Entwicklung der Szene der BRD, wobei Frey mit seiner Beurteilung der Rolle der Frauen völlige Ignoranz der realen Verhältnisse der damaligen Zeit zeigt. Natürlich kann man das Nichtvorhandensein von Frauen als »unangenehm, ja blamabel« bezeichnen, aber aus heutiger Sicht ist das leicht geschrieben. Ich selbst weiß noch sehr gut aus eigener Erfahrung, dass bis in die 1990er Jahre weibliche Stimmen in jeder Hinsicht eher selten waren, dass aber niemand die vorhandenen weiblichen SF-Fans in irgend einer Weise unterdrückt hat. Im Gegenteil, sie wurden eher gehegt, gepflegt und gefördert. (Fälle wie Marianne Sydow, die bei PERRY RHODAN einen schweren Stand hatte, gab es auch, und sie wurden nicht verheimlicht. Das war jedoch in den 1970ern, also nach dem Betrachtungszeitraum dieses Buchs.)

 

So führt Hans Frey die Leserschaft durch die bunte Welt der Leihbücher ebenso sicher wie durch die der Heftromane, stellt die durchaus vorhandenen Unterschiede zwischen den wichtigsten und langlebigsten SF-Reihen wie UTOPIA und TERRA heraus, widmet dem Phänomen PERRY RHODAN großen Raum oder beschreibt das Aufkommen der ersten Buch- und Taschenbuchreihen.

 

Was mir an dem Buch von Frey so gefällt, ist die Tatsache, dass er nicht nur Fakten zusammenträgt und ordnet, sondern dass er gezielt gewichtet und, wo angebracht, auch wertet. Auch die Bebilderung ist umfangreich und gelungen. Darüber hinaus gibt es jede Menge bibliografische Informationen, nicht zuletzt in Form eines umfangreichen Anhangs mit vielen Seiten Literaturverzeichnis von Primär- und Sekundärliteratur.

 

Wer sich schon länger mit der Geschichte der SF in Deutschland beschäftigt hat, für den ist das Buch ein beeindruckender, präziser Trip auf der Straße der teilweise schon vergessenen Erinnerungen. Für andere ist es eine faszinierende Zeitreise durch die Historie eines der vielseitigsten Genres der Trivialliteratur, die an manchen Stellen gar aus dem Ghetto des Trivialen hinausführt.

 

»Optimismus und Overkill« ist ein Standardwerk für alle, die sich für Science Fiction interessieren. Ich habe nach beendeter Lektüre umgehend bei Hardy Kettlitz (Memoranda) die ersten beiden Bücher bestellt. Gibt es ein besseres Kompliment?

 

Und das Schöne ist: Es sind mindestens noch zwei weitere Teile geplant: ein Band über die SF in der DDR, und die Jahre von 1969 bis heute müssen auch noch aufgearbeitet werden. Da kommt Freude auf …

 

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Buch:

Optimismus und Overkill

Deutsche Science Fiction in der jungen Bundesrepublik

Autor: Hans Frey

Taschenbuch, 538 Seiten

Memoranda, 24. August 2021

Titelillustration: S. Beneš

 

ISBN-10: 3948616566

ISBN-13: 978-3948616564

 

Erhältlich bei: Amazon

 

Kindle-ASIN: B09DCSGFNB

 

Erhältlich bei: Amazon Kindle-Edition


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Erstellt: 11.12.2021, zuletzt aktualisiert: 20.03.2024 15:05, 20413