Rezension von Torsten Scheib
Rezension:
Man nehme: eine möglichst überschaubare, isolierte Lokalität, jede Menge böser Typen, einen zähen Einzelkämpfer – und fertig ist eine Formel, welche seit dem wegweisenden Actionthriller Stirb langsam (1988) in zig Ausführungen angewandt wurde. Mal mehr, mal weniger überzeugend, mal auf einem Schlachtschiff der Navy (Alarmstufe Rot, 1992), mal auf einem Schnellzug (Alarmstufe Rot 2, 1995) – selbst ungewöhnliche Orte wie ein Eisstadion (Sudden Death, 1995) waren und sind nicht tabu.
Warum auch? Wenn der Plot stimmt und der Schreiber versiert genug ist, dann kann auch die x-te Kopie des Originals Spaß machen. Wie das Essen vom Chinesen: man kennt es, isst es aber trotzdem immer wieder gerne. Der britische Bestseller-Autor Tom Bale scheint mit dem Stirb langsam-Prinzip ebenfalls vertraut zu sein und wendet sich mit seinem zweiten hierzulande veröffentlichten Werk, Overkill ebendiesen Jagdgründen zu. Mit einem gewichtigen Unterschied: seine Geschichte spielt nicht an der amerikanischen Westküste oder an Bord der Airforce One sondern innerhalb eines Abschnitts von Chichester Harbour, einem Küstenabschnitt zwischen West Sussex und Hampshire. Tee statt Coca-Cola also. »Terror’s Reach« nennt sich passenderweise der fiktive Abschnitt, in dem ausnahmslos die Reichen und Schönen abgeschieden residieren. Wobei die grausige Namensgebung wesentlich nüchternen Ursprüngen entstammt – den Untiefen der Gewässer nämlich.
Ebendort hat es den Ex-Cop Joe Clayton verschlagen, der nun auf die Familie des russischen Tycoons Valentin Nasenko aufpasst, statt Undercover in die kriminelle Unterwelt einzutauchen. Ein tragisches Schicksal hat aus Joe einen eher ruhigen, in sich gekehrten Mann werden lassen. Seine Sinne sind aber weiterhin so scharf wie einst. Demzufolge ist es auch kein Wunder, als bei Joe sämtliche internen Alarmglocken munter drauflos schrillen, als er eines Morgens einem Unbekannten am Strand begegnet. Was anderswo als alltäglich angesehen wird, hat nämlich auf Terror’s Reach eine gänzlich andere Tragweite. Hier gibt es nämlich keine Fremden. Niemals. Aus diesem Grund leben ja Nasenko und die anderen Bewohner hier. Viel Zeit zum Nachdenken bleibt Joe nicht, da er ausgerechnet jetzt Nasenkos Frau und die Kinder gen Festland fahren soll. Als sich während der Fahrt Joes ungute Vorahnungen mehren, entschließt er sich für eine radikale Entscheidung: Cassie Nasenko und die Kinder sollen zurückbleiben, während er alleine zurück nach Terror’s Reach fährt. Erst wenn er absolut überzeugt ist, dass die Luft rein ist, sollen sie ihm folgen.
Jedoch werden Joes übelste Vorahnungen bestätigt, als er auf der – gesperrten – Brücke zum Eiland auf einen alten Bekannten trifft: jenen Mann, der ihm vorhin schon am Strand suspekt vorgekommen war. Unter Androhung von Waffengewalt zieht sich Joe zwar zurück, entscheidet sich aber für den Seeweg. Unerkannt schwimmt er an den postierten und bewaffneten Wachen vorbei und erreicht schließlich unbemerkt das Haus seines Arbeitgebers, wo sämtliche Be- und Anwohner als Geiseln gehalten werden. Doch aus welchem Grund? Geht es den Männern um Geld? Nicht lange, und Joe wird zur Zielscheibe – und das Geheimnis der Geiselnehmer immer verwirrender. Denn sie haben es auch auf Cassie und die Kinder abgesehen …
»Overkill« beginnt lehrbuchmäßig. Die Handlung kommt ohne große Schnörkeleien rasch in Fahrt, jedes Wort sitzt, die Dialoge kommen stets auf den Punkt. Das freut den Thriller-Leser – hat aber unglücklicherweise nur eine sehr kurze Lebensspanne. Denn mit dem Auftauchen der Geiseln beginnen nicht nur für Ex-Cop Clayton die Probleme. War zuvor Bales Präzision beeindruckend, verzettelt er sich zusehends in immer mehr auftauchende und mitunter nicht förderliche Nebenhandlungen. Dass er selbst den unwichtigsten Nebenpersonen viel zu viel Raum gönnt, sorgt für ärgerliche Längen, die ausgerechnet während einer Verfolgung (!!!) auf dem Festland ihren traurigen Höhepunkt erreichen. Alles, was danach folgt, ist im Grunde nur Schadensbegrenzung. Auch wenn Bales Story Haken schlägt wie ein Kaninchen – sie findet einfach nicht wieder in die richtige Spur zurück; der Spannungsbogen ist einfach zu zerpflückt. Vielleicht mag es auch an der fehlenden Action liegen, welche der reißerische Titel verspricht – letzten Endes bleibt ein schales Gefühl zurück, besonders, da Bale wirklich schreiben kann und mitunter wunderbar filmreife Szenarien kreiert hat.
Fazit:
»Overkill« hätte das Zeug zum britischen »Stirb langsam«-Äquivalent gehabt – hätte. Doch Tom Bale stolpert letztlich über seinen eigenen Plot, den er trotz aller Bemühungen einfach nicht wieder in richtige Bahnen lenken kann.
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