Phase X - Magazin für Phantastik Nr. 2: Vergessene Perlen der Phantastik
Rezension von Oliver Kotowski
Phase X ist ein deutschsprachiges Magazin, welches sich mit der ganzen Bandbreite der Phantastik in allen Medien beschäftigen will. Die zweite Ausgabe widmet sich den vergessenen Perlen der Fantasy, SF und des Horrors.
Das Titelbild sorgt für den ersten Eindruck: Man sieht eine rote Sandwüste mit den Ruinen einer Großstadt im Hintergrund. Fußspuren führen an einigen halb vergrabenen Büchern vorbei. Ich versuche die Titel zu entziffern – eines ist die Werwelt, ein Roman, der später zu den persönlichen Perlen gezählt werden wird. Huch! Ist das nicht eine sonderbare Aussage? Die Fußspuren ziehen ohne zu zögern an den Schätzen vorüber – so viel können die ja nicht wert sein. Aber die Bücher sind im Zentrum des Bildes – des Betrachters – nicht der angenommenen Person, die sie ignorierte. Sehr gelungen bringt das Bild zum Ausdruck worum es geht: Um Bücher, die der eine für zentral hält und der andere ignoriert.
Ein sehr guter erster Eindruck; wird es den Autoren nun auch gelingen, mir zu zeigen, warum die präsentierten Werke Perlen sind oder werde ich nur eine Reihe von Rezensionen zu alten Werken erhalten – daran will ich im Folgenden die Beiträge messen.
Tales from the Flat Earth von Christel Scheja (5 S.)
Scheja wendet sich den Chroniken der Flachen Erde von Tanith Lee zu: Der Inhaltswiedergabe der vier Kernwerke räumt sie den meisten Platz ein; dann hebt sie kurz die Besonderheiten hervor, wobei die Darstellung der Sexualität etwas genauer unter die Lupe genommen wird. Darauf folgt ein kleiner Ausblick. Nach meinem Dafürhalten, könnte dem Inhalt etwas weniger und der Wirkungsgeschichte in Hinblick der Sexualitäts-Darstellung etwas mehr Raum gewährt werden, doch auch so kann Scheja ihre Punkte machen.
Der letzte Romantiker von Achim Hildebrand (5 S.)
Hildebrand stellt Clark Ashton Smith vor und gibt einen Überblick über dessen Schaffen. Er spricht kurz die Qualitäten und Zyklen des Oeuvres an. Geschlossen wird mit dem Einfluss Smiths auf die phantastische Literatur. Es wäre wünschenswert, wenn der Artikel etwas länger wäre – mehr als einen ersten Eindruck des Gesamtwerkes kann er nicht liefern. Neugier auf Lovecrafts Brieffreund vermag er trotzdem zu wecken.
Travelling Watership Down von Christian Endres (4 S.)
Endres versucht dem Leser Richard Adams Unten am Fluß näher zu bringen, doch er verzettelt sich im Umfeld der Animal Fantasy – etwa ein Viertel des Textes verwendet er dafür. Nur ein Satz lobt explizit: Dort werden Stil, Figuren, Landschaftsbilder und Schilderung der Sinneseindrücke abgehandelt. Dann scheint die weniger vermenschlichte Darstellung der Figuren irgendwie besser gelungen zu sein als in Orwells Farm der Tiere; nur wird nicht so recht klar warum. Die Überschrift verspricht: Stalin, Moralisten und Kaninchen – behandelt werden nur Kaninchen. Nur begrenzt hilfreich. Es folgt ein Interview mit Richard Adams (5 S.), in dem er hauptsächlich Fragen zum Entstehungsprozess beantwortet.
Autopsie eines Krieges von Christian Endres (3 S.)
Endres bespricht Adams Traveller, die Geschichte General Lees Pferd. Die Geschichte wurde im Original vor 20 Jahren veröffentlicht – im Deutschen erst 2006. Eine gut zu lesende und durchaus treffende Rezension.
Čapeks Krieg mit den Molchen von Rupert Schwarz (4 S.)
Schwarz stellt Aspekte von Karel Čapeks Leben vor, die für dessen literarisches Wirken relevant sind, wie sein Verhältnis zum Nationalsozialismus, vor dem er mit seinem Buch Der Krieg mit den Molchen warnen wollte. Anschließend fasst Schwarz präzise den Inhalt zusammen und reflektiert über die politische Aussage. Ein sehr überzeugender Beitrag!
Die Flucht der Ameisen von Ulrich Blode (1,5 S.)
Sehr knapp stellt Blode Ulrich C. Schreibers 2006 veröffentlichtes Buch Die Flucht der Ameisen als Einleitung zum darauf folgenden Interview (6,5 S.) vor. Es werden Fragen zu zwei Komplexen gestellt: Zum einen soll der Autor Schreiber sich zum Inhalt und Entstehungsprozess des Buches äußern und zum anderen soll der Wissenschaftler Schreiber sich zu Stellung und Nutzen der Geologie äußern. Meine Haltung zum Interview ist entsprechend ambivalent: Den ersten Komplex halte ich für gelungen, der zweite scheint mir in diesem Kontext deplaziert zu sein.
Die Abenteuer des Professor Jameson von Ralf Steinberg (4 S.)
Steinberg wendet sich der Neil R. Jones SF-Reihe um Professor Jameson zu. Dieser ist ein Wissenschaftler, der von einem Volk eine Vollkörperprothese erhält, bei dem dieses üblich ist. Sehr kurz nur geht Steinberg auf den Inhalt ein um sich dann angemessen den Stärken zuzuwenden – den entemotionalisierten Figuren, den daraus resultierenden sozialen Strukturen und dem starken Wissenschaftsbezug. Sehr informativ!
Ein großes Staunen von Matthias Oden (5 S.)
Oden wendet sich Stefan Grabinski und dessen Werk zu. Er greift allerdings nur wenige konkrete Titel auf und hebt dafür häufig auftretende Eigenheiten und Motive hervor, wie das Bemühen die Grenzen zwischen Normalität und Übernatürlichen zu verwischen oder krankhafte Sexualität darzustellen. Es folgen biographische Details zu Grabinski selbst und eine knappe Rezeptionsgeschichte. Oden kann seine Punkte klar vorstellen.
Der deutsche Jules Verne von Holger M. Pohl (3 S.)
Pohl stellt das Werk des "Wegbereiters der 'Zukunftsliteratur' in Deutschland" vor: Hans Dominik. Betont werden drei Eigenheiten: Der sehr positive Bezug auf Deutschland (Dominik schrieb von 1921 bis 1940 SF-Romane), die nachvollziehbare Darstellung wissenschaftlich/technischer Elemente bei gleichzeitigem Weitblick und das Bewusstsein um die Missbrauchsmöglichkeiten der Technik. Die Einbettung in den literarischen Kontext fehlt, sonst ein brauchbarer Artikel.
E. E. Doc Smith von Holger M. Pohl (7 S.)
Hier geht Pohl einen weiteren SF-Pionier an: Die Lensmen Reihe von E. E. Doc Smith. Prägnant arbeitet er die Eigenheiten der ersten Space Opera heraus – es wäre eine sehr schöne Rezension. Doch Pohl will eine Perle präsentieren, deren Makel er zwar nicht verschweigt, aber rechtfertigt. So kommt leider eine Apologie heraus – wenn die Werke heute nicht mehr für sich lesenswert sind, sondern nur noch als historischer Meilenstein taugen, dann sind sieben Seiten vielleicht zuviel Aufwand.
Diamanten von Michael Schmidt (5 S.)
Schmidt richtet sein Augenmerk auf einige der weniger bekannten Verlage und stellt sehr knapp deren Kronjuwelen vor: des yedermann Verlags SF-Satire "Das Paradies am Rande der Stadt", Eloy Edictions Horror-Anthologie "Albions Albträume", Verlag Lindenstruths Magazin "Arcana" und Fantasy Productions "Das Lexikon der SF-Literatur". Dabei verschweigt er auch die Schwächen, mit denen die Werke durchaus behaftet sind, keineswegs.
Im Zeichen des Pumas von Christian Endres (4 S.)
Endres berichtet von Umpah-Pah, René Goscinnys und Albert Uderzos ersten gemeinsamen Comic-Helden. Er stellt den Inhalt der fünf Bände um die Freundschaft des Indianers Umpah-Pah und des Franzosen Hubert von Täne kurz vor, reißt die Rezeptionsgeschichte an und schließt mit einer Würdigung der Qualitäten ab. Man erhält trotz der Kürze einen guten Eindruck.
Flash! Ah-haa! von Achim Hiltrop (7 S.)
Hiltrop erinnert an einen großen Comic-Helden: Flash Gordon. Hiltrop stellt Entstehungshintergrund, Eigenheiten und den Wandel des Helden in Laufe der Zeit heraus, er geht auf die Filme, PC- und Konsolenspiele und besonders die Hörspiele ein, er erwähnt am Rande sogar die Flash-Actionfiguren. Alles knapp, aber präzise; ein sehr schöner Überblick. Es schließt das Interview mit H. G. Francis (2 S.) an, in dem er Fragen zu seiner Rolle bei der Produktion der Flash Gordon Hörspiele beantwortet und das Interview mit Ornella Muti (1 S.), die Fragen zum "Flash Gordon"-Film beantwortet.
Les Shadoks von Susanne Jaja (8 S.)
Jaja beginnt mit einem hervorragenden Aufhänger: 1968 entschied eine Volkbefragung darüber, ob die Serie weiter im französischem Fernsehen laufen soll. Mit süffisanter Ironie und Understatement stellt sie die schrägen Vögel und ihre Gegenspieler vor, verfolgt die Serie und wagt eine Einschätzung zur Aufregung um die Serie. Ein Blick auf das Umfeld rundet den Artikel ab. Sehr gelungen und nach meiner Ansicht der Höhepunkt des Magazins.
Als die Würfel rollen lernten von Karl-Georg Müller (8 S.)
Müller steigt mit einer humorigen Einleitung ein: Chef Weidler drückte ihm den Artikel auf's Auge: Mach' was draus – sofort! Leider liest sich das Geplauder aus dem Nähkästchen auch so: Als wenn noch Seiten gefüllt werden müssten. Dabei gibt es eine ganze Reihe von interessanten Details. Müller rückt den Einfluss des Büchermarkts auf das Rollenspiel in den Blick und erzählt eine kleine Geschichte des Rollenspiels – leider halb im englischsprachigen Raum, halb im deutschsprachigen Raum. Zuviel Lokalkolorit, zuwenig Roter Faden.
Als die Helden laufen lernten von David Grashoff (4 S.)
Grashoff stellt eine handvoll aus der Mode gekommener Rollenspiele vor. Mit wenigen Worten streicht er ihre Stärken heraus und bettet sie in den Kontext ein. Schön, aber viel zu kurz! Hätten Grashoff und Müller doch nur gemeinsam einen Artikel über Klassiker und Geschichte des Rollenspiels im englischsprachigen Raum geschrieben!
Es bleiben zehn weitere Seiten: Noch einmal das Titelbild, Inhaltsverzeichnis, ein Aufruf zur Teilnahme an der Wahl der Verlags Top Ten und drei Seiten Werbung müssen nicht weiter erklärt werden. Im Editorial führt Christoph Weidler kurz zum Thema hin, im Nachwort wird noch einmal persönlich Stellung zur aktuellen Ausgabe genommen. In Aufgetaucht nennen die Redakteure Ross und Reiter: Autor und Titel ihrer persönlichen Lieblingswerke und die letzte Seite kündigt das erscheinen der dritten Ausgabe für das Frühjahr 2007 an.
Fazit:
Diese Ausgabe will ein Wegweiser zu Schätzen der Phantastik sein; wer nun schon weiß, wohin er will, oder gar nirgendwo hin will, der braucht diese Ausgabe nicht. Da das Magazin nur 104 Seiten, aber 24 Texte (und 6 Seiten mit Werbung etc; s.o.) enthält, ist klar, dass man nicht sonderlich ins Detail gehen kann – es auch gar nicht beabsichtigt. Dazu kommt, dass die
Phase X sich in erster Linie an eher unerfahrene Leser richtet, auch wenn dem 'Alten Hasen' hier ebenfalls jede Menge interessanter Informationen geboten werden. Die Auswahl der behandelten Werke ist ausgesprochen ausgewogen und verdient daher Lob. Die Artikel selbst sind erwartungsgemäß unterschiedlicher Qualität, doch überwiegend gut gelungen: Es sind einige sehr gute Artikel dabei, wobei sich auch den schwächeren positive Seiten abgewinnen lassen.
In diesen Rahmen erfüllt die zweite Ausgabe ihre Aufgabe recht gut.
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