QualityLand (Autor: Marc-Uwe Kling)
 
Zurück zur Startseite


  Platzhalter

QualityLand von Marc-Uwe Kling

Rezension von Ralf Steinberg

 

Verlagsinfo:

Willkommen in QualityLand, in einer nicht allzu fernen Zukunft: Alles läuft rund - Arbeit, Freizeit und Beziehungen sind von Algorithmen optimiert. Trotzdem beschleicht den Maschinenverschrotter Peter Arbeitsloser immer mehr das Gefühl, dass mit seinem Leben etwas nicht stimmt. Wenn das System wirklich so perfekt ist, warum gibt es dann Drohnen, die an Flugangst leiden, oder Kampfroboter mit posttraumatischer Belastungsstörung? Warum werden die Maschinen immer menschlicher, aber die Menschen immer maschineller?

 

Rezension:

Die Politkabarett-Texte von Marc-Uwe Kling erfreuen sich besonders in Form der Känguru-Chroniken großer Beliebtheit. Bereits in ihnen verließ er oft die Realität und führte seine wuchernden Problemlösungen in eine Parallel- oder eben satirisch veränderte Welt.

QualityLand ist nun gleich ganz ein Science-Fiction Roman geworden.

 

Unser schönes Land wurde in einer nahen Zukunft in »QualityLand« umbenannt. Anstatt des Familiennamens führt man nun den Beruf als Zuname, die Tochter den der Mutter, der Sohn den des Vaters. Darum heißt Peter mit Nachnamen Arbeitsloser, obwohl er eine kleine Maschinenverschrotterei betreibt. Das Streben nach gesellschaftlichem Aufstieg wird durch ein Levelsystem gewährleistet. Es geht von 2 bis 100, Peter ist Level 10. Das ändert sich jedoch, als ihn seine Freundin auf Ratschlag ihrer Dating-App verlässt. Als wäre das nicht schon schlimm genug, erhält er vom größten Onlineversender TheShop wieder einmal ein Paket via Drohne. Darin ein rosafarbener Vibrator in Delphinform. Als er versucht, das von ihm nicht gewünschte Ding zurückzugeben, stößt er an die Grenzen einer Netz-Welt, die sich schon lange von ihm ein Bild gemacht hat, dem er auf Gedeih und Verderb zu entsprechen hat. Außerdem ist gerade Wahlkampf im bester aller Länder…

 

Man sieht, das Setting ist nicht ganz bei den Haaren herbeigezogen. Klings Weiterentwicklungen von Google, Facebook, Amazon und Tinder sind nur allzu nachvollziehbar. Mit gewohnt lapidarem Ton lässt Kling seinen Peter Arbeitsloser, den modernen Otto Normalverbraucher, durch eine an sich völlig irre Welt marschieren. In vielen kleinen Details spürt man die wohl aus eigenem leidvollen Erleben reproduzierten Fallstricke des vernetzten Zeitalters. So stirbt jemand beim Versuch, die AGB einer Firma komplett am Stück zu lesen, bevor er zu dem Abschnitt kommen konnte, in dem das Vorlesen der AGB untersagt wird. Viele Entscheidungen kann man nur mit OK bestätigen, wo man gerne ein Nein, Vielleicht oder Abbrechen hätte.

Überhaupt steht das Okay als einzigmögliche Antwort für die rigorose Lenkung im QualityLand. Da die allumfassende Datensammlung zu Profilen jedes Menschen führte, von deren Korrektheit man überzeugt ist, zweifelt niemand mehr an, dass die künstliche Intelligenz der Social-Webfirmen ganz genau weiß, was jeder will. Bis hin zur Wahl: Frag dein QualityPad und es sagt dir, wen du wählen willst – der Wahlomat lässt grüßen.

 

Kling offenbart uns das Entstehen von Meinungsblasen, in denen man nur mit den laut Profil passenden Nachrichten, Stimmungen und Produkten versorgt wird. Das weitet sich aus bis hin zur Möglichkeit, allein dadurch unsichtbar zu werden, dass man von Suchmaschinen nicht gefunden wird. Autonome Autos fahren eben nur zu findbaren Adressen – Verstecken für Profis.

 

Der Roman wird mehrfach unterbrochen von erklärenden Texten aus dem »Deinem persönlichen QualityLand Reiseführer«. Sie vermeiden billiges Infodumping in dem sie sich an die Nomenklatur QualityLands halten und von Werbung und Produktplatzierungen nur so überquellen. Hinzukommen auf schwarzfarbigen Seiten veröffentliche Artikel, Nachrichten und Anzeigen, die einen kleinen Einblick in das Social-Web-Leben im QualityLand bieten, samt Kommentaren und Sternchenbewertungen. Sie lockern den Roman nicht nur auf, sie sind auch meist weitaus mehr als reine Bebilderungen. So tauchen Nebenfiguren und Schauplätze auch hier in entsprechenden Inkarnationen wieder auf. Auch ein Känguru übrigens.

Der Humor ist dabei nicht nur Selbstzweck, sondern hilft Kling auch bei der Illustrierung. So ergeben sich etwa aus der Identifikation via Kuss einige phantastische Möglichkeiten, die sich der Autor nicht entgehen ließ.

 

Marc-Uwe Kling nutzt für seine kleine bitterböse Analyse dennoch ganz profund die Science Fiction, zitiert Kurt Vonnegut und streut einige andere bekannte SF-Narrative ein.

Sein Peter Arbeitsloser ist nicht einfach nur sauer, im Buch selbst wird er mit Michael Kohlhaas verglichen, er hat sich darüber hinaus seine eigene Menschlichkeit erhalten. Darum verschrottet er nicht einfach alle Maschinen, die nach den gültigen Konsumregeln nicht repariert werden dürfen. Er rettet einige davon. Dadurch gibt der Autor seinem Protagonisten eine kleine Truppe von Freaks an die Hand, die nicht nur für diverse Gags gut sind, sondern weitere Problemfelder abdecken. Viele betreffen das Zusammenleben von Mensch und intelligenten Maschinen, von Liebe, über Kultur bis hin zu Respekt. Durch die Verwendung einer liebenswerten Gruppe von ausrangierten Maschinen schafft Kling eine Empathie, die einer ernsthaften Auseinandersetzung mit den ethischen Implikationen der Zukunft dienlich ist. Außerdem ist es natürlich höchst amüsant und irgendwo muss das Känguru ja seine Reinkarnationen finden. Besonders deutlich wird es an der Figur der Kalliope, einer E-Poetin, darauf programmiert, Bestseller zu verfassen. Als man aber von ihr verlangt, personalisierte Klassikerausgaben zu verfassen, weigert sie sich. Doch eine Schreibblockade bei Androiden löst man im QualityLand in der Maschinenpresse. Kalliope wird so zu einer moralischen Instanz, die menschlicher scheint, als die ihres Besitzers.

 

Die Handlung verlässt dabei selten den Rahmen einer Satire. Wer eine tatsächlich bis ins letzte realistisch ablaufende Utopie erwartet, wird enttäuscht werden. Kling arbeitet mit Zuspitzungen ebenso wie mit Begradigungen, seine Welt ist böse, Brutalität jedoch nur erwähnt. Dennoch wird der Tonfall des Romans zunehmend ernster. Wenn der Robot-Kandidat John ofUs die Lobbyisten seiner Party auf einer Wahlveranstaltungen vorführt, ihnen klar und deutlich sagt, wie er ihre Macht einzuschränken gedenkt, wird deutlich, dass Kling hier sehr genau weiß, wovon er redet. Es ist ihm nicht nur ein Anliegen, sich über die Tücken unseres Alltags lustig zu machen, er warnt nicht nur davor, was da alles in Zukunft noch schlimmer werden kann, nein, er bohrt auch ganz tief in den heutigen Ursachen einer gesellschaftlichen Schere. QualityLand liegt keine Ewigkeit entfernt. Nichtmal ein paar Legislaturperioden.

 

Die Umschlaggestaltung von Roman Klein besticht durch sein elegantes Design auf der einen Seite und dem als Strichcode dargestellten Knutschmund auf der anderen. Die Verwendung von dicker Pappe gibt dem Buch ein ganz eigenes haptisches Gewicht, zusammen mit der Verwendung der schwarzen Seiten, ergibt ein ungewöhnliches Leseerlebnis.

 

Fazit:

»QualityLand« von Marc-Uwe Kling ist ein vielschichtiger Science-Fiction Roman, der sich intensiv mit unserem zukünftigen Leben in der völlig vernetzten Gesellschaft auseinandersetzt und dabei konsequent das weiterdenkt, was uns bereits heute umgibt.

Der Roman ist trotz des gewohnt lakonischen, von vielen Augenzwinkereien durchzogenen Tonfalls, ein großer Wink mit dem Zaunpfahl. Marc-Uwe Kling meint es verdammt ernst.

Nach oben

Platzhalter

Buch:

QualityLand (helle Edition)

Autor: Marc-Uwe Kling

Gebundene Ausgabe, 384 Seiten

Ullstein, 22. September 2017

Umschlaggestaltung: Roman Klein

 

ISBN-10: 3550050232

ISBN-13: 978-3550050237

 

Erhältlich bei: Amazon

 

Kindle-ASIN: B071DZRL5G

 

Erhältlich bei: Amazon


Platzhalter
Platzhalter
Erstellt: 07.10.2017, zuletzt aktualisiert: 27.06.2023 19:37, 16136