Autor: Andreas Fischer
Es regnete nicht mehr. Sein wacher Blick hing über der regendurchtränkten Ebene. Ein Angriff wäre auf diesem durchweichten Boden unklug. Würden sie heranstürmen, wäre die Wahrscheinlichkeit den Halt zu verlieren sehr hoch. Der Boden dieser Gegend nahm die Eigenschaften einer glitschigen Flüssigkeit an, sobald er feucht würde. Er, als ein Bewohner dieser Gegend, wusste dies. Doch waren auch diese fremden Eindringlinge mit der Beschaffenheit des Boden so vertraut?
Der Klang eines dumpfen Krieghorns zog über die Ebene, bis hin zu ihm. Er legte sich noch weitere Gesteinsbrocken zur Seite und suchte einen festen Stand auf dem Steinplateau eines kleinen Berges, das sein zu Hause war.
Sie kamen. Ihr wildes, grollendes, tiefes Kriegsgegröle imponierte ihn nicht sonderlich. Entschlossen griff er sich den ersten Findling und wartete ab.
Der durchweichte Boden war an diesem Tag genauso schmierig wie sonst auch. Die heranstürmenden Gegner waren noch nicht einmal auf Pfeilschussweite herangekommen, da lag schon die Hälfte von ihnen mit dem Kopf im Schlamm. Weitere, die ihnen folgten, traten brutal auf deren Rücken und stürmten über sie hinweg.
Was für Barbaren! dachte der Bergriese und holte mit seinen Armen kräftig Schwung.
Wieder fielen weitere Menschen zu Boden. Der Findling verließ die Hand des Riesen, nahm einen hohen Bogen ein und traf auf weitere angreifende Menschenkrieger.
Flugs schnappte er sich den nächsten großen Felsbrocken und schleuderte auch diesen mit seiner gewaltigen Kraft auf die Feinde.
Es war ein Fiasko für den Gegner. Kaum einer der Angreifer stand noch auf seinen Beinen, die Vordersten rappelten sich mühselig wieder auf, nur um im nächsten Moment von einem herabfallenden Felsstück erschlagen zu werden.
Die Schlacht war nach kurzer Zeit vorüber. Das Kriegsgebrüll war verklungen, eine unheimliche Stille lag wieder über dem Land. Die kleine Armee der Menschen war geschlagen. Achtzig Krieger lagen mit zerschmetterten Gliedern und Extremitäten auf der durchweichten Erde. Einige hatten noch zu flüchten versucht, doch die herabfallenden Felsstücke und der schmierige Boden waren auch ihnen zum Verhängnis geworden.
Der Bergriese stand noch immer auf seinem Plateau und betrachtete sein Werk. Die zwanzig vom Vortag waren also nur eine Vorhut gewesen. Er wusste, dass diese vielen Menschen heute ihn unter normalen Umständen getötet hätten. Ihn, seine Frau und seine Brut. Doch warum? Für einen kleinen Moment haderte er mit sich selbst, doch dann erlag er seiner Neugier und stieg von seinem Plateau herab.
Vorsichtig, um nicht auch zu stürzen, schritt er über die Ebene, seine Beine versanken bis zu den Unterschenkeln im Boden. Mit einem satten, schmatzenden Geräusch gab der Morast die Füße widerwillig immer wieder frei, während der Riese die Leichen einzeln abschritt.
Der schwerverletzte Krieger sah den Riesen langsam auf sich zu schreiten. Seine Beine war sozusagen zerschmettert und seine Minuten gezählt. Gleich würde der Riese ihn packen und ihm das Genick brechen. Doch kampflos würde er sich dem Riesen nicht ergeben, er würde mit seiner Axt in der Hand sterben, aber wo war seine Axt? Sie lag zu weit von ihm entfernt und der Riese war schon zu nah.
Verwunderung spielte sich im Gesicht des Kriegers wider, als der Riese sich vor ihm kniete und ihn ansprach "Warum?"
"Wie warum?" entgegnete der Kämpfer schwach und versuchte ein Stück nach hinten weg zu rutschen. Vielleicht lag da noch eine andere Waffe halbversunken im Morast.
"Warum soll ich sterben?" der Riese beugte sich näher zu dem Menschen hin.
Er hatte Stahl zu fassen bekommen. Ein Griff! Seine Hand packte fest zu und statt einer Antwort zu geben, schlug er mit seiner letzten Kraft hart gegen den ungeschützten Kopf des Riesen.
Der Stahl schlug auf, direkt gegen die Stirn des Riesen. Der harte Kopf des Giganten knackte bedenklich, dann gab er nach. Tief drang die Axt in den Schädel des Riesen ein und löschte sein Leben aus.
Erschöpft fiel der Krieger zurück, er hatte es geschafft! Er alleine hatte den mächtigen Bergriesen zur Strecke gebracht. Ihm zu Ehren würde eine Parade abgehalten werden, ein hoher militärischer Posten war ihm gewiss. Sein Leben würde von nun an besser werden. Bis zu seinem Tod hätte er nun ausgesorgt!
Ein jäher Schmerz auf seinem Brustkorb riss ihn aus seinem schönen Gedankenschloss brutal heraus. Ein schwerer Stiefel, der schwere Stiefel seines Generals stand auf ihm. Das ausdruckslose Gesicht seines Vorgesetzten starrte ihn an, "Ihr habt den Riesen getötet?"
"Ja!" keuchte der Kämpfer, "nehmt den Stiefel von meiner Brust..." konnte er noch schwach hinzufügen, bis ihm der andere schwere Stiefel die Kehle eindrückte.
Zufrieden betrachtete der General ohne Armee sein Werk. Seine ehemalige einhundert Mann starke Einheit war zwar aufgerieben, doch er hatte letztendlich den Berg mit dem riesigen Kohlevorkommen für sein Land erobern können. Und wer weiß, vielleicht würde man ihm jetzt eine größere Einheit unterstellen. Möglicherweise würde er eine noch schwierigere Schlacht führen können. Schließlich war er siegreich gewesen, doch zuvor... ja zuvor, musste er noch sicherstellen, dass auch wirklich niemand überlebt hatte.
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