Schlund (Autor: Karl Nagel)
 
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Schlund von Karl Nagel

Rezension von Ralf Steinberg

 

Verlagsinfo:

SCHLUND: Über den täglichen medialen und mentalen Lärm und wie er uns in den Wahnsinn treibt. Was aus Punks wird, wenn sie alt werden. Vom Überleben in Supermärkten, U-Bahnen und Fußgängerzonen. Über Junkfraß und Suff, Nazi-Fetisch und den Sex der Gestörten. Die Unfähigkeit, das Richtige zu tun. Ein Mix aus Biografie, Beobachtungen, Ängsten, wüsten Spekulationen, Halbwahrheiten und Lügen. SCHLUND ist Schund!

 

Rezension:

Die Wikipedia weiß über Karl Nagel zu berichten: »In den 1980ern war Nagel Mitinitiator der Hannoverschen Chaostage […]«. Nun können wir uns in den Schlund der Geschichte begeben und lesen, was sich hinter diesem bedeutungsschwangeren Wort Mitinitiator verbirgt.

 

»Schlund« ist eine halbwegs chaotische Melange aus Erinnerungen, Gewaltphantasien, Musik-Expertisen, Foto-Collagen, Sinnsuche und Dystopie. Es ist durchaus nicht immer leicht, den sich verästelnden Geschichten zu folgen oder biografische Details von Fiktion zu trennen. Dabei behauptet der Autor auch nie, sich um historische Korrektheit zu bemühen. Vielmehr spürt man immer wieder den lustvollen Drang zur Demontage, Zerstörung und Selbstbeschmutzung. Also etwas, dass er zum Punksein hinzurechnet.

 

In den biografischen Teilen folgen wir dem Wuppertaler-Azubi in die wilde Zeit, da sich Punk in die deutschen Provinzstädte ausweitete und man mit allem möglichen provozieren konnte. Die graue Bundesrepublik wurde nicht mit Blumen, sondern Bierflaschen und Pflastersteinen beworfen. Ohne politische Ziele.

Und so wird aus dem unscheinbaren Peter Altenburg ein Punk. Coole Lederjacke, hochfrisiertes Haar und ein Zimmermannsnagel um den Hals: Karl Nagel. Der nach eigenen Angaben Alkohol meidet, aber dem Internet erliegt. Auch darüber erfahren wir im weiteren Verlauf des Gedankenstromes jede Menge. Es gibt kaum Distanz zwischen dem Icherzähler und seiner Leserschaft. Wir dürfen ihn aufs Klo und in den Supermarkt begleiten, springen zusammen ins Bett oder bekommen aufs Maul. Wir verschlingen Currywürste und Negerküsse und legen die härteste Musik auf den Plattenteller. Dazwischen folgen wir Perry Rhodan auf seiner Erbschaftsreise durchs Universum, hacken uns mit einer Axt namens Anwalt durch Türen und Menschen und fragen Siri nach dem Sinn des Lebens.

 

Der Hauptteil von »Schlund« spielt 2017. Ein normaler Tag im Leben eines Internetjunkies, der eigentlich für Kohle arbeiten sollte und ein Buch schreiben will. Doch während er überlegt, wie er sein Leben leben möchte, lebt es ohne ihn einfach weiter und überlebt ihn.

Es gibt unzählige Kapitel, die um das »Was mach ich nun?« kreisen und nur durch die genialen Fotocollagen und Musik-Tipps bei Stange halten. Im Buch eingebettet sind QR-Codes, mit denen man der musikalische Reise folgen kann, zudem findet sich am Ende eine umfangreiche Playlist. Wer in Karl Nagels musikalische Punkwelt eintauchen möchte, bekommt die Möglichkeit dazu. »Schlund« ist eine grafisch toll gemachte Fundgrube.

 

Hundert Seiten vor Ende kulminiert das Grübeln zu einem Aufschrei an das Universum: ES REICHT! ICH KANN NICHT MEHR! STERBT ALLE!

 

Und das Universum hört ihm zu. Es folgt eine abgefahrene Dystopie, die den Höhepunkt der fiktionalen Ebene von »Schlund« darstellt, nicht ohne weitere historische und musikalische Details zu zelebrieren.

 

Die Reise in das Hirn von Karl Nagel endet ganz orthodox mit einer Danksagung. Wem das nicht reicht, kann sich weitere sachdienliche Hinweise im Ergänzungsband Reflux holen. Zudem gibt es eine Platte mit relevanten Songs von Fehlfarben, Blut + Eisen oder Cotzbrocken, die Karl Nagel zusammen mit Volker Voigt aufnahm.

 

Fazit:

»Schlund« von Karl Nagel ist ein punkgerechter Trip in die Biografie eines Mannes, der dabei war, als sich Punk durch die Fußgängerzonen der BRD spuckte. Ein Buch voller Musik und Blut, chaotisch, bunt und lehrreich. Keine Monographie, die den Punk erklärt, sondern eine eisgekühlte Büchse Pandora. Wer liest, lebt gefährlich.

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Buch:

Schlund

Autor: Karl Nagel

Gebundene Ausgabe, 375 Seiten

Hirnkost, 1. Dezember 2018

Cover und Illustrationen: Karl Nagel

 

ISBN-10: 3947380224

ISBN-13: 978-3947380220

 

Erhältlich bei: Amazon

 

Kindle-ASIN: B07LCQKJFL

 

Erhältlich bei: Amazon Kindle-Edition


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Erstellt: 17.01.2019, zuletzt aktualisiert: 08.03.2024 15:06, 17299