Diese Rezension erschien zuerst auf Kultura Extra.
Auf alt gemacht
London, im Jahr 1888. Die adelige Audrey Rose Wadsworth läßt sich bei ihrem Onkel zur Pathologin ausbilden. Warum die noch Minderjährige an dieser blutigen Tätigkeit Gefallen findet, bleibt unklar. Offensichtlich ist jedoch, dass sie nicht den vorgegebenen Wegen einer jungen Adeligen folgen möchte und uns ihre Vorstellungen vom Leben in der Ichform berichtet. Obwohl sich die Autorin um den Sprachduktus der damaligen Zeit bemüht, wirkt dieser nicht überzeugend, gerade wenn man sich als Leser mit Texten aus dieser Zeit beschäftigt und diese auch schätzt. Nun soll mich dies aber nicht von der etwas schauerlichen Lektüre abhalten.
Der faulige Gestank traf mich mitten ins Gesicht, und unabsichtlich stolperte ich einen Schritt zurück. Fast hätte ich mir die Hand vor den Mund gepresst. Mein Onkel hatte nur auf die Eröffnung gewartet. Er trat vor, doch bevor er mich beiseiteschieben konnte, steckte ich beide Hände tief in den Körper vor mir und tastete zwischen schwammigen Membranen umher, bis ich fand, wonach ich suchte.
Ich wappnete mich dafür, die Leber zu entfernen, und nahm ein weiteres Skalpell von meinem Onkel entgegen. Ein paar Schnitte, ein bisschen Ziehen, und schon löste sich das Organ.
S. 10
Wem es bei solchen Beschreibungen wohlig gruselt, der ist richtig bei der Lektüre des Buches. Wie auch im Original von Jack the Ripper werden Frauen nachts überfallen und bestialisch ermordet. Doch wer steckt dahinter? Sollte am Ende der Onkel von Audrey Rose sich selbst auf diesem Weg seine Leichen besorgen? Der wenn auch absurde Verdacht entsteht und seine Nichte versucht gemeinsam mit seinem attraktiven Assistenten Thomas Cresswell, den Onkel aus den Händen von Irrenärzten zu befreien, die ihn auf Anweisung der Polizei in Gewahrsam genommen haben. Hier geht der Roman unvorhersehbare Wege.
Ein optisch attraktives Buch, dass mit seinem Dolch auf dem Farbschnitt und der angeschnittenen Schönheit auf dem Cover, fast zu perfekt daherkommt. Nicht zu vergessen, der Aufkleber »Spiegel Bestseller-Autorin« prangt auf dem Titel, ein Label, bei dem ich mich langsam frage, ob es für Qualität oder eher für Durchschnittsliteratur steht, für Belletristik, die sich gut in Großmärkten von einer wenig spezialisierten Leserschaft verkaufen läßt.
Ein Blick auf die Homepage des Verlags offenbart, dass die Autorin schon andere Bestseller geschrieben hat. Während die Hexe in ihrer Reihe Kingdom of the Wicked anscheinend auf ihrer eigenen Idee basiert, sind bei Stalking
Jack the Ripper und dem frisch erschienen Prince Dracula die Anleihen bei berühmten Werken gewollt und werden von der Autorin fortgesetzt.
Im Buch findet sich ein Bild von Kerri Maniscalco. Die Fotografie wirkt künstlich und ich assoziiere unwillkürlich eine KI. Der kurze Lebenslauf, der Autorin, die in einem »beihnahe Spukhaus« bei New York aufgewachsen sein soll beschreibt sie als Teetrinkerin. Böse formuliert könnte ich fragen, ob es sich bei dem gesamten Werk um die Literatur einer KI handelt. Die Aufgabe wäre vergleichbar einfach: Bitte eine Fortsetzung von Jack the Ripper schreiben, die gefällig, leicht lesbar und spannend sein soll.
Aber nein, Kerri Maniscalco betreibt auch einen Block und wird in einem Interview vorgestellt. Vermutlich gibt es sie doch, und wenn nicht, dann hat die KI wirklich gute Arbeit geleistet. Folgebände sind bereits in Arbeit.