Rezension von Chris Schlicht
The Fountain handelt vom Kampf eines Mannes um das Leben seiner über alles geliebten Frau. Ein Kampf, der über viele Jahrhunderte andauert, denn er hat vom Baum des Lebens gekostet... damals in der neuen Welt. Dem Baum, der vom Schöpfer nach dem Sündenfall im Paradies, als die ersten Menschen von den Früchten des Baumes der Erkenntnis kosteten, vor den Menschen verborgen wurde. Ein Franziskaner entschlüsselt das Geheimnis, findet Hinweise auf den Baum in Chetumal, einer Hochburg der Maya auf der Halbinsel Yucatan (Chactemal, „Platz an dem Rotholz wächst“, war eine wichtige Hafenstadt der Maya. Die ersten Spanier kamen dort als Schiffbrüchige an). Die Inquisition will das Geheimnis für sich, doch Tomas und seine geliebte Königin Isabell verhindern dies.
In dieser Grafic Novel wird in verschachtelten Rückblenden Tomas auf seiner fieberhaften Reise durch drei verschiedene Epochen begleitet: als Conquistador, der im 16. Jahrhundert eine gewaltige Maya-Armee bekämpft und den Baum findet, als Mediziner der Gegenwart auf der Suche nach einem Heilmittel für die tödliche Krankheit seiner Frau, das er findet, als es bereits zu spät ist, und als Forscher, der in ferner Zukunft das Geheimnis eines sterbenden Sterns ergründen will... und den sterbenden Baum des Lebens retten. Die Zusammenhänge werden zu Anfang nicht ganz klar, die Szenerien wechseln beständig, aber als der Mediziner der Gegenwart seine eigene Geschichte in der Vergangenheit in dem, von seiner verstorbenen Frau geschriebenen aber nicht fertig gestellten Buch entdeckt und ihren Tod akzeptieren lernt, wird die Geschichte klar.
Darren Aronofsky hat lange gekämpft, um seine Geschichte in einen Film umsetzen zu dürfen und eine Menge Fehlschläge einstecken müssen. Man könnte da durchaus eine Parallele zu seinem Protagonisten Tomas ziehen. Als er hörte, dass der Film erneut auf Eis gelegt wurde, gab er das Skript an Vertigo, damit man dort, sofern gewünscht, die Geschichte als Comic umsetzt. Einem Medium, dem er sich sehr verbunden fühlt.
Das Thema ist denkbar schwere Kost: Das Leben, der Tod, die Akzeptanz, das beides zusammengehört und der Umgang damit. Aber da ein Comic mehr kann als ein Film, nämlich eine Menge Interpretationsspielraum zwischen den einzelnen Panels lassen und durch die längere Verweildauer des Blickes auf den Bildern mehr Details vermitteln, ist er ein besonders intensives Medium für solche schwierigen Themen. Es muss nur der Richtige am Zeichenstift sitzen. Und den haben sie gefunden.
Vertigo schlug Kent Williams vor, der von dem Skript sehr angetan war und dessen Werke Aronofsky begeisterten. Während Aronofsky im zweiten Anlauf mit neuer Besetzung seinen Film doch noch verwirklichen konnte, mit Tony Award-Gewinner Hugh Jackman (X-Men, Van Helsing, Scoop) und Academy Award-Gewinnerin Rachel Weisz (Die Mumie, The Shape of Things, Der ewige Gärtner) in den Hauptrollen, (kam am 18.01.2007 in die deutschen Kinos, wurde aber von den Kritikern ziemlich verrissen) wurde die Geschichte nahezu zeitgleich als Comic veröffentlicht.
Wie die Geschichte selbst ist auch Williams’ Umsetzung gänzlich abseits des Mainstreams. Die Bilder, in verschiedenen Techniken ausgeführt, wirken mal verstörend, mal wie Traumsequenzen bruchstückhaft, mal flüchtig, mal naiv. Die Gegenwartsszenen sind denkbar sparsam, teils nur grob getuscht und mit wenig Farbe, teils absolut monochrom gehalten. Doch so skizzenhaft sie auf den ersten Blick wirken, so stark erkennt man beim zweiten Blick, dass Williams sein Handwerk versteht. Selbst wenn Gesichter und Körper überspitzt erscheinen, ist die Anatomie doch korrekt. Und jeder Strich der sparsamen Linien bringt die Gefühle der Protagonisten erschreckend oder mitreißend deutlich zum Leser herüber.
Anders die Panels der Vergangenheit. Hier wechseln beständig Szenen in der vorgenannten Technik mit farbigen Panels, die alten Gemälden sehr nahe kommen, wenn sie auch irgendwie... unfertig erscheinen. Denn fertig gemalt sind in der Regel die Vordergrundfiguren, während der Hintergrund skizzenhaft bleibt. Der Kontrast ist faszinierend, der Blick wird vom Wesentlichen der Szene eingefangen. Dann wieder gibt es reine Schwarz/Weiß-Seiten in skizzenhaften Kohlezeichnungen. Ungewöhnlich, aber ausdrucksstark. Die Szenen in der Zukunft sind ebenso gehalten.
Für derartige, fast experimentell zu nennende Umsetzungen dürfte der Markt wohl sehr begrenzt sein. Vertigo und, in der deutschen Fassung, Panini haben mit der Veröffentlichung Mut zum geschäftlichen Risiko bewiesen. Die Grafic Novel ist großartig geworden, eine epische Reise durch die Zeit in berauschenden Bildern. Der Druck ist von hervorragender Qualität ebenso wie die ganze Gestaltung des Buches.
Davon darf es gern mehr geben, ein Augenschmaus, der zum Nachdenken anregt..