Tigermond (Autorin: Antonia Michaelis)
 
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Tigermond von Antonia Michaelis

Rezension von Carmen Huber

 

„Der indische Wind in indischen Gassen

treibt alte Geschichten vor sich her

von Leben und Tod, von Lieben und Hassen,

und läufst du dem indischen Wind hinterher,

um ihm zu lauschen, dann sag ich dir ehrlich:

Die Märchen des indischen Winds sind gefährlich.“

 

 

Es war einmal in Indien ....

 

... ein reicher Händler, der sich gerne mit dem Titel Raja anreden ließ. Bei einer seiner Reisen begegnete ihm in einem kleinen Dorf die schönste Frau, die er je gesehen hatte. Für den Raja stand sofort fest: Er wollte sie unbedingt besitzen, koste es, was es wolle. Mit den Eltern kam er bald ins Geschäft, denn sie waren bettelarm und froh, dass sie für ihre Tochter keine Mitgift bezahlen mussten, wie es sonst in Indien üblich ist. Noch am selben Tag nahm der Raja das Mädchen zu seiner Frau.

 

Ihr Name war Safia, was Tugend bedeutet, ihre Augen leuchteten grün wie Türkise und ihre Schönheit strahlte heller als alles, was der Raja je gesehen hatte. Doch schön bald zeigte sich, dass Safia nicht die fügsame, stille Ehefrau war, die er zu kaufen geglaubt hatte. Schon auf den Weg in ihr neues Zuhause unternimmt Safia mehrere Fluchtversuche, die zu ihrem Bedauern alle misslingen. Denn Safia weiß, dass sie dem Tode geweiht ist: Der Raja hat eine Jungfrau erhandelt und ist betrogen worden. Und sobald er es herausfindet, wird er sie töten lassen.

 

Im Prachthaus des Raja freundet sich Safia mit dem Eunuchen Lagan an, und ihm zeigt sie ihren wahren Charakter. Denn sie ist nicht Safia, die Tugendhafte. Sie ist Shamim, das Feuer, Sandhya, die Dämmerung, Sanvali, das Zwielicht, Sharvati, die Nacht oder Raka, der volle Mond. Ihre Schönheit hat nichts Sanftes, Nachgiebiges; sie ist rau wie die Wüste selbst und ihr Herz ist voller Geschichten. Und sie beginnt, Lagan in den langen, einsamen Nächten eine Geschichte zu erzählen:

 

 

Es war einmal in Indien ...

 

... eine junge Frau von außerordentlicher Schönheit, die, obgleich sie das Leben eines gewöhnlichen Menschen führte, doch die Tochter Krishnas war. Doch ihre strahlende Schönheit berauschte den Dämonenkönig, sodass er sie entführte. Krishna suchte daraufhin einen Helden, der seine Tochter retten sollte. Das Schicksal wollte es, dass die Wahl auf den Dieb Farhad viel. Zusammen mit einem heiligen weißen Tiger namens Nitish macht der Junge sich auf in eine ungewisse Reise, die ihn durch Feuer, Wasser und Luft führt. Doch er hat nur mehr Zeit bis zum nächsten Vollmond, um Krishnas Tochter zu retten ...

 

 

Antonia Michaelis hat bereits einige Romane herausgebracht, u.a. „Die wunderliche Reise von Oliver Twist“ und „Das Adoptivzimmer“. Bei einem einjährigen Aufenthalt an einer Schule in Madras, wo sie als Lehrerin arbeitete, konnte sie hautnah Eindrücke und Erfahrungen für ihren Roman sammeln, was man ihren liebevollen und farbenprächtigen Beschreibungen durchaus positiv anmerken kann. Geschickt entführt sie den Leser in die schillernde Welt Indiens zu Beginn des 19. Jahrhunderts und lässt einen tief in die Geschichte eintauchen.

 

Ein ganz besonders großen Lob haben vor allem die Charaktere verdient, denn sie sind durchaus keine perfekten Helden, sondern haben ihre Ecken und Kanten. Vor allem Farhad als feiger Dieb wirkt am Anfang so, als hätte Krishna das Schicksal seiner Tochter der denkbar schlechtesten Person in die Hände gelegt. Und dazu noch ein heiliger, weißer Tiger, der panische Angst vor Wasser hat? Ein recht ungewöhnliches Gespann, zugegeben, aber gerade das macht einen großen Reiz der Geschichte aus. Und da sich die Protagonisten wunderbar weiter entwickeln, macht das das Weiterlesen zur wahren Freude. Eingebettet in ein farbenprächtig geschildertes Indien tragen sie wesentlich zu der unterhaltsamen und interessante Geschichte bei, machen sie fesselnd und spannend. Mit einem sehr schönen und teils überraschenden Ende gelingt der Autorin schließlich ein überaus gelungener Abschluss ihrer Geschichte.

 

Wunderschön ist auch das äußere Erscheinungsbild des Buches: „Tigermond“ ist ein dickes Hardcover mit Lesebändchen und einem beeindruckenden Coverbild, das hervorragend zur Geschichte selbst passt. Denn sowohl der weiße Tiger Nitish als auch der Vollmond spielen eine wichtige Rolle in diesem Buch. „Tigermond“ ist ein wunderschönes indischen Märchen, indem alles möglich ist, Träume wahr werden und der Fantasie keine Grenzen gesetzt sind. Es ist eine Geschichte von Göttern, Heiligen und Helden, von Bestimmung und Schicksal. Es ist ein Abenteuer voller Geschichten und Einfallsreichtum, von Mut und manchmal auch nicht ganz so mutigen Helden, von tiefer und bewegender Freundschaft und Opferbereitschaft. Und zugleich ist Tigermond ein Buch über das gegenseitige Akzeptieren von kleinen Fehlern und davon, niemals die Hoffnung aufzugeben.

 

Fazit: Antonia Michaelis erzählt mit „Tigermond“ ein wunderschönes Märchen vor der farbenprächtigen Kulisse Indiens.

 

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Buch:

Tigermond

Autor: Antonia Michaelis

Gebundene Ausgabe, 364 Seiten

Verlag: Loewe, Januar 2006

 

ISBN: 3785553560

 

Erhältlich bei Amazon


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Erstellt: 26.02.2006, zuletzt aktualisiert: 08.03.2023 09:54, 1916