Treacle Walker – Der Wanderheiler (Autor: Alan Garner)
 
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Treacle Walker – Der Wanderheiler von Alan Garner

Rezension von Matthias Hofmann

 

Dieses Buch ist ein gefundenes Fressen. Es hat das höchstmögliche Potenzial für einen saftigen Verriss. Fantasyautor Alan Garner stellt höchstmögliche Hürden für die Leserschaft auf und ich vermute, dass viele Interessierte nach beendeter Lektüre das neuste Werk des inzwischen 82 Jahre alten Briten zuklappen und verwundert mit dem Kopf schütteln. Eigentlich kann man das bereits nach drei Kapiteln tun. Und dann immer wieder nach jedem weiteren.

 

Doch gemach. Gemach. Der Reihe nach.

 

Alan Garner wird vom Marketing des Verlags als »unbestreitbar der wichtigste britische Fantasyautor seit Tolkien« bezeichnet. Das ist ein Zitat von Philip Pullman, seines Zeichens selbst britischer Fantasyautor. Und fast ebenso betagt. Auch wenn man die Aussage Pullmans eben doch debattieren kann, bezieht er sich damit wohl unbestreitbar nicht auf Garners neusten Wurf Treacle Walker, sondern dessen Klassiker.

 

Auf dem Cover prangt ein Hinweis zum Booker Prize, für den »Treacle Walker« nominiert war.

Ja, in Großbritannien ist Garners Name eine große Zugnummer. Er hat sich diesen Status mit Fantasyliteratur für Kinder und Jugendliche erarbeitet. Besonders seine in den 1960er Jahren veröffentlichten Romane Feuerfrost (1960) und Elidor (1965), aber auch Rotverschiebung (1975) mehrten seinen Ruhm in England. Seit mehr als einer Dekade ist jedoch kein neuer Roman mehr erschienen. Zuletzt kamen vor ein paar Jahren seine Memoiren auf den Markt.

 

Und nun »Treacle Walker – Der Wanderheiler«, erschienen bei Klett-Cottas Hobbit Presse. Gemessen am Hype um das Buch in Großbritannien waren meine Erwartungen hoch. Und damit wohl zu hoch. Es handelt sich hierbei um ein schmales, kleines Büchlein von rund 150 Seiten, von denen ziemlich viele unbedruckt sind. Da das Werk viele kurze Kapitel hat (jede Kapitelnummer eine eigene Seite belegt, die Rückseite jeweils leer gelassen wird und da auch die Folgeseiten nach einem Kapitelende, falls diese auf eine Verso-Seite fällt, leer bleiben), hat man »Treacle Walker« sehr schnell gelesen. Ein absoluter Vorteil, wenn man mit dem Buch nichts anfangen kann.

 

Ich muss ehrlich zugeben, dass ich größtenteils nur Bahnhof verstanden habe. Sehr schnell wird klar, dass man diesen Kurzroman nicht einfach flugs herunterlesen kann. Phasenweise löst sich einfach, mir nichts, dir nichts, der hauchdünne Handlungsfaden gänzlich auf. So gestaltet sich das Lesen wie eine heikle Mission, auf der man versucht, auch nur ansatzweise zu verstehen, um was es geht.

 

Zum Plot ist folgendes zu vermelden: Es geht um einen Jungen namens Joseph Coppock, der alleine lebt und eine Augenklappe trägt, weil ein Auge schwachsichtig ist. Seine Lieblingslektüre sind Comics und diese beflügeln seine Fantasie dermaßen, dass er manchmal nicht zwischen der Realität und seinen Tag- und Nachtträumen unterscheiden kann. Es scheint auch mit dem kranken Auge zusammenzuhängen, was seine Wahrnehmung insgesamt verändert.

 

Eines Tages kommt ein Lumpensammler namens Treacle Walker vorbei. Er scheint heilende Kräfte zu haben. Und dann ist da noch ein fast nackter Sumpfmann, nur bekleidet mit einem Hut, der einem Traum entsteigt. Ach ja, und ab und zu wird Murmeln gespielt. Vielleicht sind das auch die Murmeln, die Joe verloren hat, weil er nicht mehr richtig im Kopf ist? Wer weiß das schon genau? Ich nicht.

 

Jedenfalls wird nicht nur die Handlung immer schräger, sondern auch die Dialoge und sogar die Wortwahl. Und irgendwann weht ein schöner Hauch von Nonsens-Texterei à la Lewis Carroll und seinem Jabberwocky-Gedicht durch die Seiten von Alan Garners »Treacle Walker«. Spätestens im letzten Drittel kann man sich keinen passenden Reim mehr auf die Intention und Aussagen dieses Buchs machen.

 

Wenn man, so wie ich, auf der Suche nach der Erleuchtung und nach dem Sinn des Werks im Internet recherchiert, so trifft man auf wohlwollende Kritik, aber verstärkt auch auf krasse Kommentare. Ein Leser schreibt bei der englischen Version von Amazon, dass das Buch eine Gesundheitswarnung bekommen sollte, da es in einer Sprache geschrieben wurde, die unmöglich zu verstehen sei. Das Ganze abgerundet mit dieser Bemerkung: »Ich bin mir nicht sicher von welchem Planeten der Autor kommt, aber dieser Leser gab nach 20 Seiten auf.«

 

Andere bezeichnen das Buch als »Wörtersuppe«, »Unsinn« oder »einfach plemplem«. Unter der Überschrift »Völliger Schwachsinn« beschwert sich jemand über die Irreführung durch falsche Empfehlungen bei Facebook und Nominierungen für diverse Preise. Sein Fazit: »Ich fand es schwierig zu lesen, da keine Handlung und wenig Charakterentwicklung zu finden ist. Es ist möglicherweise eine intellektuelle Metapher für Leben und Tod oder so etwas. Aber an einer Stelle im Buch dachte ich, ich hätte einen Schlaganfall gehabt, als die Wörter plötzlich einfach keinen Sinn mehr ergaben! Auf der Habenseite sind die wenigen 150 Seiten, so dass ich bis zum Ende ausgehalten habe … ich weiß aber nicht wieso. Ich hätte etwas machen sollen, das mir Spaß macht, wie den Hühnerstall zu reinigen.«

 

»Treacle Walker« ist ohne Zweifel eine besondere Leseerfahrung für erfahrene Leserinnen und Leser. Es mäandriert irgendwo zwischen Märchenerzählung und Traumgeschichte. Es ist ziemlich sicher ein Werk, welches man mehrfach lassen kann, ja muss, um die volle Bedeutung zu erfahren. Wer sich diese Zeit nimmt, der bekommt exquisite Lesekost als Anregung der grauen Zellen. Bernhard Robben, der Übersetzer, dürfte jedenfalls seine helle Freude an der Übertragung ins Deutsche gehabt haben. Hut ab!

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Buch:

Treacle Walker – Der Wanderheiler

Autor: Alan Garner

Originaltitel: Treacle Walker, 2022

gebundene Ausgabe, 160 Seiten

Klett-Cotta Hobbit Presse, 15.07.2023

Übersetzung: Bernhard Robben

 

ISBN-10: 3608987320

ISBN-13: 978-3608987324

 

Erhältlich bei: Amazon

 

Kindle-ASIN: B0C4QB5DQV

 

Erhältlich bei: Amazon Kindle-Edition


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Erstellt: 26.08.2023, zuletzt aktualisiert: 31.03.2024 20:18, 22182