Unser Walter herausgegeben von Wolfgang Thadewald und Ulrich Blode
Ein kleines Büchlein zum Gedenken an Walter Ernsting anlässlich seines 100. Geburtstags – mit Texten von Weggefährten, Kollegen und Freunden, Gebliebenen und Weitergereisten
Rezension von Matthias Hofmann
Am 13. Juni 2020 wäre Walter Ernsting 100 Jahre alt geworden. Gestorben ist er vor auch schon wieder 15 Jahren: im Alter von 84, am 15. Januar 2005. Zum Gedenken erschien am 13. Juni 2020 das Sekundärwerk Unser Walter mit dem recht langen Untertitel »Ein kleines Büchlein zum Gedenken an Walter Ernsting anlässlich seines 100. Geburtstags – mit Texten von Weggefährten, Kollegen und Freunden, Gebliebenen und Weitergereisten«.
Wenn James Brown der »Godfather of Soul« und Iggy Pop der »Godfather of Punk« waren, dann war Ernsting so etwas wie der »Godfather of German Science Fiction and German SF-Fandom«. Dafür wurde er geliebt und gehasst. Mehr wurde er aber geliebt, oder sagen wir besser: geschätzt. Und von einigen auch verehrt.
Das belegen alleine schon die ganzen Sekundärwerke, die es über ihn, der SF-Romane vor allem unter dem Pseudonym Clark Darlton schrieb und Perry Rhodan miterfand, gibt. In der Tat, von keinem deutschen SF-Schaffenden existieren so viele Monografien und Gedenkbände. Damit ist »WE« einsame Spitze und wird es wohl auch für alle Zeiten bleiben. Er war eben zur richtigen Zeit an der richtigen Stelle und hat sowohl die deutschsprachige SF-Branche, also auch die Fanszene, das GerFandom, geprägt wie kein anderer.
Nun ist in Michael Haitels Verlag p.machinery ein weiteres Buch über Walter Ernsting erschienen. Pünktlich zum Einhundertsten, möchte man meinen, aber eigentlich hat das Werk rund fünf Jahre Verspätung. Es war nämlich gedacht als vielschichtige Gedenkschrift nach dessen Tod, in memoriam, Walter Ernsting.
Wolfgang Thadewald, Sammler, Bibliograf und Urgestein des deutschen Fandoms, hatte die Arbeit an dem Band begonnen, konnte sie aber krankheitsbedingt nicht mehr abschließen und verstarb schließlich selbst im Jahr 2014. Anschließend übernahm Ulrich Blode den Posten des Ko-Herausgebers und schloss das Projekt zwar ab, doch danach schlummerte es in der To-Do-Schublade des Verlags, bis K.H.-Scheer- und Perry-Rhodan-Fan Kurt Kobler den Verleger darauf aufmerksam machte, dass Ernstings rundes Jubiläums anstünde. Dieser Impuls war stark genug, um Haitel das verlegerische Werk vollendeten zu lassen. Und das Ergebnis kann sich optisch sehen lassen. Es wurde nicht an Illustrationen und auch nicht an Farbe gespart, wie in früheren Tagen aus Kostengründen leider üblich.
Inhaltlich wird die fast schon erwartbare Mischung an Anekdoten und Nachrufen geboten. Da es über die Jahre, bereits zu Lebzeiten von Ernsting, an allerlei Stellen schon sehr viel über den Mann zu lesen gab, erfahren diejenigen, die sich mit der Person Walter Ernstings schon beschäftigt haben, nichts wirklich Neues.
Doch wer sind die Leute, die Texte für »Unser Walter« beigesteuert haben? Sie werden nicht vorgestellt, nicht einmal mit einem Satz, so dass man sie und ihren Bezug zu WE nicht einordnen kann. Natürlich sind die meisten Namen in der Szene bekannt, aber es wäre nicht zu viel gewesen, hätte man am Ende des Buchs wenigstens Kurzbiografien der einzelnen Autorinnen und Autoren angefügt. Immerhin ist bei den Namen Uwe Luserke und Marianne Ehrig (Sydow) in kleines Symbolkreuz beigefügt, das anzeigt, dass die betreffenden Personen verstorben sind.
Gleich der erste Beitrag ist der fragwürdigste. Marcel Bieger lieferte unter dem Titel »Walter Ernsting – was er hinterlässt«, eine verklausulierte Breitseite auf das Werk des Geehrten ab. Bieger, der zu aktiven Zeiten einer der penetrantesten Kritiker Carl Darltons war und dessen Buchrezensionen vornehmlich dadurch auffielen, wie er besserwisserisch und kleinteilig Übersetzungen zerpflückte, beginnt seinen Text mit dem Hinweis, dass Ernsting im Feuilleton »vermutlich nicht wahrgenommen« worden sei (was natürlich nicht stimmt, denn alleine sein Tod war den großen Feuilletons wie dem vom Spiegel einen ausführlichen Nachruf wert) und auch die SF-Kritik wäre nicht immer sanft mit Ernsting umgegangen. Damit meint er wahrscheinlich sich selbst. Denn Bieger lässt es sich nicht nehmen, seinen ersten Absatz mit dem Rundumschlag »Eine ernsthafte und im Sinne des Wortes kritische SF-Kritik gibt es ja nicht mehr« zu krönen. Womit er irgendwie sogar recht hat. Wenn man sich die Kritiken eines Marcel Biegers von damals, veröffentlicht in Fanzines und Magazinen wie SF-Baustelle oder SF-Times, heutzutage durchliest, dann kann man sehr schön den Unterschied zwischen Anspruch und Wirklichkeit erkennen.
Für Bieger ist jedenfalls das Spätwerk Ernstings, der 1979 bei Marion von Schröder veröffentlichte Roman Der Tag, an dem die Götter starben, der »Tiefpunkt seiner Karriere«. Und gleich im folgenden Beitrag von Dieter Braeg (»Er liebte sie so, die Science-Fiction«) wird das gleiche Buch als Ernstings größter Erfolg bezeichnet, »der noch heute in einer Taschenbuchausgabe im Handel erhältlich ist.« Ja, was denn nun?
Die meisten Beiträge zeichnen ein positives Bild des Pazifisten Ernsting, der mit seinen Lieblingsfiguren Gucky und Ernst Ellert den Humanismus und den Sense of Wonder in der »Perry-Rhodan«-Serie in den Vordergrund stellte. Die Texte sind mal amüsant, mal nachdenklich, aber stets voller Anekdoten.
Etwas aus dem Rahmen fällt der Abdruck eines Briefwechsels zwischen Walter Ernsting und dem Raketen-Ingenieur Heinz Gartmann. Letzterer ist heutzutage nahezu vergessen, weshalb auch ein unverhältnismäßig langer Artikel über Gartmann vorangestellt wird, um die Briefe zu rechtfertigen. Diese Briefe sind Ende der 1990er Jahre aufgetaucht und werden Dekaden später auszugsweise in dem Buch abgedruckt, allerdings so fragmentarisch, dass man sich fragt, was die Aktion überhaupt bringen soll. Ernsting hatte in den 1950er Jahren den Science Fiction Club Deutschland gegründet und war unermüdlich dabei, bekannte Namen für seinen Verein und die »gute Sache«, der Etablierung der SF in Deutschland, zu rekrutieren. Er umgarnte in jenen Jahren viele prominente Weltraumforscher oder sonstige Multiplikatoren, u. a. Willy Ley, Heinz Haber oder Wernher von Braun. Bei Gartmann hatten seine Bemühungen keinen Erfolg. Warum das Ganze nun als »Ein bisher unbekanntes Kapitel der deutschen SF-Geschichte« hochstilisiert wird, bleibt rätselhaft. Eine Sensation sind die abgedruckten Fragmente nämlich in keinster Weise.
Im Anhang des Buchs finden sich Bio- und Bibliografien von Walter Ernsting und Wolfgang Thadewald. Dass diese komplett von Wikipedia übernommen wurden, verleiht dem Sekundärwerk am Ende einen negativen Schatten. Hätte man sich da nicht wenigstens die Mühe machen können, einen eigenständigen Text zu verfassen, statt in übelster Fandommanier einfach die Copy-&-Paste-Maschine anzuwerfen?
Das Buch »Unser Walter« ist als Band 129 der Reihe »AndroSF« erschienen. Es ist wichtig, dass es Verlage wie p.machinery gibt, die solche Sekundärwerke und Gedenkbände veröffentlichen. Bei aller Kritik: Das Positive, das Angenehme, überwiegt. Die Textsammlung bietet eine vortreffliche gedankliche Zeitreise in vergangene Tage als die Science Fiction sich stärker im Nachkriegsdeutschland und in den Dekaden danach ausbreitete und etablierte. Ein wichtiger Katalysator (und vieles mehr) war sicherlich Walter Ernsting. Fast alle deutschen SF-Schaffenden, die nach ihm kamen und kommen, werden im Lauf der Zeit weniger Spuren hinterlassen, wie unser Walter.
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