Wir Science-Fiction-Fans haben uns schon immer auch dafür interessiert, was außerhalb der guten alten Erde so los ist. Damals, als wir noch Briefe auf Papier schrieben oder tippten, also vor der Erfindung der E-Mail für alle, unterzeichneten wir diese Korrespondenz mit »Ad Astra!«. Zu den Sternen!
Und viele benutzten den kompletten Slogan: »Per aspera ad astra!« … durch Schwierigkeiten zu den Sternen.
Elon Musk, bekannt von Tesla, X (ehemals Twitter) und Space-X, will zehn Jahre vor der NASA, bis zum Jahr 2029, Menschen auf den Mars bringen. Ich selbst bin zwar kein glühender Anhänger von allzu technischer Hard SF, verfolge aber mit mildem, wohlwollenden Interesse alle Ideen, den Weltraum oder andere Planeten zu erforschen.
Bücher zu dem Thema gibt es zuhauf. Aber mir reicht es, wenn ich alle paar Jahre ein konzentriertes Update in Form eines Sachbuchs bekomme. Zuletzt habe ich Der Weg zum Mars – Aufbruch in eine neue Welt von Sascha Mamczak und Sebastian Pirling gelesen. Daher bin ich ganz erschrocken, als ich das Erscheinungsjahr dieses Buchs nachgeschaut hatte. Es wurde im Jahr 2015 veröffentlicht und ist somit fast zehn Jahre alt.
Höchste Zeit für ein Update. Und so kommt diese Neuerscheinung der beiden populärwissenschaftlichen Bestsellerautoren Kelly und Zach Weinersmith genau zur richtigen Zeit. Unter dem Titel Unsere Zukunft steht in der Sternen steht der Untertitel »Wie wir bald den Mars besiedeln (oder auch nicht)«. Geboten wird das Ergebnis einer immensen Rechercheleistung des Autorenehepaars, dessen Fazit jedoch vielen Weltraum-Nerds nicht unbedingt gefallen dürfte.
Das Buch ist klar strukturiert und macht einen besonders soliden Eindruck. Ich erwähne das extra, weil populärwissenschaftliche Bücher zwar viele Informationen bieten und sie für uns Normalos gut verdaubar aufbereiten, aber mit den Quellenangaben mitunter etwas lax umgehen. Hier finden sich im Anhang Quellen zu 155 Fußnoten, die alleine schon beeindrucken, weil sie so vielseitig sind. Außerdem gibt es 25 kleinbedruckte Seiten mit Hinweisen auf ausgewählte Literatur für alle, die selbst weiter in die Materie eintauchen wollen. Abgerundet wird der positive Gesamteindruck durch ein umfangreiches Register, was das Buch endgültig zum brauchbaren Nachschlagewerk macht.
Die Weinersmiths eröffnen ihr Buch mit einem Siedlungsleitfaden für den Roten Planeten und einer Einführung in die Weltraummythen. Danach geht es in sechs Teilen ans Eingemachte.
Es wird nichts ausgelassen. Es gibt Antworten auf Fragen wie diese: Wie lebt es sich im Weltraum, auf dem Mond oder dem Mars? Was sind die psychologischen Aspekte? Oder wie funktioniert Weltraumsex? Wie verläuft eine Schwangerschaft? Und ist der Mars überhaupt ein geeigneter Ort, um Kinder groß zu ziehen?
Ein umfangreiches Kapitel widmen sich dem Wohnen außerhalb der Erde: auf dem Mond (»Toller Standort, ein bisschen renovierungsbedürftig.«), auf dem Mars (»Giftlandschaften und ein giftiger Himmel, aber was für eine tolle Gelegenheit!«), in riesigen rotierenden Weltraumrädern (»Gar nicht mal die schlechteste Option.«). Noch schlechtere Optionen sind: Asteroiden, die Venus, der Merkur, das äußere Sonnensystem oder der Weltraum an sich.
Weitere Teile des Buchs widmen sich der Aufgabenstellung »Wie man ein Terrarium für Menschen einrichtet, das gar nicht so schrecklich ist«. Das ist natürlich keinesfalls trivial. Wo kommt die Nahrung her? Was macht man mit menschlichen Ausscheidungen. Hier werden bisherige Forschungen wie das Projekt Biosphäre-2 ausgewertet und viele weitere Aspekte analysiert.
Ganz viel Raum nehmen rechtliche Fragen ein, wie das Weltraumrecht für Weltraumsiedlungen. Das meiste davon ist etwas trocken, auch wenn es mit Beispielen angereichert wurde. Aber es sind valide Fragen, an die alle Weltraumromantiker, die »mal schnell« den Mars besiedeln wollen, normalerweise keine Gedanken verschwenden.
Interessant ist auch die Fragestellung, was passiert, wenn im Weltraum ein Mord passiert oder was, wenn es zu Kannibalismus kommt, falls einer aufgefressen werden muss, um das Überleben der restlichen Belegschaft zu sichern.
»Unsere Zukunft steht in der Sternen« ist nicht nur ein faszinierendes Buch über die Expansion der Menschheit ins Weltall und bis zum Mars, sondern auch ein ernüchterndes Werk für all jene, die bislang euphorisch eingestellt waren. Bei den beiden Autoren, die sich als »Space Bastards« bezeichnen, hat sich die Einstellung geändert, je intensiver sie sich mit dem Thema beschäftigt haben. Neben all den Widrigkeiten wie der Finanzierung, den diversen Intentionen, dem (Über)Leben, dem Legalen, ist vor allem der Faktor dem Umfangs ausschlaggebend.
Die Weinersmiths unterteilen die Expansion ins All grob in zwei Möglichkeiten. Einerseits kann man mit ein paar Menschen anfangen und über Jahrzehnte, Jahrhunderte und Generationen von einer kleinen Marsbasis zur Weltraumstadt planen. Oder man wartet noch viele Jahre bis man die technischen Möglichkeiten entwickelt und weitere Erfahrungen gesammelt hat, um dann in großem Stil die Erde zu verlassen, also Tausende von Menschen gleichzeitig. Das dauert und setzt voraus, dass die Zivilisation auf der Erde und die Erde selbst, wie wir sie kennen, noch so lange existieren.
Alles in allem hat mir das Buch sehr gefallen. Es ist enorm unterhaltsam geschrieben, gespickt mit etlichen kuriosen Anekdoten, und obendrein pointiert mit Zeichnungen von Zach Weinersmith illustriert. Andere sehen das auch so, denn es ist dieses Jahr nominiert in der Kategorie »Beste Sekundärliteratur« (Best Related Work) für den Hugo Award 2024.
