Unternehmer (Autor: Matthias Nawrat)
 
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Unternehmer von Matthias Nawrat

Rezension von Ralf Steinberg

 

Verlagsinfo:

Lipa ist dreizehn, und sie ist Mitarbeiterin des Monats in einem Familienunternehmen der besonderen Art. Gemeinsam mit dem Vater und ihrem kleinen Bruder, dem einarmigen Berti, durchforstet sie die Industrieruinen der Schwarzwaldtäler nach verwertbaren Stoffen, Tantal und Wolfram etwa, denn die, sagt der Vater, »werden uns besonders reich machen«. Er sagt: »Heute ist Spezialtag.« Und: »Schmerzen müssen wir ertragen können. Das ist das Gesetz des Unternehmertums.«

 

Rezension:

Matthias Nawrat nahm mit dem Auftakt von Unternehmer am Bachmann-Preis teil. Die fertige Erzählung kann Stil und Stimmung über die gesamte Länge bis hin zum offenen Ende aufrecht erhalten.

 

Zunächst wird nicht ganz klar, ob die dreizehnjährige Lipa aus einem Außenseiterumfeld kommt oder selbst die Dinge für uns fremdartig sieht. Nawrat lässt Lipa in ihrer eigenen Sprache zu uns sprechen. Der Bericht ist im Präsenz verfasst und wirkt dadurch so authentisch, dass sich erst nach und nach der Blick auf die Welt weitet, je nachdem, wie tief Lipa in sie hineinsieht.

Denn diese Welt liegt in der Zukunft. Eine Postapokalypse, die genauen Hintergründe werden nur unscharf deutlich, da Lipa sie nicht kennt.

Ihre Familie lebt vom Verkauf bestimmter Bauteile und Metalle, die sie aus Schrott und Ruinen bergen und grob verwerten. Der Vater leitet den kleinen Überlebensbetrieb mit klaren Regeln. So führt Lipa die Bücher, während ihr jüngerer Bruder in die Ecken kriecht, in die der Vater nicht hineinpasst. So verlor er seinen Arm. Doch getreu der Unternehmensphilosophie ist das ein Opfer, das es zu verschmerzen gilt.

Obwohl es in der Stadt eine Schule gibt, geht Lipa nicht dorthin, da sie ja Arbeit hat. Aber sie erhält Kontakt zu den Arbeitslosen, die zur Schule gehen, dem Nichtstun verfallen. Und dann ist da der lange Nasen-Timo. Das Unternehmen und die Liebe berühren sich …

 

Lipas Sprache ist wohl das markanteste Merkmal an Nawrats Erzählung. Angepasst an die Regeln des Familienunternehmens und aufgewachsen fernab anderer Kontakte, die über Begrüßungen hinaus gehen, richtet das Mädchen auch ihre Weltsicht ganz auf das Unternehmertum aus. Dabei hangelt sich Lipa an den Mantra-gleichen Sätzen entlang, mit denen ihr Vater offensichtlich die Erziehung der Kinder vornahm. Die Mutter ist eine stille Frau, die wohl zu oft ihren Ärger über die Situation hinunterschluckte. Und solange die karge Existenz zu bewahren ist, spielt sie das Rollenspiel ihres Mannes auch mit.

Denn tatsächlich gibt es auch eine andere Welt. Zwar ebenso postapokalyptisch, jedoch mit deutlich mehr Bildung und Zivilisation, als es in Lipas Familie vorzufinden ist. Vielleicht aber ist auch der Vater von beschränktem Gemüt und Lipas Mutter liebt ihn so sehr, dass sie mit ihm eine Familie gründete und erst spät begreift, dass sie nicht alles laufen lassen kann.

Im Prinzip könnte sich Lipas Leben auch heute so entwickeln, in irgendeiner Nische, die das soziale Netz nicht erreicht.

Lipa stößt durch ihre Gefühle in die andere Welt vor. Lernt ihre Bedürfnisse kennen und wagt zumindest einige Blicke hinaus. Dabei grenzt ihr Unwissen immer stark an Naivität. Die Spuren von Misshandlungen auf dem Körper ihres Freundes sieht sie als Teile seines Daseins wie auch die Verstümmelung ihres Bruders. Es gibt kein Aufbegehren. Selbst als der lange Nasen-Timo auf eine Flucht drängt, sieht sie nicht den Zusammenhang zwischen den blauen Flecken und seinem Wunsch.

Diese furchtbare Prägung kommentiert Nawrat nie. Stets bleibt er innerhalb der Perspektive von Lipa und zwingt uns somit, die moralischen Deformationen selbst zu bewerten.

Vielleicht ist das auch der Grund, warum es kein wirkliches Ende gibt. Lipa bleibt mit ihrer Entscheidung an einem Punkt zurück, von dem an ein Scheitern ebenso möglich ist, wie der Beginn einer erfolgreichen Unternehmung.

 

Fazit:

Die feinfühlig erzählte Geschichte von Lipa, der Unternehmensassistentin und Mitarbeiterin des Monats, die wir ein kurzes Stückchen ihres Weges begleiten, zieht von der ersten bis zur letzten Seite in einen magisch scheinenden Bann. Matthias Nawrat setzt Sprache ein als wäre sie ein sanfter Morgenwind, der achtlos über die Ruinen seiner Schwarzwaldwelt weht. Science-Fiction für GenießerInnen.

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Buch:

Unternehmer

Autor: Matthias Nawrat

Gebundene Ausgabe: 137 Seiten

Rowohlt, 7. März 2014

 

ISBN-10: 3498046128

ISBN-13: 978-3498046125

 

Erhältlich bei: Amazon

 

Kindle-ASIN: B00H07CDWO

 

Erhältlich bei: Amazon Kindle-Edition

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Oje, das hat nicht geklappt, Elfenwerk! 202404201618006c77cdd5
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Erstellt: 19.08.2014, zuletzt aktualisiert: 24.06.2022 16:58, 13656