Verfallen, Folge 1: Astoria (ASP)
 
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Verfallen, Folge 1:Astoria von ASP

Rezension von Ralf Steinberg

 

Verlagsinfo:

Der Phantastik verschrieben sich ASP bereits mit ihrem ersten Album Hast Du mich vermisst? aus dem Jahr 2000. Mit vier weiteren Alben bilden sie einen musikalischen Schauerroman, der unter dem Titel Der schwarze Schmetterling bekannt wurde.

2008 gelang ASP ein besonderer Erfolg mit dem Album Zaubererbruder, das sich an Krabat von Otfried Preußler anlehnt.

Ihr neuestes Album ist nun eine Zusammenarbeit mit Kai Meyer, dessen Kurzgeschichte Das Fleisch von Vielen als Inspiration diente.

 

Rezension

Das Konzeptalbum Verfallen, Folge 1:Astoria ist der erste Teil, des auf zwei Alben konzipierten Projektes und erschien auch in einer limitierten Novel Edition, die neben der Kurzgeschichte auch ein umfangreiches Artwork und eine Bonus-CD enthält.

 

Das Album:

Die Songs erzählen die Geschichte von Paul, der 1919 Berlin den Rücken zukehrt um in Leipzig zu leben. Was er zurücklässt ist nicht ganz klar. Sein Leben befand sich an einem Kreuzweg, die Kleidung, die er trägt gehörte einem anderen und auch sein Name ist ein neu gewählter.

Mit Leipzig verknüpft er Hoffnung, Liebe vielleicht.

Kaum angekommen verfällt er dem Sog des Hotels Astoria direkt am Hauptbahnhof. Er nimmt die vakante Hausmeisterstelle ein und gerät in einen Strudel aus grauenvoller Obsession und Leidenschaft für das Haus, dessen Atem und Herzschlag er hören kann. Und dessen Befehle …

 

Weil die Texte der einzelnen Lieder zusammen eine Geschichte beschwören, gibt es das Textbuch kostenlos auf der Homepage von ASP.

In einigen Stücken führt die Betonung des Gesanges und der Zwang zur deutlichen Artikulation dazu, dass er sich überdeutlich von der Musik abhebt. Gerade in den Metal-Songs führt das zu einer gewissen Dissonanz. Deutlich stringenter ist die Symbiose in den eher ungewöhnlicheren Stücken, etwa dem Tango oder dem schon sehr poppigen Souvenir, Souvenir, das übrigens nichts mit dem Stück von Bill Ramsey zu tun hat.

Musikalisch steigert sich die bedrohliche Stimmung immer mehr.

Was zunächst mit der aufgeregten Bahnfahrt beginnt, die jede Schwelle mit zu trommeln scheint, ergießt sich in eine Powerballade voller Liebessehnsucht und Hoffnung, die direkt in die Anbetung des Hotels, der neuen Geliebten übergeht.

Das Staccato-artige Dro[eh]nen aus dem rostigen Kellerherzen gleicht dem Adrenalin-beschleunigten Puls, mit dem Paul sich durch das Hotel bewegt, willig und bereit, dessen Drängen nach zu geben. Dabei spielen sowohl sexuelle Nuancen eine Rolle, als auch die Besessenheit, die durch den Druck der Wesenheit ausgeübt wird, die sich in dem Haus gebildet hat. Als Essenz aus den Begierden der Gäste, aus ihren Gedanken, Ausdünstungen und Ängsten. Und den Haaren.

Das Finale bildet dann das wuchtige Loreley, deren Strophen in fast theatermäßigen Stimmnuancen die verschiedenen Gefühle Pauls repräsentieren und zynisch böse enden, während Fortsetzung folgt … 1, Dank, Versprechen und Rausschmeißer zugleich ist.

So vielfältig die Stile auch sind, es überwiegen die Gitarren-lastigen Metalsongs, treibend, mit großem Soundteppich und sich den Texten stets unterordnend.

 

Die Bonus-CD bietet zwei Lesungen von Kai Meyer und zwei zusätzliche Songs von ASP, die aber nichts zum Album selbst hinzufügen.

 

Die Kurzgeschichte:

Eine Demo in Leipzig. Alternative Linke, Nazis und die Polizei stehen sich gegenüber, die Gewalt eskaliert. Enttäuscht von der Eskalation versuchen Jana und ihr Freund Tim dem Chaos zu entkommen. Sie studiert Politik und Soziologie, er such nach drei abgebrochenen Ausbildungen immer noch seinen Weg, lebt in einer Hausbesetzer-WG. Auf ihrer Flucht von einer Gruppe rechter Schläger, geraten sie in das verlasse Edel-Hotel Astoria. Doch statt einer sicheren Zuflucht finden sie dort Menschenhaare, monströse Löcher im Putz, die einer buckligen Gestalt gleichen und den uralten Atem eines hungrigen Hauses …

 

»Das Fleisch von Vielen« ist zunächst eine immer beängstigender werdende Gruselgeschichte über ein altes, verlassenes Gemäuer, wie es sie zu Dutzenden gibt. Ähnlich wie Markus K. Korb, verbindet Meyer das klassische Sujet mit Geschichte und Zeitgeist. In wenigen Sätzen baut Meyer seine beiden Figuren auf, erklärt ihre Beziehung und wird mit den kurzen Schlaglichtern zur Demonstration außerhalb des Hotels auch hochaktuell.

Hinzu kommt eine sich nach und nach aufbauende Geschichtslastigkeit. Sie betrifft das Hotel ebenso wie auch Jana. Monströs wie der Schatten des fehlenden Putzes ist auch der Vergleich der auf dem Haus lastenden Erinnerungen mit den zerstörerischen Verklumpungen des Kollektivismus, der das Hotel wie eine parasitäre Idee zu DDR-Zeiten befiel und nun mit all den anderen Resten, Ahnungen und Hinterbleibseln von Jahrzehnten Betrieb und Leere eine fremd- und bösartige Daseinsform bildet.

 

Das Artwork:

Die limitierte Novel Edition präsentiert ihren erweiterten Charakter schon in der Form. Breiter als eine normale CD-Hülle und gestaltet wie ein altes Buch, wirkt »Verfallen, Folge 1:Astoria« von ASP ungemein edel.

Die durchsichtige Plastikablage für die beiden CDs jeweils auf den Innenseiten der Buchdeckel stört diesen alten, verwitterten Eindruck etwas, ist aber der Notwendigkeit geschuldet, die Scheiben sicher aufzubewahren. Doch schon gleich das altertümliche Muster der Innenseiten, mit abgegriffen scheinenden Flecken, weist deutlich darauf hin, mit welcher Sorgfalt das Design eines vergilbten Buches nachempfunden werden sollte.

Die Kurzgeschichte von Kai Meyer bildet den ersten Teil der klassisch gebundenen Buchseiten. Wie altes, grobfaseriges und billiges Papier sehen die Seiten aus. Es gibt bräunliche, wie Fettflecken aussehende, Verfärbungen, Abdrücke von Stiften und hinter den Schreibmaschinenbuchstaben erkennt man quer über die Seiten das Wort Fleisch. In der Form eines hastigen Graffiti mit einem Malerpinsel, jedoch so blass, dass es wirkt wie der Schatten einer Geheimtinte.

Auf die Geschichte folgen vergilbte Fotos des Hotels. Die leeren Räume von heute, Stadtbilder aus dem frühen 20. Jahrhundert, Postkarten mit dem Hotel Astoria aus jenen Tagen und Collagen, die aus den Fotos des leerstehenden Gebäudes unter Hinzufügung von Haaren und Knochen düstere Illustrationen der Kurzgeschichte erstehen lassen.

Dazwischen finden sich die Songtexte in altertümlicher Handschrift auf verwitterten Papieren, locker hingeworfen und abfotografiert, wie Blätter aus einem uralten Tagebuch.

Die Texte sind darauf kaum zu entziffern, leider fehlt das oben verlinkte Textbuch mit den lesbaren Lyrics in der limitierten Edition.

 

Fazit:

Neben dem wunderschön aufgemachten CD-Buch erhält man mit der Limited Novel Edition »Verfallen, Folge 1:Astoria« von ASP auch ein beeindruckend atmosphärisches Album, dessen Songs eine fast ebenso düstere Geschichte erzählen, wie das im Inneren wartende »Das Fleisch der Vielen« von Kai Meyer. Alles zusammen bildet eine Horror-Edition der Extra-Klasse. Musik, Text und Artwork sind hier auf Augenhöhe zu einem Kunstwerk verschmolzen.

 

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CD:

Verfallen, Folge 1:Astoria

Band: ASP

Limited Novel Edition

Umfang: 2 CDs

Trisol Music Group (Soulfood), 16. Oktober 2015

incl. Das Fleisch der Vielen von Kai Meyer

Artwork: Joachim Luetke

 

Inhalt Disk 1:

<typolist>

1. Himmel und Hölle (Kreuzweg)

2. Mach's gut, Berlin!

3. Zwischentöne: Ich nenne mich Paul

4. Zwischentöne: Baukörper

5. Begeistert (Ich bin unsichtbar)

6. Zwischentöne: Lift

7. Astoria verfallen

8. Souvenir, Souvenir

9. Zwischentöne: Blank

10. Dro[eh]nen aus dem rostigen Kellerherzen

11. Alles, nur das nicht!

12. Loreley

13. Fortsetzung folgt … 1

</typolist>

Inhalt Disk 2:

1. Kai Meyer: Lesung, Teil 1 (Arkadien)

2. Die Löcher in der Menge

3. Kai Meyer: Lesung, Teil 2 (Die Alchimistin)

4. Die Gabe

</typolist>

 

ASIN: B0143R4IGM

 

Erhältlich bei: Amazon

Oje, das hat nicht geklappt, Elfenwerk! 202404200758333495097b
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Erstellt: 04.11.2015, zuletzt aktualisiert: 22.12.2022 20:39, 14156