Verräter verdienen keine Chance von Petra Kasch
Rezension von Christine Schlicht
Julian will einfach nur seine Ruhe haben. Er ist nur von Verrätern umgeben und er braucht niemanden, die Flaschen von Mitschülern ebenso wenig wie die Lehrer. Er ist sitzen geblieben und hat keinen Bock mehr auf Schule, ihm droht ohnehin nur die Hauptschule.
Der Einzige, zu dem er noch ein wirklich gutes Verhältnis hat, ist sein kleiner Bruder Ben, denn der weiß schließlich nichts von dem größten Verräter in seinem Leben: Seinem Vater, der ihn und die schwangere Mutter sitzen ließ und nicht einmal weiß, dass er zwei Söhne hat.
Julians alleinerziehende Mutter und die Oma finden auch keinen Zugang mehr zu dem rebellischen Jungen, die Freundschaft zu Eddie ist auch in die Brüche gegangen, seit der ins Gymnasium geht. Nicht einmal mehr das heißgeliebte Fußballspielen kann ihm noch etwas geben, denn die neue Mannschaft taugt überhaupt nichts.
Da lernt er eines Tages Lena und ihre Mädchen – Punkergang kennen. Lena ist cool, sie lebt mit den anderen Mädchen im Keller des alten Güterbahnhofes und beschäftigt sich mit S-Bahn-Surfen und ähnlichem Thrill. Eigentlich kann sie ihm auch gestohlen bleiben, aber er lässt sich von ihr zu einer Mutprobe der besonderen Art überreden: Er soll bei seinem Lehrer einbrechen und ein Familienfoto stehlen.
Julian macht es tatsächlich und muss mit Erschrecken feststellen, dass sie die Tochter des Lehrers ist. Julian wird zum Lernen verdonnert, um der Einbruchs-Anzeige zu entgehen, doch er wird Lena nicht mehr los. Die holt schließlich seinen kleinen Bruder vom Kindergarten ab, entführt ihn quasi und bringt den Kleinen und sich selbst in tödliche Gefahr, aus der sie Julian rettet.
Dennoch, er gibt auf, er will die Schule abbrechen und endlich seine Ruhe finden. Da bietet sich ihm eine letzte Chance, sein Leben noch mal in den Griff zu bekommen.
Wow, das ist cool. Oder?
Die Story ist genial. Genial, weil sie absolut glaubwürdig und in einer Sprache geschrieben ist, die den jugendlichen Lesern bekannt und absolut eingängig ist. Glaubwürdig auch, weil sie selbst einen Erwachsenen am komplizierten Seelenleben eines gedemütigten Heranwachsenden teil haben lässt.
Und auch hoffnungsvoll – selbst für eine scheinbar so verkorkste Existenz wie Julian gibt es immer noch einen Ausweg, man muss ihm die Tür nur weit genug aufhalten und ihn durchschubsen.
Ist es so einfach? Vielleicht. Es wäre auf jeden Fall schön und erstrebenswert. Machbar, wenn alle daran mitarbeiten.
Petra Kasch hat sich sichtlich eingehend mit der Zielgruppe befasst und mit Julian einen zwiespältigen Charakter geschaffen, in dem sich wohl viele Jugendliche wiederfinden können.
Er ist kein schlechter Kerl, das merkt man schon in seinem Umgang mit dem kleinen Bruder und absolut tauglich, auch Verantwortung zu tragen. Nur erkennt er eben nicht, dass er damit schon die größte Mutprobe überhaupt bestanden hat – das Leben selbst.
„Verräter verdienen keine Chance“ ist flüssig geschrieben, spannend und mitreißend. Man fiebert mit Julian mit und hofft inständig, dass er noch mal ‚zur Vernunft kommt’. Ein Buch zum in einem Rutsch durchlesen.
Doppelplusgut und ultracool.