Weltengänger (Autor: Sergej Lukianenko)
 
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Weltengänger von Sergej Lukianenko

Rezension von Carina Schöning

 

Stell dir vor, du kommst nach Hause und dein ganzes Leben wurde ausgelöscht. Als hättest du niemals existiert…

 

Vor dem gleichen Problem steht plötzlich Kirill Maximov. Eines Tages kommt er nach Hause und erkennt seine eigene Wohnung nicht mehr. Neue Tapete, neue Fliesen, neuer Teppich. Selbst Kirills Terrier Cashew verhält sich ihm gegenüber fremd und in seiner Küche steht plötzlich eine unattraktive, fremde Frau mit der festen Überzeugung, dass ihr die Wohnung gehört. Natalja Iwanowa kann sogar im Beisein der Nachbarn und der Miliz die Papiere für die Wohnung vorzeigen und beweisen, dass sie dort die letzten drei Jahre gelebt hat.

Kirill ist fassungslos, will aber auf keinen Fall klein beigeben und ruft alle öffentlichen Stellen an. Doch nirgends ist er verzeichnet. Die Wohnung läuft auf Iwanowas Namen, der Hund gehört ihr und selbst seine Krankenakten sind eigenartigerweise verschwunden. So langsam wird er halb wahnsinnig: seine Eltern, Ex-Freundinnen, Freunde, Arbeitgeber… wen er auch anruft, keiner kann sich an ihn erinnern. Als hätte er niemals existiert…

 

Einzig sein Freund Konstantin Tschagin, kurz Kotja, ein verkappter Schriftsteller und Frauenheld erinnert sich mühsam an ihn. Nach einer durchzechten Nacht mit ihm erhält Kirill einen mysteriösen Anruf, der ihn zu einem verlassenen Wasserturm in der Nähe der Metrostation Alexejewskaja leitet. Dort wird ihm das ganze Ausmaß seines Schicksals bewusst. Er ist irgendwie zu einem Funktional geworden. Genauer gesagt ein Zoll-Funktional, das Reisende zwischen den Parallelwelten kontrollieren und ggf. Zölle auf Ein- oder Ausfuhrwaren erheben muss.

Der Turm ist fortan sein neues Zuhause und formt sich nach seinen Wünschen um. Kirill darf sich maximal 10km von ihm entfernen, sonst schwindet seine Kraft. Bis auf diese Einschränkung wird er aber ein relativ leichtes Leben führen können. Die Einnahmen aus den Zöllen und Steuern darf er zu seinen Gunsten behalten und die Umwandlung zum Funktional hat ihn fast unsterblich gemacht. Doch statt sich darüber zu freuen, fragt er sich immer mehr nach den Gründen für seine Funktional-Umwandlung und was wirklich dahinter steckt.

 

Wie auch in dem Vorgängerroman „Spektrum“ schafft es Lukianenko in „Weltengänger“ eine stimmige Mischung aus Science Fiction, Gesellschaftskritik, russische Alltagsbetrachtungen und philosophischen Hintergedanken zu präsentieren. Selbstverständlich mit Querverweisen zu aktuellen Bücher und Filmen der Gegenwart und eine gehörige Portion Humor. Während in „Spektrum“ jedoch das Reisen zwischen den unterschiedlichen Planeten möglich ist, sind hier die Ausmaße wesentlich kleiner. Es gibt insgesamt nur 23 Parallelwelten, die von den Funktionalen mit Menschen besiedelt wurden (vorausgesetzt die Lebensbedingungen stimmten) und Kirill kann davon auch nur fünf betreten. Jede dieser Welten wurde von den Funktionalen als eine Art Experiment mit bestimmter Richtung angelegt. So wird auf „Erde2“ (unsere Welt) erforscht wie sich Supermächte verhalten. Die Menschen auf „Antik“ dagegen sind, wie der Name schon sagt, in der Antike stehen geblieben. Dort wird eine Gesellschaftsform mit akzeptierter Sklavenhaltung untersucht, während „Kimgim“ besonders wegen des Fehlens von Staaten und Königreichen für die Funktionalen interessant ist. „Nirwana“ ist eher als eine Art Gefängnis oder Verbannungsort für Aufsässige und Querdenker gedacht. Die Luft ist mit Psychedelika versetzt und jeglicher Wille schwindet im Dauerrauschzustand.

Selbstverständlich kann Kirill, der aus der ärmeren Mittelschicht Moskaus kommt, nichts mit dem hochtrabenden Zwei-Klassen Gehabe der Funktionalen anfangen und rebelliert nach und nach gegen sie.

Die Handlung ist gewohnt episodenhaft angelegt und beginnt etwas zäh und langatmig, gewinnt dann aber schnell an Spannung. Mittendrin verstrickt sich der Autor ab und zu in Nebensächlichkeiten und man vermisst als Leser doch den straffen, roten Faden von „Spektrum“ oder den „Wächtern“ Romanen. Lukianenko kann hier sein selbst gesetztes hohes Niveau nicht ganz halten. Die Themen der Kolonisierung und des Reisens werden weniger umfangreich und komplex behandelt und auch der Action-Anteil ist stark zurück geschraubt worden.

 

Die Ausstattung und Verarbeitung von „Weltengänger“ ist zwar gewohnt edel und hübsch anzusehen, aber die 590 Seiten in Großschrift täuschen doch sehr über den eigentlichen Umfang des Romans. Dabei entsteht leider der Eindruck, dass der Verlag es absichtlich etwas mehr aufgebauscht hätte, um den Preis besser rechtfertigen zu können. Auch der gewählte Titel „Weltengänger“ ist eher schlecht ausgesucht. Das russische Original heißt übersetzt „Rohschrift“ und der kommende zweite Teil „Reinschrift“, was eigentlich bezogen auf Handlung und Hintergrund einfach besser passen würde.

 

Insgesamt ist „Weltengänger“ ein spannender und abwechslungsreicher Roman nach klassischer Lukianenko-Art mit viel Humor und witzigen Anspielungen auf bekannte Science Fiction- und Fantasy-Autoren. Im Vergleich zu den anderen Romanen ist er zwar eher etwas einfacher gehalten, bietet aber trotzdem fesselnde Unterhaltung und so manch einen interessanten Gedanken zum Hinterfragen unserer derzeitigen Gesellschaftsstruktur.

 

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Oje, das hat nicht geklappt, Elfenwerk! 20240427070805f8f374d5
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Weltengänger

Autor: Sergej Lukianenko

Broschiert: 800 Seiten

Verlag: Heyne TB (Oktober 2007)

Sprache: Deutsch

ISBN-10: 3453523490

ISBN-13: 978-3453523494

Erhältlich bei: Amazon


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Erstellt: 29.10.2007, zuletzt aktualisiert: 22.04.2024 09:04, 5167