Wolfsgeheul (Autorin: Karin Sittenauer)
 
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Wolfsgeheul

Autorin: Karin Sittenauer

 

Warum befand ich mich hier? Meine Finger fühlten sich steif vor Kälte an und meine Zehen hörten langsam auf zu schmerzen. Vermutlich waren sie bereits abgefroren, abgestorben und für immer gefühllos. Trotzdem stapfte ich weiter hinter der Gruppe her, durch tiefen Schnee und lediglich von dem vollen, großen Mond beobachtet.

 

Oder beobachtete mich noch jemand - oder etwas? Befanden sich Wölfe in der Nähe, musterten mich mit durchdringenden Augen und ich bemerkte sie nur nicht? Ich wusste es nicht und langsam schien es mir unwahrscheinlich.

 

Die Entrüstung meiner Frau kam mir wieder in den Sinn, ich hörte erneut ihre spöttischen Worte:

 

"Was willst du auf einer Wolfsafari? Ihr Geheul hören? Lächerlich! Als ob du das nicht ebenso im Fernseher könntest. Was soll daran besonders sein?"

 

Sie hatte mich nicht verstanden, als ich ihr meinen Entschluss, nach Kanada zu fliegen mitgeteilt hatte und sie hatte es auch nicht akzeptiert. Dabei hatte ich insgeheim gehofft, dass sie dieses eine Mal meiner Meinung wäre, einmal die selbe Begeisterung empfinden würde. Ein Trugschluss, ein sinnloser Optimismus, nichts als ein Wunsch, der wie so viele andere nicht in Erfüllung gegangen war.

 

Immer weiter wanderte die Gruppe in die Wildnis und ich wusste, dass ich ohne Führer nicht mehr zurück zum Wagen finden würde. Der Trupp bestand aus mindestens dreißig Leuten, Frauen und Männern, auch Teenagern, die nach einem Stück der ursprünglichen Natur suchten. Oder weshalb nahmen wir sonst diese Strapazen auf uns?

 

Zugegeben, ich hatte nicht geahnt, dass die Wanderung so lange dauern würde, dass mein Ziel derart von jeder Zivilisation entfernt sein würde. Und mit zunehmender Kälte sehnte ich mich nach Hause, auf meine Couch, zu meiner Frau. Wir würden einen guten Film ansehen, vielleicht ein Gläschen Wein trinken und später würden wir zu Bett gehen.

 

Wir würden kaum miteinander sprechen; in der Tat konnte ich an den Fingern abzählen, wann wir uns die letzten Jahre zehn Minuten unterhalten hatten. Als ich sie fragte, ob sie mit nach Kanada fliegen würde, da hatte sie zehn Minuten gezetert, mich einen Narren geschimpft.

 

Unser Führer, ein Ranger, hielt in seinen Bewegungen inne. Er winkte uns, näher zu kommen, uns neben ihm aufzustellen. Vor uns erstreckte sich ein weites Tal. Ein silbriges Tal, aus dem dunkle Baumspitzen empor ragten, von Nebel verschleiert und vom Mondschein beleuchtet.

 

Die Bäume standen starr, still, überhaupt umgab mich jetzt nur noch Stille. Nicht einmal mehr unsere Stiefel knirschten im Schnee, mein Atem schien mir aufdringlich laut. Ich war weite Wanderungen nicht gewöhnt, hätte im Vorfeld mehr für meine Kondition tun müssen.

 

Jetzt hob der Ranger seine Hände an den Mund, bildete eine Art Trichter aus ihnen, bog seinen Kopf nach hinten und begann zu heulen. Er imitierte das Geheul der Wölfe und ich starrte ihn an.

 

In diesem Augenblick kam mir mein Vorhaben wirklich lächerlich vor. Ich sah den Ranger mit den Augen meiner Frau. Wie er in tiefster Nacht im Wald stand und heulte. Ich beobachtete die Gruppenmitglieder, wie sie gespannt lauschten und schimpfte mich einen Narren. War ich wirklich so weit gereist, um einen Mann jaulen zu hören?

 

Wieder versuchte er es, holte tief Atem und erhob seine Stimme. Mehrmals hintereinander ließ er den lauten Ton anschwellen, wieder verebben und dann verstummte er. Wir alle blieben schweigend. Der Wald war still und der Nebel kroch langsam empor, erreichte bereits unsere Füße und schien uns verschlucken zu wollen.

 

Enttäuschung machte sich in mir breit, ich wusste sicher, dass die Wölfe nicht antworten wollten, dass sie uns Menschen für unwürdig erachteten. Und mit dieser Gewissheit - endlich ohne Erwartungshaltung - wandte ich mich der Natur zu, bewunderte erstmals den sternklaren Himmel, freute mich, keinen Straßenlärm zu hören, genoss die Ruhe.

 

Jäh riss mich ein unheimlicher Ton aus meinen Grübeleien. Ein Wolf! Konnte es wirklich ein Wolf sein? Schauerlich klang das Heulen, es drang aus den tiefen der nebeligen Ebene zu uns empor und dann wurde es von weiteren Stimmen aufgegriffen. Ringsum antworteten Wölfe dem einen, der den Anfang gemacht hatte. Näher und ferner, lauter und leiser sprachen sie miteinander, unterhielten sich und wenngleich ich sie nicht verstand, ahnte ich etwas von ihrem Wesen.

 

Ich spürte die Wildheit, die Unabhängigkeit, aber auch die Fürsorge anderen Rudelmitgliedern gegenüber. Ich lauschte den Wölfen regungslos, dachte nicht mehr an zu Hause, nicht mehr an den Trupp oder den Ranger. Mein ganzes eigenes Leben interessierte mich in diesen Momenten nicht mehr, war wie weggefegt und unwichtig. Ich hörte einfach nur zu, wie diese gefährlichen, wilden, wundervollen, unabhängigen und freien Tiere heulten.

 

Irgendwann wurde es ruhiger, verebbte ihr Gesang und ließ uns lauschend in der Stille unterm Silbermond zurück. Zunächst bewegte sich keiner, niemand sprach. Der Ranger ahnte wohl, wie ein Mensch sich fühlte, wenn er dies zum ersten Mal erleben durfte. Er gönnte uns diese Zeit, diese Zeit uns selbst zu finden. Uns selbst in dieser Fremde zu erkennen, zu erfühlen, was wir mit den Wölfen teilten.

 

Schließlich brachen wir wieder auf, stapften den weiten Weg durch Schnee zurück. Mir aber schienen meine Füße leicht, als hätte ich neue Kraft gewonnen. Ich hatte jedes Zeitgefühl verloren, wusste nicht, wie lange die Wölfe für uns und für sich selbst gesungen hatten. Aber ich spürte, dass sie mich stärker werden ließen. Es war mir eine Ehre, diese Nacht mit ihnen geteilt zu haben. In mir wuchs ein Vertrauen in mich selbst und ich wusste, dass ich den richtigen Weg gegangen war. Ich bereute nicht, so weit gereist zu sein.

 

Der Mond schien in meinem Rücken und durch den dunklen Himmel über mir funkelte eine Sternschnuppe. Ich durfte mir etwas wünschen, doch welchen Wunsch empfand ich jetzt noch? Schnell überlegte ich, um ihn aussprechen zu können. Und dann formulierte ich ihn in Gedanken, einen Wunsch, von dem ich vor wenigen Stunden nicht gewusst hatte, dass er in mir schlummerte:

 

"Ich wünsche mir, dass die Trennung von meiner Frau schnell und ohne Streit vonstatten geht."

 

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Oje, das hat nicht geklappt, Elfenwerk! 2024042614303652bb16eb
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Erstellt: 28.07.2005, zuletzt aktualisiert: 27.09.2016 09:58, 814