Zauber einer Mondnacht (Autor: Holger Kutschmann)
 
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Zauber einer Mondnacht

Autor: Holger Kutschmann

 

T'fer führte den Stoß aus dem Sprung heraus, hinterrücks, lautlos und geschickt. Der Dolch drang widerstandslos zwischen die Rippen des Wachgängers, dem nur ein leises Ächzen von den Lippen ging, ein schmerzerfüllter Laut der Verwunderung. Dann wich alles Leben aus ihm. T'fer packte den in sich zusammensackenden Körper, bevor er in den Burghof stürzen konnte. Die Laterne entfiel den erschlaffenden Händen des Toten und landete klöternd auf dem Wehrgang, das Klirren springenden Glases schnitt durch die Nacht. Mit leisem, höhnischem Gluckern strömte Lampenöl über die hölzernen Bohlen. Fluchend stieß T' fer den Toten vor sich her, um ihn über die jetzt auflohenden Flammen zu wälzen. Der Bursche war nicht gerade leicht! Der schwere Körper fiel dumpf krachend auf die Holzplanken und löschte dabei einen Teil des Feuers. T'fer wälzte den Toten herum, rollte ihn über das Öl. Aber jetzt brannte auf einmal schon der ganze Kerl, zu allem Überfluss schien sich der Dolch im Rücken des Toten zwischen den Bohlen des Wehrgangs verhakt zu haben. Die Leiche hing fest ...

"So ein Dreck!" T'fers Blick huschte hektisch umher. Was nun? Die Flammen schlugen immer höher!

 

*

 

"Meregod, ich kriege es nicht größer!" E'ela n'Warve ballte die schlanken Hände zu Fäusten. Die kalten Flammen, die einen Moment lang den vor ihr am Boden liegenden Holzstab umzüngelt hatten, erloschen. "Warum kriege ich es nicht größer?" Ihr Blick wandte sich Meregod zu, der neben dem Kamin auf einer Holzbank hockte. Ihre grünen Augen funkelten im wabernden Schein des Kaminfeuers.

Der alte Magiker zog langsam den Kopf zwischen die Schultern und nahm eine übertrieben furchtsame Haltung an. Die Arme wie zur Abwehr von sich gestreckt, keuchte er ein "Lasst mir meine Ohren, Herrin!" hervor. "Ich kann nichts dafür ..."

Drüben am Tisch brach Nen'ju in schallendes Gelächter aus. Der Bruder E'elas wollte sich vor Vergnügen fast vom Schemel werfen.

"Mach' dich nicht über deine Schwester lustig!", herrschte Jelena ihn an, die zu Meregods Seite neben dem Kamin am Spinnrad saß. Die weißhaarige Alte war E'elas Amme und Ziehmutter beider Geschwister. Das Schwungrad kam ins stocken, der Faden riss. "Dein Vater hat dich auch nicht an einem Abend in die Geheimnisse der Waffenkunst eingeweiht."

"Ich habe aber doch über Meregod gelacht - wenn er nicht ein Magiker geworden wäre, hätte er sich auch als Hofnarr gut gemacht!"

Jelena hob die Brauen und blickte Nen'ju entrüstet an. "Sei nicht so respektlos, Nen'ju. Wie kannst du Meregod einen Narren schimpfen?"

Nen'ju verdrehte die Augen. Jelena war eine gute Frau, und er liebte sie, wie er wahrscheinlich auch seine Mutter geliebt hätte. Aber in letzter Zeit bekam sie doch vieles durcheinander, und das machte ein ruhiges Zusammenleben manchmal schwierig. Er warf Meregod einen entschuldigenden Blick zu, und dieser zuckte nur die Schultern.

Kopfschüttelnd und leise etwas unverständliches murmelnd nahm Jelena den Faden auf und gab dem Rad neuen Schwung. Die Spindel begann wieder zu sirren.

E'ela hatte indessen mit finsterem Blick den Holzstab vom Boden gehoben und auf den Tisch gelegt. Jetzt trat sie auf den Magiker zu. Ihr Gang war trotz ihres Unmuts wundervoll grazil, Meregod wünschte sich nicht zum ersten Mal, noch einmal jung zu sein. Dieses Mädchen zählte gerade fünfzehn Sommer und zeigte doch die Anmut einer Frau - sie war schön!

Er raffte sich auf, um wieder als Mann zu erscheinen, auch wenn er schon lange keiner mehr war. Die Jahre hatten ihn zum Greis geschliffen, seine Beine waren lahm, der Schädel kahl, die Finger gichtig, selbst seine Kraft entschwand ihm mehr und mehr. Nur seine Augen waren ihm treu geblieben, und dafür schuldete er den Göttern Dank.

"Ihr sagt doch, ich habe die Kraft - aber warum gelingt es mir dann nicht?"

Sein Blick hing an ihren fein geschwungenen Lippen, als sie sich zu ihm auf die Bank setzte, genoß er ihre Nähe.

"Ich glaube, ihr täuscht Euch in mir, Meregod. Ich werde die Kraft niemals beherrschen lernen." Sie ließ das Haupt sinken, dichte Locken ihres vollen Schopfes fielen herab und verwehrten ihm den Blick auf ihr Gesicht. Im lohenden Licht des Kaminfeuers flammte ihr Haar wie flüssiges Kupfer.

"Es ist ein Mondzauber", murmelte er, seine Augen suchten das Ostfenster, aber hinter den einen Spalt weit geöffneten Läden lauerte nichts als Dunkelheit. "Er wird Euch besser gelingen, wenn der Mond erst aufgegangen ist. Und ein wenig kaltes Licht habt Ihr doch erschaffen, wenn mich meine Augen nicht getrogen haben." Seine taube, ungeschickte Hand fand einen ihrer runden Schenkel und drückte ihn.

"Glaubt mir, Jungfer E'ela, Ihr habt die Kraft. Eure Mutter war eine große Magikerin, mächtiger als ich. Ich bin nur ein läßlicher Hofzauberer am kleinen, aber feinen Hof derer von n'Warve. Ihr werdet Eurer Mutter nachschlagen, und ich kann nur versuchen, Euch ein wenig anzuleiten. Wenn sich die Kraft erst einen Weg in Euren Geist gebahnt hat, werdet Ihr mich nicht mehr benötigen. Und Ihr habt Zeit - noch viel Zeit!"

Sie sah ihn an, mit diesen grünen Augen, und ihr zögerndes Lächeln wärmte ihn wohliger als das Feuer im Kamin.

 

*

 

"Bei Usa Permagon, was tut er da?" Ashara packte Cevin am Kragen. "Hast du nicht gesagt, er ist der beste Mann für dieses Unterfangen?"

"Das ist er, Herr, das ist er!", presste Cevin hervor. "Keiner tötet so lautlos wie T'fer aus Al-Thor, glaubt mir ..."

"Du bist ein Dummkopf, Cevin!" Der in die dunklen Roben eines Permagon-Priesters gehüllte Eldrain stieß den thuskischen Söldnerführer verächtlich von sich. "Er braucht dazu viel Licht ..."

Asharas Blick zuckte zurück zu den Zinnen der Burg. Der Feuerschein dort oben breitete sich immer weiter aus. "Wollte er nicht ein Seil herabwerfen? Und was ist mit dem Drachen? Wo bleibt der Drachen mit der Leiter?" Ashara warf sich herum, stapfte zu der kleinen Gruppe von Männern, die in der Dunkelheit auf ihren Einsatz wartete. Cevin folgte ihm.

"Schickt einen Läufer zum Drachenführer. Er soll sich beeilen. Jeden Moment kann es Alarm geben. Und selbst wenn sie nur ein kleiner Haufen sind, sie verteidigen sich aus der Burg heraus ..."

"Da ist der Drachen, Herr!"

Ashara riss den Kopf empor, um in den Nachthimmel zu starren. Dann entdeckte auch er den Schemen, der mit dem Wind auf die Burg zu trieb.

"Na endlich. Macht euch bereit. Wir stürmen die Burg, sobald die Strickleiter über die Zinnen ist!" Er ließ den Drachen nicht aus den Augen. "Und dann - denkt daran - ich will das Mädchen unversehrt. Ihr wird nicht ein Haar gekrümmt! Was ihr mit den anderen anstellt, bleibt euch überlassen ..."

Der Drachen taumelte unter dem dunklen Himmel dahin, wenn Ashara sich nicht täuschte, musste er jetzt schon über der Burg sein. Warum ließ der Drachenführer die Leiter nicht fallen?

 

*

 

E'ela starrte auf die fünf dürren Zweige, die aus dem knorrigen Aststumpf hervorragten. An einem von ihnen, dem mittleren, längsten Zweig, baumelte noch ein verwelktes Blatt. Und dann begann dort eine Blüte zu sprießen, entfaltete sich zu einer dunkelroten Rose.

Sie begann zu kichern.

"Ihr seid ein wahrer Meister, Meregod. Was ist das nun wieder für ein Schwindel?"

"Einbildung, Jungfer E'ela, alles Einbildung. Schwer aufrecht zu erhalten. Besonders in meinem Alter." Er lächelte ihr zu und versuchte, seine gelben Zahnstummel so gut es ging hinter den Lippen zu verbergen. Meregod entspannte sich, und die Täuschung verflog. Er zog seine von Gicht gekrümmte Hand zurück und verbarg sie in einer Tasche seiner Robe. Benahm er sich jetzt pfauengleich? Da war nicht mehr viel, mit dem er prunken konnte, trotzdem benahm er sich wie ein liebestoller Jüngling. Oder nicht?

Doch, doch ...

Meregod lehnte sich zurück. Seine Augen wichen den ihren aus, sein Blick schweifte zu Nen'ju, der am Tisch saß und ihn seinerseits musterte. Der Junge war das jugendliche Ebenbild des Burgherren. Meregod wußte das zu beurteilen, hatte er doch auch diesen von Kindesbeinen an gekannt. Und auch das Geschick im Umgang mit der Klinge zeigte das Talent seiner Väter - wenn die Familienchronik nicht trog, waren alle Männer des Hauses n'Warve verwegene und geschickte Kämpfer gewesen. Das Geschlecht der n'Warve war alt und hatte schon bessere Zeiten als diese gesehen - aber wer hatte das nicht?

 

*

 

Etwas traf Jok hart am Kopf, dann stach es in seine Schulter. Er wälzte sich herum, der Schmerz wurde stärker, flammte bis in seinen trunkenen Schädel. Jok blinzelte und öffnete die Augen, tastete nach seiner Achsel und bekam eine klebrige Klinge zu fassen. Was war das? Und woher kam das viele Licht? Selbst am Tage war der Heuschober ein Hort der Schatten, und jetzt ...

... stand der Wehrgang in Flammen! Augenblicklich wälzte er sich aus dem Stroh, kam taumelnd auf die Beine, bemerkte nicht einmal, dass er den nur halb geleerten Krug umstieß, und wankte auf den nächtlichen Burghof hinaus.

"Feuer! Feuer!" krähte er in die Nacht hinaus, seine Stimme wollte ihm nicht recht gehorchen. Hörte ihn denn niemand? "Feuer! Alarm! Feuer!" Das klang schon besser

Er entdeckte eine Heugabel, die an der Mauer lehnte. Vielleicht sollte er das Stroh aus dem Stall schaffen, bevor es in Flammen stand?

Er griff sich die Forke. Das war ein guter Einfall. Er setzte gerade zu einem weiteren Alarmruf an, als er oben auf dem lohenden Wehrgang etwas aufblitzen sah. Dann bohrte es sich heiß in seine Brust, ließ den Atem in seinen Lungen stocken und peitschte rotes Licht in seine Augen, bis er nichts mehr sah als Blut. Er taumelte zur Seite, stolperte und stürzte rücklings in den Wassertrog. Aber das merkte er schon nicht mehr.

 

*

 

"Was war das?" Meregod raffte sich auf, aber E'ela und Nen'ju waren vor ihm am Fenster zum Burghof.

"Feuer!" E'ela wandte sich mit furchtgeweiteten Augen zu ihm um, "Meregod, der Wehrgang brennt!" Der alte Magiker schlurfte heran, spähte mit zusammengekniffenen Augen hinaus und entdeckte den Schemen, der sich in diesem Moment über die Zinnen zog.

"Wir werden angegriffen," keuchte er. Eine eisige Klammer legte sich um seine Brust. Nur eine Handvoll Männer war vom Burgherren zurückgelassen worden, als dieser vor vier Tagen nach Indraet aufgebrochen war, um seinem Lehnsherrn im Kampf gegen die immer zahlreicher werdenden Ausfälle thuskischer Raubfürsten zur Seite zu stehen. Aber wo waren diese Männer? "Schnell, in die Halle. Was ist mit den Wachen los?"

Nen'ju sprang voraus. Wie ein Wiesel huschte er die Stufen zur Vorhalle hinunter. Als Meregod endlich unten ankam, hatte der Junge sich schon mit einem Kurzschwert und einem leichten Buckler bewaffnet. Meregod bemerkte das heiße Flackern in seinen Augen, ein Leuchten des Hasses - und der Furcht ...

Auch die beiden Frauen kamen jetzt herunter, Seite an Seite. E'ela hielt den Arm ihrer Amme umklammert, um sie zu stützen. Im Gesicht Jelenas stand blankes Entsetzen, Meregod konnte es ihr nicht verdenken. Sie hatten kaum eine Chance, wenn die Eindringlinge zu zahlreich waren. Und Meregod fürchtete, dass der Zeitpunkt des Überfalls mit Bedacht geplant worden war.

Nen'ju hastete durch die Küche zu den Gesinderäumen. "Aufwachen, schnell, Alarm!" Im vorüberlaufen hämmerte er mit dem Knauf des Schwertes gegen die Türen. Als er die Unterkunft der Wachen erreichte, fand er Drellig und den Stinker beim Würfelspiel, umhüllt von einer Kakophonie trunkenen Schnarchens. Die Männer lagen in voller Kleidung und schlafend auf ihren Pritschen. Noch bevor er den geleerten Weinschlauch entdeckte, wußte Nen'ju, dass sie verloren waren ...

Der Stinker taumelte auf die Füße, lallte etwas von 'einer halben Wache' und von 'was zurückgewinnen', bevor er mitsamt dem Schemel zu Boden ging.

"Verdammt, seid ihr wahnsinnig?" Nen'jus Stimme überschlug sich. Er hätte dem Stinker am liebsten ins Kreuz getreten. "Wir werden angegriffen! Und ihr besauft euch hier." Er packte Drellig am Kragen, riss ihn von seinem Stuhl. "Seht zu, dass ihr auf die Beine kommt, ihr wollt euch doch wehren, bevor man euch schlachtet, oder?"

Drellig blies ihm keuchend weingeschwängerten Atem entgegen, die Männer auf den Pritschen schnarchten.

 

*

 

Die Flammen schlugen jetzt hoch in den Nachthimmel. Ein wohliges Lächeln umspielte Asharas Lippen, während er zusah, wie seine Söldner die Burgmauern erkletterten. Vier Mann waren bereits über die Zinnen, und es war kein Zeichen von Gegenwehr zu bemerken. Er verließ seinen Posten, um gemächlich und gemessenen Schrittes zum Burgtor zu wandern. War er nicht der von Usa Permagon bestimmte Freier? Allein deshalb gesandt, die Holde zu wählen, die Braut des dunklen Fürsten? Am Horizont stahl sich der Mond in den Himmel, begierig lugte er über die Wipfel des Waldes, wohl wissend, was hier geschah.

"Auge Usa Permagons, sieh Deinen Diener", murmelte Ashara und verhielt, um seinen Herrn zu grüßen. "Dürstender, trinke die Tränen, die ich bereite! Ich bin Dein, und Du in mir! Genieße den Schmerz, den wir der Unsrigen schenken, liebe Ihre Qual, bis Ihre Augen erstarren!"

Während er nun voranschritt, gemächlich dem Burgtore zu, hörte er ersten Kampfeslärm. Zu spät. Viel zu spät. Was zwei pralle Schläuche Wein doch alles anrichten konnten ...

"Gott aller Götter, ich opfere Dir." Der Blick Usa Permagons tauchte Ashara in silbriges Licht, durchdrang und erfüllte ihn. "Ich habe eine Braut erkoren, wie sie Deiner würdig ist."

Ein Schrei, der Schrei eines Sterbenden, antwortete ihm, und er wußte, Usa Permagon hatte ihn erhört.

 

*

 

Meregod war mit den Frauen auf dem Weg zum Westturm, als der Schrei sein Ohr erreichte. "Still!" keuchte er. Sie verhielten im Lauf, Meregod und E'ela atemlos und gebannt lauschend, während Jelena mit einem Aufschluchzen zu Boden sank.

"Es ist alles zu spät," jammerte sie, "ach, wenn der Herr doch hier wäre...“. "Bring' sie zum Schweigen", zischte Meregod E'ela zu. Er schlurfte zu einem der schmalen Fenster, um auf den Burghof hinaus zu spähen. Der jetzt zwischen die Zinnen des Burgtores getretene Mond und die Flammen des brennenden Wehrganges beleuchteten das Geschehen mit gespenstisch tanzendem Schein. Meregod entdeckte Nen'ju und den Stinker im Kampf mit drei düsteren Gestalten. Zwei aus den Schatten des Gesindehauses wankende Schemen schienen offenbar zu den eigenen Wachleuten zu zählen. Oben auf dem brennenden Wehrgang entdeckte er Männer, die gerade dabei waren, sich in den Hof abzuseilen. Zwei in waberndes Licht getauchte Feinde bemühten sich offensichtlich darum, das Feuer einzudämmen, um weiteren Eindringlingen den Empfang nicht zu heiß werden zu lassen.

"Siehst du Nen'ju?" E'elas Stimme bebte über Jelenas Wimmern hinweg an sein Ohr. "Lebt er noch?" Meregod fuhr herum. "Ja, er lebt noch. Verdammt! Sollen wir weiter? In den Turm?"

E'ela schüttelte verzweifelt den Kopf. "Wir können ihn doch nicht allein lassen, Meregod. Er ist mein Bruder!"

Meregod nickte heftig. "Ja. Das ist er. Aber so ist es abgesprochen. Oder? So hat Nen'ju es entschieden. Er ist jetzt der Herr der Burg, oder?" Und, dachte er, wie habe ich deiner Mutter im Blute ihres Kindbettes geschworen? Dich, nur dich zu schützen, solange es mir nur möglich ist!

"Weiter", befahl er, "wir müssen in den Turm. Von dort können wir uns retten!"

"Meregod, ich ..."

"Still", er ergriff Jelenas Hand und zog sie gegen ihren Willen wieder auf die Beine, "wir haben noch eine Chance, wenn wir nur die Plattform des Turmes erreichen."

"Wir werden nicht gehen!"

Meregod hatte ihre Augen niemals so blitzen sehen. E'ela hatte sich ihm in den Weg gestellt, die Arme gespreizt, für einen Moment meinte er sprühende Funken um ihren Körper tanzen zu sehen. Das Mädchen schien voll eines unirdischen Feuers zu glühen.

"Du wirst Nen'ju helfen, Meregod. Ich befehle es dir. Du bist nur mir hörig, ich weiß um den Eid, den du meiner Mutter geleistet hast. Nur wenn du Nen'ju schützt, kannst du auch mich schützen!"

"Herrin, noch können wir fliehen...", Meregod war außer sich, "noch können wir fliehen!" Das war auch Nen'ju klar gewesen, nur deshalb hatte er den eigenen Tod gegen das Leben seiner Schwester in die Waagschale geworfen. Meregod rang um Worte. Sie konnten noch fliehen, ja, er würde sie mit sich nehmen, E'ela und auch Jelena, beide. Dazu musste er einfach noch fähig sein. Sie konnten von der Plattform des Turmes wandeln, alle drei, zumindest bis in das nächste schützende Unterholz ...

Hatte er nicht von ihr geträumt? Ja, sie waren gemeinsam geflogen, E'ela neben ihm, das kupferne Haar eine flammende Lohe im jungen Morgenlicht. Gemeinsam hatten sie diese wunderbarste aller Erfahrungen gekostet, den Genuss des schwerelosen Schwebens über einer nun seltsam unwichtigen, eigentlich bedeutungslosen Welt. Ein gemeinsames Selbst, die Verschmelzung zweier naher, wenn nicht verwandter Seelen in einem Tanz auf jungen Sonnenstrahlen.

"Wir gehen nicht!" sagte E'ela.

 

*

 

Es waren genug Männer auf dem Wehrgang, um das Feuer unter Kontrolle zu bekommen. T'fer hatte sich in Richtung des Rundturmes davon gemacht und beobachtete das Geschehen im Burghof. Unten ging es mittlerweile Schwert gegen Schwert; zwei Männer waren dabei, das Haupttor zu öffnen. Unzweifelhaft hatte der Wein seine Wirkung getan. Die so spät aus ihren Höhlen taumelnden Verteidiger wirbelten tumb mit ihren Waffen umher und rannten einer um den anderen in wartende Klingen.

Aber da war ein kleiner, blutgeiler Held dort unten im Hof, der einen um den anderen seiner Gegner in den Schmutz mähte. Der Junge führte ein verdammt gutes Schwert. Nichts für einen Frontalangriff, eher etwas für einen geschickt gesetzten Dolch aus dem Dunkel. T'fers Finger tasteten prüfend über das Mauerwerk des Rundturmes. Da waren die Fugen, die schmalen Fugen zwischen den Steinen , in die sich eigentlich niemand klammern konnte. Manchmal, wenn er es wollte, wurde T'fer zu einem Niemand ...

 

*

 

Die Tore öffneten sich vor ihm, Ashara sah seinen Schatten, den Mondschatten Usa Permagons, in den Burghof wachsen. Und während er voranschritt, zerschmolz der dunkle Schemen im flammenden Spiel des von dem brennenden Wehrgang erleuchteten Hofes und füllte doch die Arena der Entscheidung mit der Ahnung seiner Ankunft. Er war gekommen, zu nehmen, das Opfer zu bereiten, das Blutopfer der Schönheit und Unschuld, und einmal mehr machte ihn seine Wahl lächeln. Lächelnd trat Ashara in den Hof der Burg derer zu n'Warve und hielt Ausschau nach dem Mädchen.

 

*

 

Meregod hatte erwartet, eine halbe Armee zu erblicken, als sich die Tore der Burg öffneten. Stattdessen war da nur eine einzige Gestalt, ein Schatten, schimmernd im Schein des aufsteigenden Mondes. Ein hochgewachsener, hagerer Mann. Er war in weite, sich leicht im Nachtwind wölbende Gewänder gehüllt, trotzdem erkannte Mergod ihn sofort. Es war der Eldrain, der 'Händler', der mit seinem Gefolge erst gestern im Schutze der Burg kampiert hatte. Er begann zu verstehen.

"Meregod", E'ela schrie ihm ins Ohr, "siehst du denn nicht? Dort, am Westturm! Er fällt Nen'ju in den Rücken! Nen'ju wird ihn nicht sehen, Meregod. Er sieht ihn nicht!"

E'ela's Finger gruben sich in seine Schultern, und Meregod verstand. Er zerging unter ihren Händen.

 

*

 

T'fer holte aus. Die Klinge des Messers lag sicher in seiner Hand. Der Junge wandte ihm den Rücken zu, im Kampf mit gleich zwei Eindringlingen. Der kleine Held war ein wirkliches Talent, eigentlich zu schade, so schnell und ohne eine Gelegenheit zur Gegenwehr zu sterben. Sein einziger Fehler war, auf der falschen Seite zu kämpfen - und das war wirklich schlimm für ihn. T'fers Arm schnellte vor, die Klinge wirbelte aus seiner Hand, tödlich genau.

Doch dann war da diese Gestalt, wie aus dem Nichts erwachsend, der Dolch bohrte sich in die Brust eines alten Mannes, der wie von einem Blitzschlag gefällt zu Boden ging und nur noch ein heiseres Krächzen von sich gab.

Der Junge wirbelte herum, wirbelte einmal um die eigene Achse und unterlief den Ausfall eines seiner Gegner, der ihm in den Rücken hatte fallen wollen. Die blutgierige Klinge fand ihr Ziel, und dann fuhr der Junge wieder zu T'fer herum.

"Meregod, verdammt", keuchte er verstört - und entdeckte T'fer.

T'fer wich einen Schritt zurück und zog sein Schwert.

 

*

 

Das Mädchen kam aus dem Hauptgebäude auf den Burghof gerannt, Ashara entdeckte sie sofort. Sie trug eine Lanze mit sich und stürmte zum Westturm hinüber, wo Cevin sich gerade daran machte, einem jungen Kämpfer, der sich mit dem Brandstifter beschäftigte, in den Rücken zu fallen. Sie war schnell wie der Wind, als Ashara ihre Absicht erkannte, war es um Cevin schon geschehen. Die aus seinem Bauch ragende Lanzenspitze umklammernd tanzte der Söldnerhauptmann seinen Totentanz.

"Flieh, E'ela, flieh!" brüllte der Junge dem Mädchen zu, und T'fer aus Al-Thor nutzte seine kurze Unaufmerksamkeit mit tödlichem Geschick. Für einen Moment sah es aus, als wolle sich das Mädchen nun auch noch auf ihn stürzen, doch dann wandte sie sich zur Flucht.

Sie kam Ashara entgegen gelaufen. Er öffnete seine Arme, um sie gebührlich zu empfangen.

 

*

 

Er sah ein Licht, sehr fern in diesem Dunkel, ein rosiges, zärtliches Licht, das ihn zu rufen schien. Der heiße Schmerz in seiner Brust verging. Dies also war der Pfad zum Thron der Götter, erkannte Meregod, sein letzter Weg. Das Licht schien sich zu nähern, es war so warm, er fragte sich, ob es wohl die Kälte von ihm nehmen konnte, die ihn erfüllte. Den Todeswinter.

Er hörte eine Stimme rufen, ganz fern, so weit, weit fort, und doch drang sie an sein Ohr: "Flieh, E'ela, flieh!"

Er konnte noch nicht gehen, nicht, wenn E'ela in Gefahr war. Das rote Licht verschwand, die Todeskälte blieb. Meregod öffnete die Augen.

 

*

 

Das Mädchen entdeckte ihn und schlug einen Haken, hastete zur Burgmauer, wo eine Leiter auf den Wehrgang führte. Ashara lachte leise auf. "Magst du mich nicht, scheues Reh?", murmelte er, als er ihr langsam folgte. "Du wirst mich aber ertragen müssen, glaube mir!"

Das Mädchen kletterte die Leiter empor, ohne zu merken, dass sie sich selbst dem Verderben auslieferte. Amüsiert musterte Ashara die schwelenden Reste über dem noch munter vor sich her kokelnden Heuschober. Wollte sie dort etwa hinunterspringen? Er würde sie davon abhalten müssen, gebrochene Beine und verbranntes Fleisch waren zumindest zu Beginn der Zeremonie kein schöner Anblick, selbst für Usa Permagon nicht.

Ashara erreichte die Leiter und kletterte dem Mädchen nach, etwas schneller jetzt. Auf dem Wehrgang fand Ashara zu seiner Rechten einen hölzernen Unterstand, zu seiner Linken, keine zehn Meter von ihm entfernt, das Mädchen. Offensichtlich hatte sie ihren Fehler bemerkt. Sie machte Anstalten, auf die Zinnen zu klettern.

"Haltet ein, junge Maid. Dies ist nicht die Zeit für tödliche Stürze!" Dies war die Zeit der Liebe! Ashara lächelte, ein heißes Feuer flammte in ihm auf, brannte in seinem Herzen und sickerte dann tiefer, hinab zwischen seine Lenden, um sich zu einem glühenden Schwert des Verlangens zu formen. Er hatte sie bekommen!

"Vertraut mir! Niemand wird Euch etwas antun, nicht in dieser wunderbaren Mondnacht ..."

Sie starrte ihn an, während er langsam näher kam. Wie ein geblendetes Tier. Ashara frohlockte.

"Lasst mich Euch in die Arme nehmen, um Euch zu schützen."

Sie wartete, regungslos an eine der Zinnen geklammert. Dann, endlich, stand er vor ihr. Und als er ihr die Hand reichte, entzog sie sich ihm nicht. Erschöpft schmiegte sie sich ihm entgegen. Eng umschlungen standen sie auf dem Wehrgang, das Mädchen hob Ashara ihr Gesicht entgegen. Und während er in ihren himmelblauen Augen versank, umfing ihn ein Schwindel, der ihn taumeln ließ.

Und als er das Gleichgewicht verlor, sah er, wie sie zerfloss. Er hielt einen kahlköpfigen Greis in den Armen, und gemeinsam stürzten sie hinab in den Burghof. Unten im Wassertrog wartete ein toter Mann auf sie, blicklos in den Himmel starrend. Noch im Tod hielt er eine steil aufwärts ragende Heugabel mit leichenstarren Händen fest umklammert. Jok holte sie zu sich in sein Reich.

 

*

 

E'ela hörte die Schreie der tödlich Verwundeten und hob den Kopf, spähte aus dem Unterstand hinaus auf den Wehrgang. Dort war niemand zu sehen. Sie erhob sich aus der Nische, in die sie sich in ihrer Todesangst geduckt hatte, und sah hinab in den Burghof. Sie entdeckte die alte Jelena, die aus dem Haupthaus gewankt kam, die Hände wie zum Gebet vor der Brust gefaltet. Ein Schemen huschte aus dem Dunkel heran, blankes Metall blitzte auf.

"Nein!" schrie sie, und das Grauen, das sie erfüllte, verzerrte ihre Stimme zu einem beinahe unverständlichen Schrei.

"Nein, nein!" Etwas in ihr zerbrach, ihre Angst, ihre Wut und ihr heißer Hass lösten sich aus ihr und rasten einem Blitzschlag gleich hinab. Der Schemen verging in einer grell tosenden Lohe zu stiebenden Funken und schleuderte die alte Jelena zu Boden.

Das Mädchen sank schmerzerfüllt auf die Knie, spürte nicht die rauen Bohlen, die ihre Beine schürften. Sie barg das Gesicht in den Händen, weinte bittere Tränen und sah nicht das Feuer, das Mondfeuer, das sie kalt umspielte. In Flammen gehüllt kauerte E'ela n'Warve auf dem Wehrgang, die letzten Feinde flohen ihr, suchten Zuflucht in den fahlen Schatten dieser Nacht.

Das brennende Mädchen erleuchtete die Arena des Todes, und der Mond sah ihr gelassen zu.

 

***

 

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Oje, das hat nicht geklappt, Elfenwerk! 20240418200253019115b4
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Disclaimer

Die Charaktere dieser Geschichte, sowie alle Handlungen sind geistiges Eigentum des Autors. Alle Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen, Orten oder Handlungen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt. Der Autor verfolgt kein kommerzielles Interesse an der Veröffentlichung dieser Geschichte.

Freigabe zur Weiterveröffentlichung besteht, soweit vom Autor nicht anders angegeben nur für "FantasyGuide.de". Für alle weiteren Veröffentlichungen ist die schriftliche Zusage des Autors erforderlich.


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Erstellt: 22.09.2010, zuletzt aktualisiert: 27.09.2016 09:58, 11007