Die verfluchten Eier (Autor: Michail Bulgakow)
 
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Die verfluchten Eier von Michail Bulgakow

Rezension von Ralf Steinberg

 

Verlagsinfo:

Professor Pfirsichow, an der Moskauer Universität eine Institution auf dem Gebiet der Zoologie, entdeckt einen »roten Strahl«, der auf alles eine enorm wachstumsbeschleunigende Wirkung zu haben scheint. Ein ahnungs- wie skrupelloser Funktionär sieht die Chance, die hungernden Massen durch bestrahlte Eier ruhigzustellen. Er stiehlt die Erfindung. Aber unter dem Strahl entschlüpfen den Hühnereiern aus Deutschland plötzlich monsterhafte Reptilien.

 

Rezension:

Michail Bulgakow hatte in der stalinistischen UdSSR wenig Glück mit der Veröffentlichung seiner Romane. Einzige Ausnahme sind Die verfluchten Eier aus dem Jahre 1925. Erneut ist es Alexander Nitzberg zu verdanken, dass dieser Roman in einer vorzüglichen und kommentierten Übersetzung den Weg zu neuen LeserInnen finden kann. Der dtv übernahm für die Taschenbuchausgabe, wie schon bei Meister und Margarita und Das hündische Herz die Edition vom Verlag Galiani Berlin.

 

Die russische Welt ist zehn Jahre nach der Oktoberrevolution gehörig umgekrempelt worden. Verstaatlichungen und Kriegsfolgen schrieben etliche Biographien um, Eigentumsverhältnisse änderten sich, Wohnungen wurden zu Wohngemeinschaften umgeformt und auch die Forschung hatte unter dem Mangel gelitten. Beinahe wäre der Zoologie-Professor Pfirsichow ausgewandert. Doch dann besserten sich die Umstände etwas, sogar die Heizung im Institut wurde endlich in Betrieb genommen, sodass sich wieder Kröten und Frösche zum Sezieren züchten lassen.

Eher zufällig entdeckt Pfirsichow dabei, wie man mit elektrischem Licht einen roten Strahl erzeugen kann, durch den sich aus normalem Froschlaich, deutlich größere Lurche entwickeln.

Bevor er jedoch die Folgen und Wirkungen des Strahls gründlich erforschen kann, erfährt die Presse davon. Der »Strahl des Lebens«, ist die Schlagzeile, bis eine bösartige Seuche, die russische Hühnerpopulation auslöscht. Kein Wunder, dass der Rote Strahl ein Politikum wird. So schnappt sich der Vorsitzende des neu gebildeten Mustersowchos’ Roter Strahl die Erfindung, um das Hühnerproblem mit extra importierten Eiern aus Deutschland zu lösen …

 

Alexander Nitzberg erzählt im Nachwort, dass sogar Winston Churchill, auf die Geschichte der russischen Eier anspielte. So populär wurde die rasante Zunkunftsgeschichte zu ihrer Zeit.

Das wundert wenig, denn Bulgakov entwickelt seine Geschichte zu einer doch recht großen Katastrophe, die weder mit Toten noch mit drastischen Gegenmitteln geizt. Der Kampf gegen die monsterhaft vergrößerten Tiere mutet dabei nicht nur grotesk an. Bulkakov hatte durchaus ein Gespür dafür, welche Maßnahmen ein Staat ergreifen würde, um einer solchen Plage her zu werden.

Neben der wilden Action ist es aber vor allem die Sprache, durch die dieser kleine Roman so einprägsam wird. Mit expressionistischer Wucht malt Bulgakov Szenen, übt sich in präzisen, aber neuen, ungewohnten Bildern. Flimmernde Moderne, technischer Fortschritt und vor allem eine breite Respektlosigkeit gegenüber althergebrachter Erzählweisen, prägen den Stil in diesem frühen Werk Bulgakows. Wie Nitzberg in den Anmerkungen immer wieder hervorhebt, gibt es lautmalerische Sentenzen, die sich dem Text mit kräftiger Melodie aufprägen und eine besondere Herausforderung für die Übertragung darstellten. Man spürt den Stolz des Übersetzers ganz besonders auch bei der Adaption der sprechenden Namen.

Zwar wird etwa der Zusammenhang zwischen Vluch und dem deutsch Titel nicht notwendiger Weise augenscheinlich, aber Federvich.Ferkel oder Faul-Peltzki zeigen sehr deutlich, mit wieviel Ironie und Witz Bulgakov das Leben im jungen Sowjetstaat betrachtete.

Dabei zieht er die Vorbilder für seine Überzeichnungen direkt aus dem Alltag. Ob Haushälterin, Wachposten oder Journalist, die Figuren sprudeln über vor Lebendigkeit. Das gesamte Leben scheint mit wahnwitzigem Tempo zu rasen, zu vibrieren. Moskau wird zu einer pulsierenden Metropole, die mutierten Tiere bilden sich knäulende Massen. Überall brodelt es, selbst das Wetter schlägt Kapriolen.

Was man schnell als überkandidelte Volte auslegen könnte, interpretiert Alexander Nitzberg in seinem Nachwort als notwendigen Bruch mit der Erwartung. Die Offensichtlichkeit des radikalen Eingriffs durch den Autor ist also keine Einfallslosigkeit, sondern ganz im Gegenteil provozierende Absicht. Deus ex machina als Stilmittel – das muss man sich erst einmal einfallen lassen.

Nitzberg gibt für eine Interpretation noch weitere Hinweise, etwa mittels Kalenderdaten, die auf Ostern bezogen auch quasi-religiöse Betrachtungen ermöglichen und ganz besonders die Bedeutung der Eier in ein neues Licht stellen. So kurz das Büchlein auch sein mag, es bietet es ganze Menge Inhalte, die Bulgakov mit Experimentierfreude und ganz im Sinne der Zeit hineinarbeitete.

 

Fazit:

»Die verfluchten Eier« von Michail Bulgakow bieten eine muntere, sprachlich ungemein stark expressionistische Sicht auf die 20er Jahre in der jungen Sowjetunion. Verpackt in eine pfiffige SF-Story legt Bulgakov die kleinen menschlichen Schwächen bloß und zeigt dabei auf, wie Verwaltung, Staat und wissenschaftlicher Fortschritt darunter zu einem fürchterlichen Monster verwachsen. Prophetisch und zeitlos.

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Buch:

Die verfluchten Eier

Original: Rokovye jajca, 1925

Autor: Michail Bulgakow

Übersetzer: Alexander Nitzberg

Taschenbuch: 141 Seiten

dtv, 19. Februar 2016

 

ISBN-10: 3423144785

ISBN-13: 978-3423144780

 

Erhältlich bei: Amazon

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Erstellt: 14.03.2016, zuletzt aktualisiert: 10.04.2024 18:52, 14370