Wie man Abenteuerszenarien vorbereitet und leitet
von Wolfgang Schiemichen
_So einfach es auch ist, als Spieler an einer Cthulhu-Runde teilzunehmen, so schwierig kann es für angehende Spielleiter sein, ihre erste Runde selbst zu leiten. Denn wenn das Spiel selbst auch mit bemerkenswert wenig Regeln auskommt, verlangt es von seinen Leitern mehr und andere Dinge als sie es gewöhnt sein mögen. Denn in diesem Spiel entstehen unheimliche Geschichten, die sehr erschreckend sein können. Doch Angst hat nur der, der sich dem Übermächtigen, dem Unbekannten gegenüber sieht, was heißt, dass die Figuren der Spieler sich wenig von normalen Menschen unterscheiden und in den seltensten Fällen heldenhaft sind, obwohl sie zu Helden werden können. Doch Helden an sich fürchten sich nun mal wenig und sind daher auch wenig für ein Spiel wie Cthulhu geeignet, einem Spiel, das nun mal im Kern auf den Vorstellungen und Konzepten Lovecrafts, eines amerikanischen Horrorautors, basiert.
Dessen Vorstellungen und die Weiterentwicklungen durch andere Autoren bieten allerdings weiten Raum für individuelle Spielwelten, so dass natürlich auch die Art, wie man Cthulhu spielt, sehr unterschiedlich sein kann. Es ist durchaus möglich, Agenten oder Geisterjäger auf die Jagd nach Monstren zu schicken und reine Action zu bevorzugen. Wer das liebt, wird in diesem Artikel wenig Hilfreiches finden, da er darauf abzielt, wie man seinen Spielern das Fürchten lehrt, und ganz nebenbei, die spezifische Atmosphäre einer Cthulhu-Geschichte ins Spiel umsetzt.
Wie man beginnt
Grundsätzlich bleibt festzuhalten, dass jeder mit entsprechenden Tricks und Techniken selbst ein simples, kaum durchdachtes Szenario zur Grundlage eines ansprechenden Spielabends machen kann. Er wird damit seinen Spielern zwar nicht die Sterne vom Himmel herunter holen, aber er wird sie doch für ein paar Stunden unterhalten können. Nicht nur aus diesem Grunde wurde für diesen Artikel "Der Wahnsinnige" aus dem Regelwerk zugrunde gelegt. Dieses Szenario kennt jeder, der an "Cthulhu" interessiert ist. Wer diesen Artikel liest, sollte das tun, was zunächst einmal die Grundvoraussetzung allen Spielleitens ist: Das Szenario selbst gründlich durchlesen. Dabei sollte er vier wichtige Gedanken im Hinterkopf bewahren:
1. Die Charaktere seiner Spieler sind zumeist, wenn auch ungewöhnliche, Durchschnittsmenschen, die leicht und schnell Verletzungen erleiden, sterben, oder in den Wahnsinn getrieben werden können.
2. Als Spielleiter spielt er nicht gegen seine Gruppe, sondern ist ein weiteres Gruppenmitglied, das die Erzählung zusammenhält. Als Spielleiter könnte er seine Gruppe innerhalb der ersten Minute schon tausend Tode sterben lassen. Was er natürlich besser nicht tun sollte, wenn er weiter eine Gruppe leiten will.
3. Grundsätzlich sollte er nur Szenarien auswählen, die ihn so reizen, dass er an ihnen gerne selbst als Spieler beteiligt wäre. Wenn ihn seine Geschichte selbst anödet und zu Tode langweilt, wie soll er dann seine Spieler dafür begeistern?
4. Auch veröffentlichte Szenarien sind keine Bibeln, an die man sich Wort für Wort klammern muss. Spielergruppen haben oftmals sehr individuelle Vorlieben und Abneigungen, Stärken und Schwächen. Die kann kein Autor vorhersehen oder einplanen. Es spricht daher wenig dagegen, Werte von Gegenspielern zu erhöhen oder niedriger anzusetzen, so wie man auch Handlungsstränge verändern oder gar ganz weglassen kann.
Konzeptionelle Überlegungen
Sobald ein Spielleiter sein vorgesehenes Szenario durchgelesen hat, sollte er sich hinsetzen und sich ein paar Gedanken zu dessen Stärken und Schwächen machen. Als hoffnungsfroher Leiter in spe ist er gut beraten, sich immer auch schriftliche Notizen und eine Art Verlaufsplanung anzufertigen, ganz gleich, dass er als "erfahrener Hase" darauf verzichten kann und dass seine Spieler ihm dann sehr wohl durch ihr Verhalten seine ganzen mühevollen Vorbereitungen über den Haufen werfen können, da sie sich nicht so verhalten, wie er geglaubt hat.
Im Falle des "Wahnsinnigen" braucht man für derartige Überlegungen nicht lange. Es ist kurz und die Handlung ist vorhersehbar. Irgendwo in den amerikanischen Backwoods, irgendwo in Vermont, beschweren sich die Einwohner eines kleinen Städtchens über fremdartige Geräusche und Lichter, ein abgehalfterter Journalist verschwindet spurlos, die Charaktere lesen davon in der Zeitung, fahren hin und stoßen auf eine gerüstete Gruppe eigenartiger Wesen, die Mi-Go, die sich nicht nur einen Wahnsinnigen zum Gehilfen gemacht haben, sondern ein mächtiges, dämonisches Mythoswesen beschwören wollen, um die ganze Örtlichkeit auszurotten. Das soll natürlich möglichst verhindert werden, doch ist viel wahrscheinlicher, dass die Charaktere bei eben diesem Versuch umkommen werden.
Ein Grund, das Szenario zu spielen, läge sicherlich in der Kürze und darin, dass man nicht viel über die Geschichte im Kopf behalten muss. Um gut zu leiten, reicht das allerdings nicht als Grund aus. Zwei grundlegende Konzepte gäbe es da als Möglichkeit zu verfolgen:
a. Begegnung mit dem Mythos im Überlebenskampf. Vielleicht plant der Spielleiter ja noch eine Reihe weiterer Szenarios, in denen die Mi-Go erscheinen, und er will einen Schock als Einstieg wählen. Das mögliche Ende wird dann eine in einem stürmischen Bergcamp fest sitzende Abenteurergruppe sein, die von den insektenartigen Mi-Go heftig angegriffen wird und nur dann überlebt, wenn sie sich rechtzeitig um entsprechende Hilfen gekümmert hat. Wenn es überhaupt einer von ihnen überlebt, wird er in Zukunft die Mi-Go nicht mehr unterschätzen. In dieser Version treten die Mi-Go aggressiv und mächtig auf, verfügen über all die ihnen zugeschriebenen Fähigkeiten und fangen schon sehr früh an, in die Geschicke der Abenteurer einzugreifen.
b. Begegnung mit dem Mythos als düsterem und gefährlichem Mysterium. Dies wäre die Variante, die der Autor dieses Artikels wählen würde, und in der die Mi-Go so gut wie gar nicht in Erscheinung treten, und wenn, dann nur als unverständliche dämonische Naturgeister oder mysteriöse, übermächtige Kräfte. Dabei würde es dann gar nicht zu einem offenen Konflikt mit den Mi-Go kommen, und ob die Charaktere wirklich eine Beschwörung beobachten können, bliebe weithin offen. Was in diesem Falle auch hieße, dass das letzte Drittel des Szenarios eine andere Richtung bekäme und die "sieben gnadenlosen Mi-Go" und ihre Superwaffen gar nicht in Erscheinung treten.
c. Flucht vor dem Mythos als geistesverwirrendes Abenteuer. Vielleicht möchte ein Spielleiter ja auch den Schwerpunkt auf die große Beschwörung Ithaquas, an der die Charaktere mehr oder weniger unfreiwillig teilnehmen. Das Szenario endet dann mit der Flucht der Überlebenden im tobenden Schneesturm, verfolgt möglicherweise von den wütenden Mi-Go, die zu diesem Zeitpunkt dann endgültig auf die Eindringlinge aufmerksam wurden. Wahrhaft erschreckend wird dann diese Flucht in die kalte Sturmnacht hinaus sein ...
Vielleicht wird hier schon deutlich, wie entscheidend eine derartige vorläufige Festlegung sein kann. Denn wenn sich dann auch die Geschichte in der Spielrunde völlig anders entwickeln sollte, legen derartige Überlegungen fest, wie viele der Gegenspieler in dem Szenario erscheinen, wie sie eingeführt und auf welche Art sie präsentiert werden. Und natürlich helfen derartige Festlegungen bei der Entscheidung, was vom ursprünglichen Szenario noch verwendet werden kann und was wegfallen sollte.
Fleisch ans Gerippe
Hat man sich so auch für einen allgemeine Richtung entschieden, ist damit aber das Szenario noch lange nicht interessanter für die Spieler geworden. Nun heißt es also, die Banalitäten und klischeehaften Momente des Szenarios so auszubauen und auszuschmücken, dass sie trotz aller Vertrautheit etwas Unerwartetes, Neues für die Spieler beinhalten, etwas, was sie an die Geschichte fesselt, auch wenn sie ähnliche Situationen schon kennen und ihre Charaktere sie durchlebt haben. Das Szenario erhält dort Farbe, wo bisher keine gewesen ist. Und wie es sich gehört, fängt man damit beim Anfang an.
Einstieg und Einstimmung: In der Originalversion des "Wahnsinnigen" lesen die Charaktere von unheimlichen Geschehnissen in der Zeitung und brechen umgehend dahin auf, um die Probleme zu untersuchen und zu lösen, nicht ohne natürlich ihre paramilitärische Ausrüstung zu vergessen, denn sonst könnten sie es ja nicht heil überstehen. Realistisch betrachtet wird aber kaum ein normaler Zivilist, also Charakter, sich nur aus Neugier in Gefahr begeben. Selbst wenn sie schon Erfahrungen mit dem Mythos gesammelt haben, sollte ihnen dann deutlich vor Augen stehen, dass es besser ist, sich nicht darum zu kümmern, selbst wenn man die Welt retten könnte. Denn wer fühlt sich schon zum Weltenretter berufen?
Gerade bei einem Einstiegsszenario sollten die Charaktere daher besser nur zufällig in die Ereignisse verwickelt werden. Etwa, indem ihnen der Spielleiter ihren harten Arbeitsalltag drastisch beschriebt, oder wie unangenehm Herbsttage in einer großen amerikanischen Stadt sind. So unangenehm, dass es vielleicht doch eine gute Idee wäre, zu fischen oder zu jagen, vielleicht auch auf Berge zu klettern, oder was sonst noch den Spielern einfällt. Sollten sie sich dann darauf einlassen, bekommen sie es immer noch nicht mit dem Mythos zu tun, sondern mit der Natur.
Vermont war und ist auch heute noch ein wenig besiedeltes, recht karges Land, mit dichten, alten Waldwildnissen und steil aufragenden Bergen, die sich im Herbst oft in dichten Wolken oder Nebelbänken verstecken. Es ist kalt, es ist regnet. Wenn auch in den zwanziger Jahren die Highways entstanden und Autos zum Kultobjekt wurden, sind die Straßen in den Provinzen doch wohl eher schlecht befahrbare Pisten, Pisten, auf denen man sich verirren kann. Und den Tod holen, wenn man nicht die richtige Bekleidung bei sich hat. Dazu kommen dann kleine, mysteriöse Ereignisse. Lichter der Nacht, Trommelgeräusche. Vielleicht zur Unzeit dann Schneegestöber. Irgendwo summt es wie eine Maschine, ohne dass was zu entdecken wäre. Und erst dann erinnert sich einer der Charakter vielleicht an die Zeitungsausschnitte, die dem Szenario als Handouts mitgegeben wurden. Im Übrigen sei der Spielleiter an den ausgezeichneten ersten "Blair Witch"-Film erinnert, in dem die Natur zum Alptraum von Städtern wurde.
Wirklich viel geschehen sollte in einer derartigen Einführung nicht, genau so, wie sie auch nicht allzu viel Raum einnehmen darf. Und ehe es wirklich gefährlich wird, finden sich Charaktere sowie Spieler in der Zivilisation wieder.
Die Kleinstadt: eine erfolgreiches Klischee in Cthulhu-Szenarien ist die schmutzige, verkommene Kleinstadt in einer abgelegenen Gegend, in der die ebenfalls schmutzigen Einwohner grundsätzlich wortkarg, unfreundlich und mit den Kultisten in irgendeiner Weise verbunden sind. Die Polizei ist entweder unfreundlich, unfähig, autoritär und gewalttätig, manchmal auch alles zusammen, und gemeinhin hat jeder neue Bekannte nichts besseres vor, als genau die Fragen (nicht) zu beantworten, die die Charaktere haben. Realistisch gesehen ist es oftmals so, dass die Menschen gerade ein abgelegeneren Landesteilen sehr offen und neugierig Fremden gegenüber sind, solange sie nicht gegen die allgemeinen Normen verstoßen. Außerdem sind sie viel zu sehr mit ihren alltäglichen Leben beschäftigt, als dass sie sie nichts anderes im Sinn hätten, sich mit Fremden über mysteriöse Lichter und Geräusche zu unterhalten. Wie das Leben in den Zwanzigern im Allgemeinen ausgesehen hat, findet der Spielleiter in dem "Amerika" Quellenband. Da im Falle des "Irrsinnigen" die entsprechende Kleinstadt in keiner Weise ausgearbeitet ist, sollte er sich dann in diesem Falle auch hierzu ein paar Notizen machen. Hat er jemals ein Buch von Stephen King gelesen oder auch nur einen entsprechenden Film gesehen, weiß er ohnehin, wie es in solchen Kleinstädten aussieht. Dann braucht er noch eine Liste mit Nichtspielercharakteren. Man muss sich dabei allerdings hüten, die Charaktere zu komplex anzulegen oder die Liste allzu lang werden zu lassen. Was nützt die schönste Ausarbeitung, wenn man sich im Eifer der Spielrunde nicht mehr daran erinnern vermag. Außerdem haben diese NSC keine andere Funktion, als die an sich uninteressante Kleinstadt zu beleben. Nicht mehr als zehn verschiedene braucht man da allenfalls, deren Namen man sich ebenso notieren sollte wie ihre Berufe, ihre Hobbys und wo sie aufzufinden sind. Passende amerikanische Namen findet man auf jeder Rock-CD, vor allem, wenn sie von einer unbekannteren Heavy Metal Band stammt. Die haben nämlich die Angewohnheit, die ganze Stadt namentlich aufzuführen, aus der sie stammen. Ein Eintrag könnte dann so aussehen:
Die Berufe können ruhig skurril und witzig sein. In schlechten Horrorgeschichten und ebenso schlechten Szenarien ist der Schrecken unablässig gegenwärtig. Personen wie Hugh bringen Farbe und lenken die Spieler ein wenig ab. Spielwerte sind für sie nicht notwendig, da ihre Funktion wie erwähnt nur eine ist, nämlich die, Atmosphäre zu erzeugen.
Der Gegenspieler: dieser ist, wie sollte es auch anders bei einem derartigen Szenario sein, so klischeehaft wie der Rest der Geschichte. Und doch lässt auch er sich zu einer interessanten Persönlichkeit umgestalten, wobei hier wieder einmal wichtig ist, welche generelle Richtung der Spielleiter dem Szenario geben will. Wie erwähnt, zieht der Autor dieses Artikels die Variante 2 vor, in der die Spieler zum ersten Mal mit den dunklen Mysterien der Cthulhuwelt aneinander geraten. Was mit anderen Worten heißt, dass es möglichst zu keinen Feuergefechten mit den Mi-Go kommen darf und der hauptsächliche Gegner der Charaktere die Natur sein wird. Was mit anderen Worten bedeutet, dass auch Harny Roger gar nicht so wahnsinnig und bösartig erscheint. Auch hier empfiehlt es sich, als Anfänger ein paar Notizen zu machen:
Harny gilt als bösartiger Einzelgänger und schlechter Mensch, dem man alle nur möglichen Schandtaten zutraut. Doch ist er nur deswegen misstrauisch und zurückhaltend, weil er zum einen an den Umgang mit Menschen nicht gewöhnt ist, da in irgendeinem Einödhof aufgewachsen. Zum anderen lebt er wie viele in der Gegend von der Schwarzbrennerei, was ihn in jedem Fremden einen Agenten der Bundesbehörden vermuten lässt. Wen er als Freund oder gleich Gesinnten akzeptiert, kann aber seiner vorbehaltlosen Unterstützung sicher sein, ein Grund, warum er die Aktivitäten der Mi-Go deckt. Diese sind ihm jedoch unheimlich geworden und er beginnt, sie mehr und mehr zu fürchten und Beistand gegen sie zu suchen. Weiterhin sind ihm die wirklichen Absichten seiner angeblichen Freunde unklar geblieben. Erkennt er, dass sein Heimatort durch diese vernichtet werden soll, wird er sich gegen sie wenden und vielleicht sogar Hilfe bei den Charakteren suchen.
Natürlich ist auch das keine ausgeklügelte psychologische Studie, welche man im Übrigen für eine gute Rollenspielrunde auch gar nicht braucht. Ein wenig klischeehaft kann und muss es sogar sein. Doch ein Entwurf wie der obige lässt ein differenziertes Spiel als im gedruckten Szenario angelegt zu.
Was ist mit den Mi-Go und dem Wendigo?: Woher soll das der Autor dieses Artikels wissen? Er würde ein Szenario nie bis in die letzte Einzelheit vorbereiten, und er würde es auch jedem davon abraten, dies zu tun. Denn die konkreten Geschehnisse in einer Spielrunde entsprechen selten noch so sorgfältig und mühevoll erarbeiteten Planungen. Ein Spielleiter muss auf alles Mögliche vorbereitet sein, auch darauf, dass er all seine Konzepte vergessen kann. Je weniger er aber letztlich vorbereitet hat, desto weniger kann er unangenehm überrascht werden. Das Wichtigste hat er indessen, wenn er diesen Vorschlägen gefolgt ist, getan. Er hat für sich die Tendenz eines allgemeinen Verlaufs und eines möglichen Ergebnisses festgelegt und die Grundlagen dafür geschaffen, in dem er Milieu und Charaktere entsprechend entwickelt und angepasst hat.
Struktur und Erzählweisen
Ist er nun obigen Vorschlägen gefolgt, heißt das nun noch lange nicht, dass er sein Konzept auch entsprechend umsetzen kann. Denn das Leiten von Cthulhu Szenarien setzt auch erzählerisches Geschick voraus, welches im Wesentlichen eine Sache von Erfahrung, von Gespür und auch Veranlagung ist. Alles dies sind Dinge, die sich über einen einzelnen Artikel hin ohnehin nicht vermitteln lassen. Das Beste ist daher sicherlich, als Spieler in Runden von erfahreneren Spielleiter teilzunehmen und einfach zu übernehmen, was einem gefällt und von dem man glaubt, es käme bei den eigenen Spielern an. Dennoch lassen sich ein paar wenige allgemeine Hinweise dann schon geben. Zum einen wäre da die Struktur einer Spielrunde, die der Leiter von unheimlichen Szenarien nicht einfach nur dem Zufall überlassen sollte. Man erinnere sich einfach mal an alte Horrorfilme und gute unheimliche Geschichten überhaupt. Da ist der Terror und der Schrecken nicht ständig präsent, sondern besteht zunächst nur aus Andeutungen, die im Verlaufe der Geschichte immer deutlicher und drastischer werden, bis es dann am Ende nahezu kein Entkommen mehr vor den dämonischen Mächten gibt. Dazwischen sind immer wieder Ruhepausen, wo sich Charaktere wie Leser oder Zuschauer erholen können und wo die Charaktere ihren alltäglichen Dingen nachgehen oder ihren Liebesgeschichten folgen. Bis sie dann daran erinnert werden, dass sie sich nicht in einem Liebesfilm oder einer Komödie befinden. Genau das Gleiche gilt für Rollenspielrunden. Der Autor dieses Artikels liebt beispielsweise skurrile Charaktere und slapstickhafte Einlagen, bei denen sich seine Spieler entspannen und an etwas Anderes denn den kommenden Schrecken denken können. Der nämlich setzt dann wieder früh genug ein. Aber wieviel an Komik nun man genau einfließen lassen sollte, wann es Zeit ist, wieder das Unheimliche zu berücksichtigen, wie weit man ein Szenario in der oben beschriebenen Weise ausbaut, ist eine Sache des Gespürs und der Erfahrung. Aber das kommt mit der Zeit, man muss dafür kein Genie oder Nobelpreisträger der Literatur sein.
Wichtig ist dann natürlich auch die Art, wie man die Ereignisse darstellt, die da auf die Charaktere zukommen. Auch hier gilt im Wesentlichen, dass der Spielleiter seinen eigenen Weg finden muss, der zu ihm und seinen Spielern passt. Es lassen sich wieder nur ein paar allgemeine Tipps geben. Man denke da zum Beispiel an die erwähnten alten und neueren Horrorfilme. Die sind im Wesentlichen nur so lange unheimlich, solange nicht ersichtlich ist, was genau die Helden der Filme bedroht. Sobald aber die Bedrohung deutlich beschrieben wird, ist es vorbei mit dem Gruseln. Man erinnere sich da an den genialen ersten "Alien" Film. Da ist das Ungeheuer erst in der letzten Sequenz vollkommen zu erkennen, aber auch letztlich nur als unförmiger Schatten. Der Autor des Artikels selbst war von einem Film Anfang der 80er beeindruckt, dessen Titel er längst vergessen hat: Da ging es um Umweltverseuchung und eine Papierfabrik in den kanadischen Urwäldern, die Selbiges veranstaltete. Das führte zu der Geburt eines unförmigen, gefräßigen Fischmonstrums. So lange der Zuschauer das nicht wusste, sondern nur ahnte, so lange es nur Spuren und Andeutungen gab, so lange die Wälder unheimlich blieben, fesselte der Film den Zuschauer an den Platz. Sobald das Monstrum dann in voller Größe erschien, war es vorbei mit dem Schrecken. Selbst dunkle Nacht und entsprechende Musik halfen dem Regisseur da nicht mehr aus der Klemme.
Cthulhu aber ist nun ein Spiel, in dem letztlich Unmengen von den unterschiedlichsten Monstren vorkommen. Da ist es nahezu existentiell, die so zu beschreiben, dass der Schrecken erhalten bleibt. Was fesselt die Spieler wohl mehr:
... als ihr die nächtliche, regennasse Straße entlang hastet, schiebt sich plötzlich ein Gullydeckel weg und ein gelblich grüner, Schleim tropfender Tentakel züngelt daraus hervor, um nach euch zu fassen ...
oder:
... kalt beißt euch der vom Himmel stürmende Regen ins Gesicht, peitscht euch die Haut, als ihr euch gegen den Regen die im Schatten liegende Straße entlang kämpft, auf der Suche nach dem, was dieses seltsame Geräusch verursacht hat, an das ihr euch nicht so recht erinnern vermögt. Warum nur? Ihr wisst es nicht, wisst es einfach nicht. Vielleicht wollt ihr es gar nicht wissen, denn es war fremd, sehr fremd. Und in den fließenden, flüsternden Schattenbildern der vom Regen gepeitschten Pfützen, in den Wind geschüttelten Bäumen, in den Wasser durchlöcherten Lichtkegeln der Laternen, verschiebt sich etwas vor euch auf der Straße, öffnet sich vielleicht die Straße selbst, auch wenn dies nur einer der eisernen Gullydeckel sein kann. Gehoben, getragen, von etwas, was schwarz ist wie die Nacht und doch nicht schwarz, etwas, von dem es tropft in klebrigen Strömen, etwas das züngelt und quillt, züngelt und quillt, während der eiserne Deckel sich dreht und euch entgegen flirrt in irrwitzigen Drehungen ...
Es wurde bereits erwähnt: Was einem am besten passt, muss jeder letztlich für sich selbst herausfinden. Nur allgemein lässt sich über obige Beschreibung festhalten:
<typolist>
Das cthuloide Ungeheuer, selbst wenn es in diesem Fall nur ein Tentakel ist, wird nicht direkt beschrieben.
Die Natur selbst wird nicht nur belebt, sie wird zum Feind. Der Regen peitscht und steht den Charakteren entgegen.
Die Natur belebt sich. Die Schatten bewegen sich, die Pfützen selbst werden zu Lebewesen.
Den Charakteren und den Spielern wird gezeigt, dass sie sich ihrer Wahrnehmungen nicht sicher sein können. Der Spielleiter lässt letztlich offen, was die Charaktere spüren und sehen, und das Wenige, was er angibt, kann jeder Zeit auch zurückgenommen und zur Illusion werden.
</typolist>
Und zum guten Schluss
Kurz und knapp: Manch einem werden die hier gegebenen Tipps nach verdammt viel Arbeit klingen. Mag am Anfang so sein. Hinterher geht es aber in Fleisch und Blut über. Der Autor diese Artikels versichert, dass er selbst keine Aufzeichnungen mehr machen muss, zumal er ohnehin kaum noch Zeit dafür findet, ein auch noch so interessantes Szenario sehr lange vorzubereiten.
Quelle: Pegasus Spiele
Weitere Artikel gibt es auf den Seiten vom Pegasus Spiele und Cthuloide Welten.
Bei diesen Angeboten liegt das Copyright bei Pegasus Spiele GmbH und wir danken der Redaktion vom Pegasus Spiele und Cthuloide Welten für die Genehmigung dieses Material hier im Rahmen unseres Cthulhu Spezials anbieten zu dürfen.
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