Atlas der utopischen Welten (Autor·innen: Ophélie Chavaroche und Jean-Michel Billioud)
 
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Atlas der utopischen Welten von Ophélie Chavaroche und Jean-Michel Billioud

82 Visionen der Menschheit

 

Rezension von Matthias Hofmann

 

Begriffe sind dehnbar und wandeln sich auch manchmal. In der Kartografie ist ein Atlas, per Definition, eine Sammlung von sehr vielen Landkarten. Seit einigen Jahren werden unter der Bezeichnung »Atlas« auch Referenzwerke mit sehr viel Bildmaterial veröffentlicht. Ein solches reichlich illustriertes Buch ist bei Kosmos erschienen mit dem Titel Atlas der utopischen Welten. Aber keine Angst: Ein paar Landkarten gibt es natürlich auch.

 

Diesen großformatigen Bildband (Format: 30,4 x 23,8 x 24 cm) dürften viele Science-Fiction-Fans nicht auf dem Schirm haben, da er in einem Verlag erschienen ist, der eher nicht im Fokus der Fans des Genres steht. Die Verlagsgruppe Franckh-Kosmos ist bekannt für Ratgeber, Naturführer, Kinder- und Jugendbücher, aber auch Experimentierkästen oder Brettspiele.

 

Als der Begriff »Science Fiction« noch nicht etabliert war, sprach man in Deutschland von »utopisch-phantastischer Literatur«. Bekannterweise sind Utopien Entwürfe von fiktiven oder zukünftigen Gesellschafts- und Lebensformen, die nicht einfach mal schnell umgesetzt werden können. So manche Utopie, die sich findige Menschenhirne ausgedacht haben, wird wahrscheinlich nie kommen.

 

Dieser Atlas versammelt Utopien im eigentlichen Sinn, also eher positive Ideen. 82 Visionen der Menschheit finden sich hier: real oder irreal, populär oder unbekannt. Anti-Utopien, also Gedankenspiele wie z. B. George Orwells Roman 1984, die seit einigen Jahren Dystopien heißen, werden nicht groß erwähnt. Das ist auch gut so, denn den beiden Autoren geht es um einen Atlas, der den Traum von der idealen Welt zum Leben erweckt.

 

Inhaltlich ist das Buch in sechs große Kapitel unterteilt. Das schön auf die folgenden Seiten einstimmende Vorwort hat der Schriftsteller Laurent Binet verfasst, dem das Wort Utopie zum ersten Mal bei der Lektüre des Hugo-Pratt-Comics Corto Maltese in Sibirien begegnet ist. Er selbst hat zuletzt einen interessanten Alternativweltroman mit dem Titel Eroberung geschrieben, in dem Kolumbus nie aus Amerika zurückkehrt, die Inkas Europa, beginnend in Portugal erobern, und Geschäfte mit den Fuggern in Deutschland machen, die das ganze mitgebrachte Gold verteilen.

 

Der Atlas ist übersichtlich aufgebaut. Großen Raum wird der Bebilderung eingeräumt. Teilweise werden ganzseitige oder gar doppelseitige Illustrationen oder Fotos geboten. In der Regel werden jeder Utopie zwei Seiten eingeräumt, manchmal auch vier. Die Texte sind relativ knappgehalten, aber prägnant. Sie behandeln ihr Thema nicht erschöpfend, sondern stellen es kurz vor und reißen es nur an. Das reicht aber völlig aus, um sich seine eigenen Gedanken zum vorgestellten Thema zu machen. Und wer mehr wissen möchte, kann nach eigenem Ermessen seinen Wissensdurst mit weiterführender Lektüre stillen.

 

Es beginnt natürlich mit der Insel Utopia und dem Ideal von Thomas Morus. Weitere Ideale Orte waren Atlantis oder Eldorado, aber auch moderne Entwürfe wie z. B. Wakanda aus Marvels Black Panther fehlen nicht.

 

Das Buch bietet eine unglaubliche Fülle an Stoffen über die Neuerschaffung der Welt. Was wäre, wenn man alle Kriege beenden würde? Wenn man nur zwei Stunden am Tag arbeiten müsste? Was ist mit der Idee von gleichen Löhnen für Männer und Frauen? Als die für alle zugängliche, kostenlose Wikipedia online gestartet wurde, wurde ihr von vielen Zweiflern ein Scheitern prophezeit, und heute ist sie die gewaltigste Enzyklopädie der Welt.

 

Auch der technologische Fortschritt und die verrückten Träume, die daraus wachsen, werden beleuchtet. Eine Herztransplantation war für unsere Vorfahren undenkbar, inzwischen wird an ganz anderen Körperveränderungen geforscht. Selbst die Besiedlung des Mars’ wird geplant, während unsere Teleskope immer mehr potenziell bewohnbare Exoplaneten in der unendlichen Weite des Weltalls entdecken.

 

Der »Atlas der utopischen Welten« eignet sich dazu, dass man jeden Tag (oder jeden Abend vorm Schlafengehen) einmal hineinschaut und etwas anderes entdeckt. Ich fand die Zusammenstellung so faszinierend, dass ich mich regelrecht bremsen musste und dann trotzdem schon nach ein paar Tagen den Atlas komplett gelesen hatte. Er bietet einfach faszinierenden Lesestoff, eine opulente Bebilderung und jede Menge Denkanstöße.

 

Ich möchte den »Atlas für utopische Welten« uneingeschränkt empfehlen. Nicht nur für SF-Fans, sondern für alle, die offen sind für neue Ideen und alle, die sich Gedanken machen, wie man die Welt und die Gesellschaft ohne religiöse oder politische Untertöne verbessern könnte. Übrigens, das Buch eignet sich auch wunderbar als Geschenk für Menschen, die nicht viel lesen, aber trotzdem gerne inspiriert werden wollen.

 

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Buch:

Atlas der utopischen Welten

82 Visionen der Menschheit

Original: Atlas des Utopies, 2019

Autor·innen: Ophélie Chavaroche, Jean-Michel Billioud

gebundene Ausgabe, 256 Seiten

Kosmos, 16. September 2021

Übersetzung: Dagmar Brenneisen

Titelillustration: Supertrees, Singapur [Foto]

Vorwort: Laurent Binet

 

ISBN-10: 3440172473

ISBN-13: 978-3440172476

 

Erhältlich bei: Amazon


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Erstellt: 01.01.2022, zuletzt aktualisiert: 23.08.2023 08:32, 20470