Chatroom (BR; Thriller; FSK 16)
 
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Chatroom (BR; Thriller; FSK 16)

Rezension von Torsten Scheib

 

Rezension:

Das Internet … unendliche Weiten. Ein digitales Universum mit zahllosen Möglichkeiten. Ein Ort, der die Welt näher zusammengebracht hat. Doch wo viel Sonne, da auch viel Schatten. Was ist zum Beispiel mit der Internetkriminalität; ein Bereich, der trotz aller Bemühungen weiterhin ungehindert wächst und gedeiht? Aber auch die so oft besungene Anonymität des World Wide Web erscheint nur vordergründig vollkommen. Für viele Menschen hat diese sterile Form der Kommunikation längst die klassischen Verständigungsformen überholt; viel lieber bleibt man Zuhause vor der Kiste statt unter Leute zu gehen. Ein weiterer Trend, der immer mehr überhand nimmt – traurigerweise.

Insofern ist die Thematik von Chatroom brandaktuell. Ein leidlich heißes Eisen, das von Regisseur Hideo Nakata hoffentlich auch entsprechend behandelt wird. Doch einen Moment bitte! Hideo Nakata? War das nicht der Mann hinter Ringu (1998) und Dark Water (2002)? Was hat ein etablierter J-Horror-Regisseur ausgerechnet in einer britischen Produktion verloren? Und vor allem: entpuppt sich »Chatroom« letztlich doch als der nächste Horrorstreifen ohne besonderen Nährwert?

 

Aber der Reihe nach. »Chatroom« beginnt mit dem entschlossenen, zugleich aber auch irgendwie dubios wirkendem Teenager William (Aaron Johnson), der sich mit dem Chatroom »Chelsea Teens!« seinen ganz eigenen Rückzugsort im Netz erschafft; ein Platz, der ausschließlich für ihn und ausgewählte Besucher vorgesehen ist.

Diese finden sich rasch, mit dem schüchternen Jim (Matthew Beard), dem nervös agierenden Mo (Daniel Kaluuya), Nachwuchsmodel Eva (Imogen Poots) und der, unter der Fuchtel ihrer Eltern stehenden Emily (Hannah Murray). Was eingangs folgt, sind die typischen Chat-Etiketten. Freundliches Geplänkel, vorsichtiges Heranpirschen. Dabei kommen Mo, Eva und Emily überein, dass William echt was drauf hat. Ein Lieber, sozusagen. Selbstsicher, schlagfertig und stets mit einer Lösung für ihre Probleme, scheint er sich wirklich für das Trio zu interessieren. Folglich schmilzt die Vorsicht mit jeder weiteren Chatsitzung immer mehr, bis Eva schließlich den ersten Schritt wagt und William von ihren Ärgernissen mit einem anderen, konkurrierenden Mädchen berichtet. Kurz darauf präsentiert William, was er mit dem Internetauftritt der Rivalin angestellt hat. Im Grunde müsste sich Eva darüber freuen; ja sogar dankbar sein – doch aus irgendeinem Grund weigert sie sich, dicke Smileys in ihren Chatbalken zu platzieren. Plötzlich kommt ihr William alles andere als fürsorglich vor. Kann es sein, dass er sie – und die anderen – mit seiner philanthropischen Ader gewaltig hinters Licht geführt hat?

Obwohl sie die anderen zur Vorsicht gemahnt, vertrauen sich auch Emily, Mo und sogar der extrem introvertierte Jim ihrem breitschultrigen Online-Patron an. Sehr zum Gefallen von William, der im wahren Leben unter krankhafter Eifersucht auf seinen Bruder leidet und dafür sogar in psychiatrische Behandlung musste. Doch nun – endlich – kann er seinen Zorn auf andere projizieren; kann nach Belieben manipulieren und der herrlichen Gewalt frönen wie auf dem japanischen Selbstmordvideo aus Japan – seinem absoluten Lieblingsclip aus dem Netz! Als William schließlich von dem, den Suizid bejahenden Chatroom »Ultimo Quarto« erfährt, sowie von Jims bewegter Vergangenheit und der daraus resultierenden Depression, wagt er den nächsten Schritt hin zum Chaos …

 

Dieser William – kommt der einem nicht irgendwie bekannt vor? Wer Matthew Vaughns letztjährige, augenzwinkernde Abrechnung mit Superman und Co, Kick Ass gesehen hat, dem dürfte Aaron Johnsons überzeugender Darbietung als leicht verschrobener Comic-Nerd Dave Lizewski auf jeden Fall in Erinnerung geblieben sein. In »Chatroom« (der übrigens vor »Kick Ass« realisiert wurde) gibt es nun einen gänzlich anderen Aaron Johnson zu sehen – nicht nur äußerlich. Die Dualität, die er seinem Alter Ego William verpasst, ist ebenso überzeugend wie beeindruckend. Präsentiert sich William seinen zukünftigen Opfern als gebildeter junger Mann in Rockstar-Manier, ist der William aus dem wahren Leben im Grunde ein bedauernswerter Junge, der den Kampf gegen seine innere Dämonen längst verloren hat, aber zum Glück mit dem Internet eine Möglichkeit findet, all das ausleben zu können, was ihm sein, von Verlustangst infizierter Verstand als richtig vorgibt. Anonymität ist in »Chatroom« ohnehin ein gewichtiges Thema. Nicht nur innerhalb, vielmehr auch außerhalb der virtuellen Grenzen. Besonders deutlich wird dies bei der Portraitierung von Jim, der ohne seinen Laptop nicht mal vor die Tür geht und bei etwaigen amourösen Vorstößen seitens des anderen Geschlechts bei der erstmöglichen Gelegenheit fluchtartig das Weite sucht. Nein, dies ist nicht ausschließlich eine Folge seiner Depression, sondern vielmehr auch das hässliche Nebenprodukt von gesichtslosen Chats und stundenlangen Inkognito-Netzerkundungen. Allerdings wäre es, zugegebenermaßen, auch ein wenig einfach, alles auf das böse Netz zu schieben. Zum Glück weiß das auch Hideo Nakata. Subtil und niemals mit dem erhobenen Zeigefinger deutet er eine Welt an, welche dank Leistungsdruck und aufkommender Hektik immer mehr und mehr aus den Fugen gerät. Etwa wenn sich Jims Mutter lieber um den Abwasch kümmert als um ihren Sohn. Oder Williams Mutter, eine Bestsellerautorin, lieber der Präsentation ihrer neuesten Veröffentlichung den Vorzug gibt, denn ihrem jüngsten Sprössling. Es sind kleine, aber zutiefst bedrückende Momente, die Nakata dem Zuschauer serviert – doch reichen sie völlig aus. Den überwiegenden Teil von »Chatroom« erlebt der geneigte Zuschauer jedoch innerhalb der virtuellen Weiten. Was die Frage aufwirft, wie man diese glaubwürdig und unterhaltend auf das Medium Film übertragen kann. Nakatas Lösung ist gleichermaßen simpel wie genial. Für ihn ist das Internet ein endloser Korridor, bevölkert von Menschen aller möglichen Couleur: Jung, alt, arm, reich, normal, pervers. Und wer möchte, kann in eines der zahllosen Zimmer gehen und hinter verschlossenen Türen seinen Wünschen und Neigungen frönen. Überall herrschen bunte Farben und scheinbar ausgelassenes Treiben. Doch die vorherrschenden Risse in den Wänden und der abblätternde Lack machen deutlich, dass auch hier nicht alles ausschließlich perfekt ist.

 

Neben Johnson muss man auch den anderen Darstellern ein großes Kompliment machen. Ihre Darbietungen sind durchweg überzeugend und erhalten dank der glaubwürdigen und niemals klischeebehafteten Charakterisierung durch Drehbuchautor Enda Walsh (von dem auch die Bühnenvorlage stammt) Tiefe und Plastizität. Einzig Imogen Poots fällt ein wenig ab. Die junge Nachwuchsschauspielerin, die bereits in 28 Weeks Later (2007) oder auch zuletzt als ausgestoßene Keltin in Centurion (2010) hervorragend agierte, wirkt über weite Strecken erstaunlich blass. Erst gegen Ende des zweiten Akts taut sie schließlich etwas auf.

Leider lässt sich das nur bedingt auf die Qualitäten der besprochenen Blu Ray ableiten. Das Bild erreicht bestenfalls gutes bis sehr gutes DVD-Niveau, der Klang ebenfalls. Wobei man aber zugute halten sollte, dass »Chatroom« bestimmt nicht mit der Intention gedreht wurde, durch knallbunte Bilder zu überzeugen – sondern durch eine intelligent vorgetragene Handlung. Als Extras gibt es mal wieder Obligatorisches: eine B-Roll sowie kurze Interviews mit Cast und Crew. Allerdings wird letztes Extra spätestens nach der dritten Befragung immer zäher, da im Grunde stets das Gleiche geantwortet wird, nur eben in anderen Ausführungen.

 

Fazit:

»Chatroom« mag als kleiner Film daherkommen, entpuppt sich aber schon nach den ersten Minuten als äußerst positive Überraschung. Die brisante und aktuelle Thematik wird in einer ebenso glaubwürdigen wie spannenden Handlung treffsicher auf den Punkt gebracht; komplettiert durch tolle visuelle Einfälle und einer gut aufgelegten Besetzung. Ein wichtiges Werk, dem sich nicht nur Thriller-Fans zuwenden sollten!

Oje, das hat nicht geklappt, Elfenwerk! 20241214103141a453bf01
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BR:

Chatroom

Originaltitel: Chatroom

GB, 2010

Regie: Hideo Nakata

Sprache: Deutsch (DTS-HD 5.1), Englisch (DTS-HD 5.1)

Untertitel: Deutsch

Region: Region B/2

Bildseitenformat: 16:9 - 1.77:1

FSK: 16

Universum Film, 24. Juni 2011

Spieldauer: 97 Minuten

 

ASIN: B004TZGTBG

 

Erhältlich bei Amazon

 

Darsteller:

Aaron Johnson

Imogen Poots

Matthew Beard

Hannah Murray

Daniel Kaluuya

Megan Dodds

Michelle Fairley


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Erstellt: 05.10.2011, zuletzt aktualisiert: 17.11.2024 13:19, 12127