Das große Werk der Zeit (Autor: John Crowley)
 
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Das große Werk der Zeit von John Crowley

Rezension von Matthias Hofmann

 

Die deutsche Erstveröffentlichung des Kurzromans Das große Werk der Zeit von John Crowley kann man nicht einfach so besprechen wie ein normales Buch. Es ist der erste Belletristik-Titel im neu gegründeten Wandler Verlag, der auch Comics und Kinderbücher verlegen will, und dessen Hauptprogramm für Genrefans höchst interessant sein dürfte. Auf der aktuell noch etwas rudimentären Homepage erklärt Thomas A. Wandler:

 

»Der Wandler Verlag ist ein lange gehegtes Traum-Projekt! Die Möglichkeit, AutorInnen und KünstlerInnen zu veröffentlichen, deren Werke dem Verlagsgründer selbst gefallen und deren kreatives Schaffen oft nicht gängigen Marktströmungen entspricht. Mit den kommenden Veröffentlichungen versuchen wir sowohl Kindern und Jugendlichen einen Raum zu geben ihre Fantasie auszuleben, als auch erwachsenen Neulingen und Kennern des fantastischen Genres, Neuerscheinungen und klassische Werke nahe zu bringen.

 

​Obzwar der Hauptschwerpunkt auf US-amerikanischer Literatur liegen mag, werden wir bemüht sein, auch den Rest der Welt nicht zu übersehen! Dabei wird es sich nicht ausschließlich um die Realisierungen von Romanen und Kurzgeschichtenbänden handeln; auch Gedichtbände, Comics, Fotografie, Musik und bewegte Bilder, werden im Laufe der Zeit in diversen Formen erscheinen.«

 

Trotz der schwierigen Zeiten, gerade für Kleinverleger, gibt man sich realistisch optimistisch und ergänzt:

 

»Bei diesem, zugegebenermaßen waghalsigen Unternehmen, wünsche ich Ihnen, wie auch uns, eine Reise voller Abwechslung und Freude, voller Fantasie, Spannung, Neugierde, und der einen oder anderen kleinen Verwandlung …«

 

Für den Programmstart hat man ein Werk des US-Amerikaners John Crowley auserwählt. »Das große Werk der Zeit« stammt aus dem Jahr 1989 und hat im Folgejahr den World-Fantasy-Award in der Kategorie »Beste Novelle« gewonnen. Das Buch passt also recht gut zu dem Anspruch der Homepage, der da lautet:

 

»Die Wandler-Reihe versammelt Highlights der phantastischen Literatur aus den Genres Science-Fiction, Fantasy, Horror und Magischem Realismus«.

 

Während diese Novelle mehr als 20 Jahre gebraucht hat, bis sich ein deutscher Verleger ihrer angenommen hat, sind Crowleys wichtigste Werke bislang alle relativ zeitnah auf Deutsch erschienen. Am bekanntesten dürfte Little Big oder das Parlament der Feen sein (1982), ein Buch, das ebenfalls mit dem World-Fantasy-Award ausgezeichnet wurde. Crowleys Prosa gilt als »nicht leicht«, mitunter eher ambitioniert und weist gewisse Tiefen auf, die notorische Schnellleser eher etwas überfordern dürfte. Das gilt besonders für »Das große Werk der Zeit«, dessen Lektüre trotz des überschaubaren Seitenumfangs einiges an Aufmerksamkeit und damit Zeit erfordert. Eventuell ist das auch der Grund, warum bislang kein deutscher Verlag dieses Werk veröffentlicht hat. Es ist unter dem Strich nicht massentauglich und selbst für typische Fantasyfans anspruchsvolle Kost.

 

Schon alleine eine Zusammenfassung des Inhalts erweist sich als Herausforderung, denn wir haben es mit sechs verschiedenen Kapiteln zu tun, die zunächst unabhängig voneinander erscheinen. Erst ab dem dritten Kapitel beginnt sich ein roter Faden zu entspinnen, allerdings keine chronologische Linie im herkömmlichen Sinne, sondern ein Verlauf in mindestens zwei Richtungen. Also in der Zeit nach vorne, aber auch zurück.

 

»Das große Werk der Zeit« ist nämlich im Kern eine Zeitreisegeschichte. Im Zentrum des Plots stehen die Unternehmungen des britische Unternehmers Cecil Rhodes, die Kreativität des Erfinders Caspar Last und die Erlebnisse des Beamten Denys Winterset.

 

Cecil Rhodes ist eine Figur aus der echten Historie, der als Nationalheld, Imperialist und Kolonialist seinen Namen für den Staat Rhodesien hergab, ein Land in Südafrika, das heutzutage unter dem Namen Simbabwe bekannt ist. In einer alternativen Zeitlinie hat Rhodes sein gesamtes Vermögen der Gründung und dem Erhalt einer Geheimgesellschaft vermacht, deren Aufgabe es ist, das britische Imperium zu erhalten und zu erweitern.

 

Caspar Last hat eine Zeitmaschine erfunden und merkt sehr schnell, dass jede Zeitreise Auswirkungen auf den Verlauf der Zeit hat. So beschließt er, ins Britisch-Guayana des 19. Jahrhunderts zu reisen, um eine äußerst seltene Briefmarke zu besorgen, eine Magenta von 1856, durch deren Verkauf er in seiner richtigen Zeit reich werden will. Nach dieser einmaligen Aktion, möchte er das Zeitreisen sein lassen.

 

Denys Winterset ist ein junger Beamter des britischen Kolonialdiensts im Afrika der 1950er Jahre, der auf einer Bahnreise entlang der Kap-Kairo-Route, einer Vision von Rhodes, die übrigens in der Realität aufgrund des Zweiten Weltkriegs nie vollendet wurde, zum ersten Mal von der Rhodes’schen Geheimorganisation erfährt, als er im Zug von einem mysteriösen Fremden gefragt wird, ob er Mitglied werden wolle.

 

Was die Lektüre zu einer heiklen Angelegenheit macht, sind die Zeitsprünge der Handlung. Diese hüpft nicht nur linear vor und zurück, sondern auch in alternative Entwicklungen, so dass sich selbst der Leser, der sämtliche Hintergrundinformationen zu wissen glaubt, mitunter vor einem Rätsel steht.

 

Aber das ist halt Crowley. Es wäre zu einfach, wenn er eine für alle leicht verständliche Erklärung bereithalten würde. Fürs Leben bekommt man auch keine Bedienungsanleitung in die Wiege gelegt.

 

Probleme hatte ich mit der Übersetzung von Joachim Körber, der ja eigentlich eine Unmenge von Büchern übersetzt hat und es besser wissen müsste. Aber so manche Passage wirkt, als hätte eher eine Künstliche Intelligenz übersetzt.

 

Natürlich ist John Crowleys Prosa nicht ganz einfach ins Deutsche zu übertragen. Die Viskosität des englischen Originals wird jedoch in der deutschen Fassung stellenweise zäh und lesehemmend. Gleich der erste deutsche Satz des Werks zeigt, wie hölzern und bar von Fingerspitzengefühl hier übersetzt wurde:

 

»Wenn dies eine Chronik sein soll, was ich jetzt niederschreibe, so muss sie sich insofern von einer jeden anderen Chronik unterscheiden, als dass sie nicht zu einem bestimmten Zeitpunkt an einem bestimmten Ort beginnt, sondern allerorten zugleich – aber vielleicht wäre ›allerzeiten‹ das passendere Wort. Sie könnte an jedem Punkt entlang der unendlichen, unendlich gebrochenen Küstenlinie der Zeit ihren Anfang nehmen.«

 

[Zum Vergleich der Originaltext: »If what I am to set down is a chronicle, then it must differ from any other chronicle whatever, for it begins, not in one time or place, but everywhere at once – or perhaps everywhen is the better word. It might be begun at any point along the infinite, infinitely broken coastline of time.«]

 

Hoch anzurechnen ist es dem Wandler Verlag, dass er sich um die Originaltitelillustration der Bantram-Spectra-Edition des US-Künstlers Thomas Canty bemüht und nicht irgendein computergeneriertes, austauschbares Motiv als Titelbild genommen hat, wie es seit einigen Jahren Unsitte ist.

 

Wer John Crowley kennt, wer dessen Romane »Little Big oder das Parlament der Feen« oder »Maschinensommer« schätzt, und wer sich durch eine komplexe Handlung nicht ins Bockshorn jagen lässt, ist hier genau richtig. So ist der Wandler Verlag mit dem Kurzroman »Das große Werk der Zeit« sehr anspruchsvoll und mit einem übersehenen Juwel für Fantastik-Gourmets gestartet. Wir sind gespannt, wie es weitergeht.

 

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Buch:

Das große Werk der Zeit

Autor: John Crowley

Originaltitel: Great Work of Time, 1989

Taschenbuch, 144 Seiten

Wandler, 14. Juni 2021

Übersetzung: Joachim Körber

Titelillustration: Thomas Canty

 

ISBN-10: 3948825025

ISBN-13: 978-3948825027

 

Erhältlich bei: Amazon


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Erstellt: 13.08.2021, zuletzt aktualisiert: 10.04.2024 18:52, 19995