Das Tor (Autorin: Basma Abdel Aziz)
 
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Das Tor von Basma Abdel Aziz

Rezension von Matthias Hofmann

 

Der Roman Das Tor stammt aus der Feder einer Autorin, die in ihrem Land einen unermüdlichen Kampf gegen Ungerechtigkeit und Missstände führt. Basma Abdel Aziz wurde 1976 in Kairo geboren und wer sich als Frau in Ägypten gegen Unterdrückung und Verletzung der Menschenrechte einsetzt, hat keinen leichten Stand. Eigentlich ist sie Psychiaterin und hat sich auf die Behandlung von Folteropfern spezialisiert. Sie betätigt sich aber auch als Künstlerin und schreibt Artikel. »Das Tor« ist ihr erster Roman.

 

Das Tor des deutschen Titels (im anglophonen Sprachraum heißt das Buch interessanterweise »The Queue«, zu Deutsch »Die Schlange«, aber das hätte auf den ersten Blick wahrscheinlich zu Verwechslungen mit dem Reptil geführt) steht für eine hegemoniale, schwer greifbare Institution, die das Leben der Bevölkerung regelt. Diese Organisation müssen die Bürger konsultieren und um Genehmigung bitten, wenn sie im Leben etwas erreichen wollen. Das betrifft nicht nur Förderungen, die Geld benötigen, sondern auch gravierende Eingriffe wie zum Beispiel eine lebensnotwendige Operation im Krankenhaus.

 

Das Tor ist jedoch die meiste Zeit geschlossen. Eigentlich ist es immer zu, aber es besteht die Möglichkeit, dass es jederzeit geöffnet und Menschen durchgelassen werden könnten. So lange es verschlossen ist, bildet sich eine Schlange von Menschen jeder Art und Schicht. Die Warteschlange ist so stark angewachsen, dass man mit einem Bus von einem zum anderen Ende fahren kann, wenn man mit jemand sprechen will, der ganz hinten in der Schlange steht. Es hat sich ein kleiner Mikrokosmos aus Menschen gebildet, die die meiste Zeit des Tages in der Schlange stehen und sich unterhalten.

 

Manche machen sich sie Menschenschlange zu Nutze, wie z. B. Umm Mabrouck, die Tee für andere Wartende kocht oder gegen Geld ihr Handy zum Telefonieren verleiht. Die zentrale Person des Romans ist Yahya Gad al-Rabb Said. Er hat eine schwerwiegende Verletzung. Er nahm an Demonstrationen teil, die als »Schändliche Ereignisse« bezeichnet werden, und wurde dort angeschossen. Die Kugel in seinem Körper hat sich nicht im Fleisch verwachsen, wie er hoffte, sondern zehrt ihn mehr und mehr von innen aus und lässt seinen Körper bluten. Retten könnte ihn der Arzt Dr. Tarik Fahmi, der seine Krankenakte liest. Zu Beginn jedes der sechs Teile des Buchs nimmt er die Akte zur Hand und liest darin. Wie sich herausstellt, wird sie laufend tagesaktuell ergänzt. Aber wenn er die Kugel entfernen würde, wäre dies ein strafrechtlich relevanter Beweis, welcher der Regierung nicht gefallen dürfte. Das ist ein schier unauflösbares Dilemma für den ansonsten aufrichtigen Mediziner.

 

Was Basma Abdel Aziz beschreibt ist ein dystopisches Szenario eines Überwachungsstaats, wie man es von George Orwell und vielen anderen kennt. Manche glauben auch einen Hauch von Franz Kafka zu erkennen. Man denke nur an Das Schloß, in dem der Protagonist sich in eine fremde Dorfgemeinschaft einfügen und zu dem in der Nähe gelegenen Schloss gelangen will. Dabei hat er mit absurden Anweisungen aus dem Schloss zu tun, die ihm das Leben schwermachen und ihn in eine permanente Ungewissheit hüllen.

 

Das Setting macht »Das Tor« zu einem utopisch-fantastischen Roman, wobei die Wirkung des Buchs wahrscheinlich für Leser, die im gleichen Kulturkreis und Lebensumfeld wie Basma Abdel Aziz aufgewachsen sind, viel stärker ist. Aus westlich-europäischer Sicht ist die Handlung nicht wirklich spekulativ und man könnte meinen, dass dieses Horrorszenario eines autoritären Regimes, eines, politisch und sozial, alles überwachenden Staats, durchaus in manchen Ländern irgendwie existiert.

 

Die Story wirkt inspiriert vom Arabischen Frühling. Diese Protestbewegung nahm ihren Anfang 2010 mit einer Revolution in Tunesien und erreichte auch Ägypten. Der Tahrir-Platz in der Hauptstadt Kairo war 2011 zentraler Versammlungsort für Kundgebungen, die gegen den damals herrschenden Präsidenten Mubarak abgehalten wurden. Dieser »Platz der Befreiung« wurde zum Symbol für die ägyptische Revolution. Das Warten in der Schlange vor einem übermächtigen Tor ist möglicherweise eine Metapher für das korrupte, bürokratische Leben in Ägypten nach dem Arabischen Frühling.

 

Für westliche Leser bieten sich durch die Lektüre dieses Romans keine neuen Erkenntnisse. Alles wirkt etwas vorhersehbar und klischeebehaftet. Verschiedene Aspekte, die in der Handlung vorkommen, wie die konstante Überwachung regimekritischer Personen, die Manipulation durch die Medien (die Zeitung, die die Protagonisten im Roman lesen, heißt natürlich Die Wahrheit), Kontrolle durch des Mobilfunknetzes oder gezielte Unterdrückung oder Ausgrenzung von Menschen, sind nichts, was man im Westen nicht offen ansprechen oder anprangern kann.

 

Deshalb ist »Das Tor« in erster Linie für Leser aus Ländern und Regionen, wie die ägyptische Heimat von Basma Abdel Aziz eine Art Balsam für die Seele, weil das Buch in belletristischer Weise Missstände offenlegt. Da es nicht weiter in die Tiefe geht, ist es aus westlicher Sicht eher als sozialkritische Übung zu werten. Es ist gut und schnell zu lesen, aber nur leidlich spannend, da die Macht des Tors, welches sich partout nicht öffnen will, jede Aktion verhindert. Im Prinzip wie bei Warten auf Godot von Samuel Beckett, wo dieser im Verlauf der Handlung einfach nicht erscheint. Nur nicht ganz so verklausuliert und absurd.

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Buch:

Das Tor

Original: Al-Tabuur, 2013

Autorin: Basma Abdel Aziz

Übersetzung: Larissa Bender

Titelillustration: Ints Vikmanis und LouieLea

Taschenbuch, 283 Seiten

Heyne, 13. April 2020

 

ISBN-10: 3453320468

ISBN-13: 978-3453320468

 

Erhältlich bei: Amazon

 

Kindle-ASIN: B07ZTFR2KY

 

Erhältlich bei: Amazon Kindle-Edition


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Erstellt: 03.05.2020, zuletzt aktualisiert: 10.04.2024 18:52, 18585