Der Golem (Autor: Gustav Meyrink)
 
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Der Golem von Gustav Meyrink

Rezension von Ralf Steinberg

 

Verlagsinfo:

"Ungefähr alle dreiunddreißig Jahre begibt es sich nämlich, dass ein vollkommen fremder Mensch, bartlos, von gelber Gesichtsfarbe und mongolischem Typus aus der Richtung der Altschulgasse her durch die Judenstadt schreitet und plötzlich - unsichtbar wird." So erzählt man sich in der Prager Judenstadt. Die Legende vom Golem ist lebendig, noch dreihundert Jahre, nachdem sich der hohe Rabbi Loew im späten 16. Jahrhundert den künstlichen Gehilfen schuf. Und nicht nur die Legende lebt: Eines Tages bringt ein fremder Mensch, bartlos, von gelber Gesichtsfarbe und mongolischem Typus dem Gemmenschneider Athanasius Pernath ein Buch mit einer kostbaren goldenen Initiale zur Reparatur. Pernaths Erinnerungsvermögen beginnt ihm seltsame Streiche zu spielen. Das Aussehen des Besuchers ist in seinem Gedächtnis wie ausgelöscht. Um es sich zu vergegenwärtigen, spielt er dessen Ankunft nach. Da kehrt die Erinnerung zurück - und mehr noch: Der Fremde ergreift von ihm Besitz.

 

Rezension:

Einen Roman über eine Stadt zu schreiben, von dem man auch noch Jahrzehnte als dem Stadt-Roman spricht, gelingt wahrlich nur selten. Warum hat es gerade Der Golem geschafft, als der Prag-Roman zu gelten?

Gustav Meyrink verband mit Prag mehr als das übliche band zwischen Wohnort Bürger. vielmehr entwickelte sich diese dunkle und uralte Metropole für ihn zu einem ganz besonderen Schauplatz von Entwicklungen, die ihn nicht nur arg bedrängten, sondern auch auf eine Art veränderten, deren Ergebnis gerade seine literarischen arbeiten sind. Ohne Prag kein Golem in jeder Hinsicht.

Zunächst mag der Leser an das Buch lediglich mit der geringen Vorkenntnis über die Legende herangehen. Über den Rabbi Löw und sein Lehmungetüm. Natürlich kommt diese Legende auch im Roman vor. Meyrink jedoch lässt aus diesem Mythos weitere Wurzeln in den Prager Untergrund wuchern, ein Gemisch aus Kabbala und Hinterhofgeflüster. Der Schauplatz – die alte Prager Judenstadt – wirkt bei Meyrink wie ein eigenes Wesen, ein uralter Greis mit müden Knochen, faulenden Zähnen und voller Geschichten über die Vergangenheit.

Hier spielt die Geschichte von Athanasius Prenath, ein Gemmenschleifer, der sich plötzlich bewusst wird, dass er nicht vollständig ist, das ihm etwas fehlt. Nicht nur seine Vergangenheit, sondern darüber hinaus auch ein Teil seines Wesens, das ihm in der Gestalt des Golems begegnet und ihn auf spirituelle Selbstfindung schickt, die sowohl schmerzhaft, als auch befreiend ist.

Dabei spielt er seine Rolle als Figur im Alltagsleben der Judenstadt, die voller Gier und Gewalt, aber auch angefüllt ist mit unglaublich tragischen Beziehungen ihrer Bewohner. Stück für Stück geraten wir tiefer hinein in das Gewirr der Häuser die sich selbst von einander abwenden. Es ist eine eigene Welt.

Als Prenath in diesem Sumpf etwas findet, das reiner ist, als alles, was er sich bisher vorstellen konnte, muss er erkennen, dass seine Anwesenheit das beflecken könnte. Immer noch nicht genesen an der Vergangenheit, will er sterben, doch genau in diesem Augenblick zerrt die Stadt an ihm. Er wird herausgerissen und in eine ganz andere Wirklichkeit gesteckt, in der er jedoch genau so einsam ist, wie in Freiheit. Das Untersuchungsgefängnis führt ihm letztlich vor Augen, worin der nächste Schritt besteht, der weder auf dem Pfad des Todes noch dem des Lebens weilt. Er findet den letzten, fehlenden Teil seines Wesens.

Doch inzwischen ist die Judenstadt zerstört, kaum gelingt es ihm, Reste seines alten Lebens wieder zu finden, erst im alten Haus des Golems wird er fündig. Die Rahmenhandlung setzt an dieser Stelle wieder ein, um die seltsamen Romanbeginn nun nachträglich aufzuklären. Eine weitere Schleife der Legende offenbart sich, der Golem ist erneut in Prag unterwegs.

Meyrinks Roman zieht seine Wirkung aus dem ungeheuren Sog der Legende. Aus der künstlichen Figur wird ein der Persönlichkeit. Fast psychoanalytisch verschmilzt Pernath mit dem Mythos, wird sogar für den Golem gehalten. Stets in Angst und Ungewissheit darüber, welche Bedeutung dieser fehlende Tel seines Ichs hat. Ein fast aussichtsloser Kampf gegen Unwissenheit und Kontrollverlust, währen ringsum das Leben nur so sprudelt, auch wenn es im Sterben begriffen ist.

 

Ulrike Ehrmann gelingt es in ihrem Nachwort und der von ihr zusammengestellten Zeittafel, Werkinterpretation und Entstehungsgeschichte übereinander zu legen und Aspekte näher zu beleuchten, die heute nicht logischerweise offensichtlich sind. Wie stets eine gelungene Abrundung der Klassiker-Ausgaben des dtv.

 

Fazit:

Dieser Klassiker der phantastischen Literatur hat in unserem Kulturbewusstsein nicht nur durch die Legende und die Filme Bestand, sondern auch durch eine eigenartige Konstruktion, die den Leser in eine verlorene Welt entführt und neben einem anschaulich Blick auf das alte Prag auch einen tiefen Blick in die Tiefen der menschlichen Existenz gewährt. Ein Meisterwerk von überraschender Kraft.

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Buch:

Der Golem

Autor: Gustav Meyrink

dtv, Februar 2009

Taschenbuch, 272 Seiten

Titelbild:Joseph Henderson

 

ISBN-10: 3423137371

ISBN-13: 978-3423137379

 

Erhältlich bei: Amazon


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Erstellt: 22.05.2009, zuletzt aktualisiert: 27.02.2024 17:30, 8765