Der Graf von Monte Christo (Autor: Alexandre Dumas)
 
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Der Graf von Monte Christo von Alexandre Dumas

Rezension von Ralf Steinberg

 

Verlagsinfo:

Alexandre Dumas’ Meisterwerk von 1845/46 entstand nur zwei Jahre nach dem großen Abenteuerklassiker Die drei Musketiere – die beiden Romane verhalfen dem Schriftsteller zu Weltruhm. Bis heute hat die dramatische Geschichte des jungen Seemanns Edmond Dantès, der am Tag seiner Hochzeit aufgrund einer Intrige verhaftet wird, nichts von ihrer Faszination verloren. Die Flucht aus dem Gefängnis auf die Insel Monte Christo und der eiskalte Rachefeldzug gegen seine Verräter boten Stoff für zahlreiche Verfilmungen, unter anderem mit Gérard Depardieu, der bekannte: »Monte Christo, das bin ich.«

 

Rezension:

Die Geschichte von Edmond Dantès und seiner Rache als Graf von Monte Christe an jenen, die ihm Glück und Freiheit raubten, gehört zu den berühmtesten Abenteuergeschichten der Literatur. Dabei prägen vor allem Verfilmungen und gekürzte Jugendbuchausgaben das Wissen um Handlung und Figuren.

Das in Fortsetzungen als Feuilleton-Roman entstandene Werk bringt es in der ungekürzten Ausgabe des dtv auf knapp 1500 Seiten als redigierte Übersetzung der deutschen Erstausgabe. Dumas und sein mutmaßlicher Mitschreiber Auguste Maquet schrieben hier in erster Linie um des Verdienstes wegen. Etlichen Szenen und ausführlichen Beschreibungen ist durchaus anzumerken, dass hier auf hochprofessionelle Weise Worte geschunden wurden. Ein Kürzungspotential, das seither oft genutzt wurde.

Dabei gibt es kaum langweilige oder spürbar überflüssige Stellen im Roman. Vielmehr ergänzen Szenen wie der Besuch eines Telegrafenturms oder die Jugendgeschichte des römischen Banditen Luigi Vampa den Handlungshintergrund und beleuchten die beteiligten Figuren näher. Es kann sich also durchaus lohnen, die vollständige Textausgabe zu lesen, gerade auch, wenn man die Geschichte recht gut zu kennen glaubt.

Denn es wird nur wenige ErstleserInnen geben, die nicht zumindest in groben Zügen bereits vorher wissen, worum es in »Der Graf von Monte Christo « geht:

 

Ein junger Seemann aus Marseille wird am Tage seiner geplanten Hochzeit auf Grund einer Intrige festgenommen und ohne Prozess in einem üblen Kerker in Einzelhaft eingesperrt.

Nach Jahren des Hoffens, der Verzweiflung und kurz davor aufzugeben und den Verstand zu verlieren, gräbt sich ein anderer Gefangener durch seine Zellenwand, die er für den Weg in die Freiheit hält. Der alte Abbé Faria nimmt sich des verzweifelten Edmond Dantès an und lüftet nicht nur das Geheimnis um dessen Inhaftierung, sondern teilt mit ihm sein umfangreiches Wissen und offenbart ihm kurz vor seinem Tod die Existenz eines gewaltigen Schatzes.

Dantès hat nun die Möglichkeit, sich an seinen Feinden zu rächen …

 

Das Erstaunliche an der Titelfigur ist, dass ihre Rache weder trivial noch moralisch einwandfrei verläuft. Dantès muss im Laufe seiner jahrelang geplanten Vergeltung erkennen, dass er kein einfaches Werkzeug göttlicher Gerechtigkeit ist. Zwar nutzt er sehr geschickt die bösen Naturen seiner Feinde aus, aber es gibt eine ganze Reihe von Opfern, die ihm persönlich gar nichts zuleide taten. Erst spät wird Dantès sich bewusst, dass er in seiner Rachsucht Grenzen überschreitet, die ihm auf einen ethisch unverzeihlichen Weg führen.

Er muss Vergebung lernen. Diese, in vielen Punkten tief christliche, Auseinandersetzung mit dem ihm zugefügten Leid bezieht ihre Brisanz dabei nicht nur aus den familiären Dramen, die Dumas in großer Zahl vor seiner Leserschaft ausbreitete. Diese wird auch die politische Bedeutung erkannt haben.

Der Handlungszeitraum des Romans endet nur wenige Jahre vor der Veröffentlichung. Das von Revolutionen, Restaurationen und drohendem Bürgerkrieg gemarterte Frankreich besaß viele solcher Tragödien. Zwischen den Generationen und mitten durch Familien liefen zum Teil gewaltige politische Gräben. Hinzu kam ein erstarkendes Bürgertum, das sich in der industriellen Revolution zu einer führenden gesellschaftlichen Kraft entwickelte, nicht ohne jedoch dem alten elitären Leben gewogen zu sein. Dumas stellt diese Umbrüche ausführlich dar.

Auch wenn er dabei kaum Augen für das einfache Volk hat und es wenig mehr als Dienen, Servieren und Gehorchen darf, werden einige ganz wesentliche Schicksale beschrieben und erlangen zentrale Bedeutung für die Handlung, etwa in Person von Caderousse, dessen Existenz zwar auch von seiner Habgier bedroht wird, aber eben auch von den prekären wirtschaftlichen Verhältnissen und technischen Veränderungen. Dennoch ist Dumas weit entfernt von Émile Zolas naturalistischer Beschäftigung mit den gesellschaftlichen Gründen für solche Verbrechen wie sie Caderousse verübt.

 

Eine weitere Besonderheit des Romans sind sie wechselnden Bezugsfiguren. Während wir zunächst ganz dicht bei Edmond Dantès bleiben, tritt er nach der erfolgreichen Schatzsuche in die zweite Reihe. Dumas wechselt dann von Franz auf Albert und zum Schluss auf Maximilien. Teilweise besitzen diese Figuren ganz ähnliche Profile. Es ist eine junge Männergeneration voll Ehre, Anmut und Loyalität. Doch Dumas stellt jeden von ihnen in einen eigenen teilweise hochdramatischen Kontext und erreicht mit dem Wechsel des Augenmerks vor allem eine tiefere emotionale Bindung.

 

Seine Frauenfiguren sind sich ebenfalls auf eine gewisse Art ähnlich. Mercédès und Valentine sind engelsgleich, natürlich und wahrhaftig in ihrer Liebe.

Die junge Frau von Villefort, Héloise, strebt wie die hochadelige Baronin Danglars nach persönlichem Glück. Die eine will das Beste für ihren wirtschaftlich nicht abgesicherten Sohn, die andere will geliebt werden. Dumas schiebt ihnen mit Ehebruch und Giftmischerei sehr sündhafte Verbrechen zu, ohne ihre soziale Dimension weiter auszubauen. Ähnlich nebenbei verfügt er über seine erstaunlichste Frauenfigur. Eugenie Danglars will Künstlerin sein, als Bohemien leben und ist ganz offensichtlich lesbisch. Zwar stellt er sie in ihrer allerletzten Szene als lächerlich dar, aber nichtsdestotrotz ist Eugenie die fortschrittlichste und emanzipierteste Figur des Romans, egal wie sie die moralische Sicht des Autors dargestellt sehen wollte.

 

Die Weitergabe eines Naturells von den Eltern auf ihre Kinder scheint für Dumas von großer Bedeutung gewesen zu sein. Die Kinder des Reeders Morrel sind gut wie er selbst. Edouard und Benedetto sind bösartig wie Villefort, während Valentine und Albert die guten Charaktereigenschaften ihrer Mütter aufweisen. Renée de Saint-Méran hätte beinahe geschafft, von ihrem Verlobten Villefort Gnade für Edmond Dantès zu erreichen, so sehr nahm sie Anteil am Leid des jungen Mannes. In Valentine ist diese Empathie ihrer Mutter wiederzufinden.

Bei Eugenie Danglars könnte man sich streiten. Ist ihre Lebensart von Dumas als ebenso verwerflich wie das unbedarfte, ehebrecherische Genussleben ihrer Mutter betrachtet worden? Hat sie den unbedingten Willen zur Unabhängigkeit, das kalte Kalkül ihres Vaters geerbt?

Dumas spielt mit diesen Parallelen in den Generationen und legt ihnen einen ähnlich großen Wert zu Grunde wie der Physiognomie.

 

Natürlich bleibt »Der Graf von Monte Christo« neben diesen menschlichen und sozialen Komponenten auch ein hochspannender Abenteuerroman. Kerkerhaft, Schatzsuche, Banditenüberfälle, der Kampf in einem griechischen Palast, Einbruch, Mord und Rettungen im letzten Augenblick – Dumas schöpft aus dem Vollen und bietet damit großartige Unterhaltung.

Aber erst durch die Kombination mit den äußerst komplexen Figuren entwickelt sich daraus eine Geschichte, deren wichtigste Bestandteile unvergesslich sind.

 

Thomas Zirnbauer ergänzt seine redigierte Edition des Romans durch ein informatives Nachwort. Hier werden neben der Werk- und Rezeptionsgeschichte auch wesentliche Teile des Romans analysiert. Begleitet wird das Nachwort von einer kurzen Zeitleiste, die wie gewohnt bei den dtv-Klassikerausgaben, eine historische Einordnung von Werk und Autor ermöglicht.

Erwähnt sei noch die Verwendung eines sehr dünnen, aber strapazierfähigen Papiers, durch das die hohe Seitenzahl nicht allzu sehr aufträgt. Ein leichtes Buch wird es dadurch aber nicht und auch die kleine Schrift dürfte nicht für jedermann optimal sein. Aber für eine vollständige Taschenbuchausgabe dieses gewichtiges Romanes sind derartige Lösungen verständlich.

 

Fazit:

»Der Graf von Monte Christo« von Alexandre Dumas kann auch in seiner ungekürzten Fassung mit all dem Zauber, Abenteuer und Drama glänzen, für das dieses Buch berühmt ist. Die Geschichte einer fürchterlichen Rache und einer großen Liebe fesselt von der ersten bis zur letzten Seite und unabhängig davon, wie oft man ihr bereits folgen durfte.

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Buch:

Der Graf von Monte Christo

Original: Le Comte de Monte-Cristo, 1844-1846

Autor: Alexandre Dumas

redigierte Übersetzung der deutschen Erstausgabe von 1846

Nachwort: Thomas Zirnbauer

Taschenbuch: 1493 Seiten

dtv, 1. Januar 2011

Cover: Alexander Nasmyth

 

ISBN-10: 3423139552

ISBN-13: 978-3423139557

 

Erhältlich bei: Amazon


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Erstellt: 06.09.2016, zuletzt aktualisiert: 27.02.2024 17:30, 14889