Der Hof der Wunder (Autorin: Kester Grant; Der Hof der Wunder 1)
 
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Der Hof der Wunder von Kester Grant

Reihe: Der Hof der Wunder Band 1

 

Rezension von Matthias Hofmann

 

Rund ein Jahr nach der Erstveröffentlichung von Der Hof der Wunder im größeren Paperbackformat legte Piper den Debütroman der britisch-mauritischen Schriftstellerin Kester Grant als günstiges Taschenbuch mit neuem Umschlagmotiv neu auf.

 

Der Verlag hat »Der Hof der Wunder« klar mit dem Label »Fantasy« versehen, aber eigentlich ist es eher ein historischer Roman. Das Fantastische, wenn man so will, ist das Setting in einem Alternativwelt-Paris des Jahres 1823, in dem die Französische Revolution fehlgeschlagen ist. Wer mehr Fantasyelemente erwartet, sollte weitergehen. Es gibt nichts zu sehen, wie es so schön heißt.

 

Wer jedoch die schwummrige Atmosphäre dieser alten historienreichen französischen Metropole mag, kann bleiben. Geboten wird flott lesbare Lektüre um ein Paris, in dem neun kriminelle Gilden ihr Unwesen treiben. Die Diebe klauen, die Meuchelmörder töten, die Bettler betteln, die Gilde des Fleisches betreibt Prostitution, die Gilde des Glücks beschäftigt sich mit Glücksspielen, die Schreiber fälschen, die Schmuggler schmuggeln, die Träumer dealen mit Rauschgift und die Söldner schlagen gegen Geld anderen die Köpfe ein. Neben skrupellosen Adligen gibt es noch das gemeine Volk, aber das spielt eher eine Nebenrolle, denn auch zwischen den Gilden und ihren Angehörigen geht es mächtig zur Sache.

 

Erzählt, alles im Präsens, werden die Abenteuer der Heldin Nina Thénardier. Sie kann sich auf leisen Sohlen wie eine Katze bewegen, erhält den Beinamen ›Schwarze Katze‹ und wird Mitglied der Diebesgilde. Eigentlich will sie ihre Schwester Azelma aus den Klauen von Kaplan, dem Chef der Gilde des Fleisches retten. Da mit der Gilde des Fleisches und ihren Verbündeten nicht gut Kirschen essen ist und somit eine Unterstützung durch die Diebe flachfällt, kommt Nina auf den Plan, mit der wunderschönen, unschuldigen Waise Ettie eine Art Köder auszuwerfen, mit dem Ziel, dass mit ihr die Schwester aus den Klauen der Prostitution gerettet wird. Dieser völlig verwegene und obendrein höchst unmoralische Plan wird aus verschiedenen Gründen nicht aufgehen. Und auch der Frieden in der Stadt ist in Gefahr …

 

In England wurde »Der Hof der Wunder« mit Victor Hugos Die Elenden (Les Misérables, 1862) in Verbindung gebracht. Das ist neben Der Glöckner von Notre-Dame (1831) der bekannteste Roman von Hugo, auch wenn ihn viele nur in Form des gleichnamigen Musicals aus den 1980er-Jahren kennen. Als sogenannten »Hof der Wunder« (auf Französisch: »Cours des Miracles«) bezeichnete man übrigens im damaligen Paris die verkommenen Slums der Stadt, wo sich arbeitslose Zuwanderer aus ländlichen Gebieten tummelten, deren verdreckte und kriminelle Atmosphäre schon Victor Hugo inspirierte.

 

Der deutsche Verlag Piper jedoch zieht den Vergleich mit Hugo auf dem Klappentext oder seiner Webseite nicht. Schaut man sich »Die Elenden« genauer an, so spielt die Handlung 1815 bis 1832. Also genau zur Zeit, in der Kester Grant ihren Roman angesiedelt hat. Jean Valjean, eine der Hauptfiguren in »Die Elenden«, taucht als Randfigur in »Der Hof der Wunder« ebenso auf, wie Javert, Eponine (= Nina), Ninas Vater Thénardier oder ihre Schwester Azelma und weitere. Die Einflüsse sind unverkennbar. Es ist jedoch keine Neuerzählung von Hugos Werk, sondern bedient sich nur einzelner Charaktere und Elemente. Das Ergebnis kann prinzipiell gut für sich stehen.

 

Nina als Heldin des Romans ist ein typischer Underdog. Sie entwickelt sich von einem eher schüchternen Mädchen zu einer jungen Frau, die genau weiß was sie will und nicht will. (Aber Obacht: Nicht immer kann man als Leser dieser Motivation folgen.) Um ihre Schwester zu retten, tut sie alles, was in ihrer Macht steht. Ihre Entwicklung geht für meinen Geschmack etwas zu schnell vonstatten und unterm Strich gelingt ihr zu viel, als dass auch mal etwas schiefgeht. Und sie wird quasi von allen irgendwie gemocht. Aber wen solche Plattheiten in der Charakterentwicklung nicht stören, wird sie gar nicht bemerken.

 

Wenngleich die Figuren des Romans etwas schablonenhaft geraten sind, so ist dagegen das World-Building, die Darstellung des Paris’ am Anfang des 19. Jahrhunderts, die Politik der vielen verschiedenen Gilden und ihrer leitenden Personen, in sich geschlossen recht glaubhaft und anschaulich ausgefallen.

 

Die Handlung dagegen, auch wenn es Passagen voller Action und einen grundsätzlichen Plan gibt, bleibt merkwürdig unspannend. Vielleicht liegt es an der Eindimensionalität der Protagonistin? Oder daran, dass die Ausführlichkeit mancher Szenen sehr umfangreich geraten ist, während andere knapp und hopplahopp abgehandelt werden, was insgesamt für einen holprigen Lesefluss sorgt. Oder sind es diese unerwarteten Zeitsprünge, die das Einsortieren des bis dahin Gelesenen erschweren?

 

Was bleibt, ist ein gemischter Eindruck. Wie könnte es auch anders sein, so soll »Der Hof der Wunder« der Auftakt einer Trilogie sein (was Piper nirgends erwähnt). So richtig heiß auf eine Fortsetzung ist man nach beendeter Lektüre nicht. Es bleibt durchaus unterhaltsamer, düsterer Lesespaß aus der Young-Adult-Kategorie. Oder vielleicht eher für die »Older-Young-Adults«, da Themen wie Prostitution, Sklaverei und die ein oder andere Dreingabe einer Gräueltat nichts für Leserinnen und Leser unter 14 Jahren sind.

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Buch:

Der Hof der Wunder

Reihe: Der Hof der Wunder Band 1

Autorin: Kester Grant

Original: A Court of Miracles, 2018

Taschenbuch, 416 Seiten

Piper, 2. November 2020

Übersetzung: Andreas Decker

Titelillustration: Vault49

 

ISBN-10: 349228227X

ISBN-13: 978-3492282277

 

Erhältlich bei: Amazon

 

Kindle-ASIN: B07R79FLSL

 

Erhältlich bei: Amazon Kindle-Edition


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Erstellt: 12.01.2021, zuletzt aktualisiert: 18.04.2024 09:19, 19361