Der Schatz im Silbersee (Autor: Karl May)
 
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Der Schatz im Silbersee von Karl May

Rezension von Ralf Steinberg

 

Verlagsinfo:

Die Reise von Winnetou und Old Shatterhand zu einer Silberader in den Rocky Mountains entwickelt sich zu einer gefährlichen Expedition. Denn nicht nur sie sind hinter dem sagenumwobenen Indianerschatz her, auch der Schurke Cornel Brinkley und seine Bande wollen sich auf die Suche nach dem glückverheißenden Silber begeben. Auf ihrem beschwerlichen Weg müssen sie zahlreiche Bedrohungen überwinden und List und Klugheit anwenden, um ans Ziel zu gelangen.

In dieser hochwertig ausgestatteten Sonderedition mit sämtlichen Illustrationen der Erstausgabe lassen sich die aufregenden Abenteuer von Old Shatterhand und Winnetou hautnah miterleben.

 

Rezension:

Gerade in der Weihnachtszeit zeigt das Fernsehen regelmäßig die alten bundesdeutschen Karl May-Verfilmungen und natürlich darf auch Der Schatz im Silbersee nicht fehlen.

Aber selbst die Verlagsinfo (s.o.) reduziert die Handlung auf einige Teile und der Film geht mehr als frei mit ihr um. Auf dem Buchrücken wird gar auf Old Surehand verwiesen. Jedoch ist es Old Firehand der neben Old Shatterhand und Winnetou, das Triumvirat der „Superhelden“ bildet, wie es Hans-Rüdiger Schwab in seinem Essay im Anschluss an den Roman treffend benennt.

 

Es mag viele Gründe geben, warum dieses Werk zu den beliebtesten Büchern Mays zählt und der wichtigste von ihnen ist: Karl May erzählt eine spannende Abenteuergeschichte, in der sich die tapferen Helden und gefährlichen Westernschauplätze förmlich überschlagen, uns zu unterhalten.

 

Alles beginnt auf einem Raddampfer, der den Arkansas hinabschippert. Eine illustre Schar von Reisenden findet sich an Bord, darunter Indianer, Cowboys und auch Old Firehand. Einer der Cowboys, Cornel genannt, markiert den großen Helden und weckt einen Panther in seiner verschlossenen Kiste. Um die Passagiere von der Gefahr abzulenken, veranstaltet der Besitzer des Tieres eine Vorführung, bei der nicht nur der Dompteur stirbt, die Raubkatze flieht aufs Wasser und bedroht dort ein Floß und deren Besatzung.

 

Schnell und rasant spinnt Karl May die ersten Handlungsfäden. Der Cornel erweist sich als Verbrecher, der auf dem Schiff an Informationen für neue Überfälle gelangt. Er stiehlt Geld, versenkt fast den Raddampfer und macht sich mit seinen Leuten davon.

Old Firehand versucht die Pläne des Schurken zu vereiteln und hilft zunächst Holzarbeitern, später einer Ranch, dann Eisenbahnern, bis im zweiten Teil Old Shatterhand das Heft in die Hand nimmt und die Utahs die weißen Tramps als Bösewichte ablösen. Den Höhepunkt bilden die Geschehnisse am Silbersee, bei der auch der titelgebende Schatz zur Geltung kommt.

 

Diese große Fülle an Schauplätzen und abenteuerlichen Ereignissen bevölkern eine ganze Reihe an skurrilen Figuren wie etwa die Tante Droll, der Hobble-Frank oder der Gunstick Uncle. Man kann von eine wahren Inflation der „berühmten“ Westmänner sprechen, derer sich der Autor bedient. Zum einen bilden sie die lustigen Momente in der zum Teil sehr grausamen Wildwestwelt Mays, zum anderen verdeutlichen sie verschiedene Überlebensstrategien. Jede dieser Figuren ist geeignet, die Sympathien des Lesers auf sich zu ziehen, unabhängig davon, wie glaubwürdig man sie aus heutiger Sicht finden mag. Sehr amüsant sind zudem die zahlreichen sächsischen Eskapaden, die einen gewissen Einblick in das Selbstverständnis jener Landsleute verschafft, wie es sich Ende des 19. Jahrhunderts darbot.

 

Betrachtet man also die Geschichte als reine Ansammlung feiner Abenteuer, bietet allein das bereits eine Menge Unterhaltung. Das erwähnte Essay eröffnet darüber hinaus noch andere Sichtweisen. Der Aufsatz beginnt recht umständlich unter Verzicht einer Orientierungshilfe und ist sichtlich bemüht, jede noch so kleinste Aussage mit Textstellen zu belegen. Ideal für jeden, der nachlesen will - was jedoch die Lektüre erschwert, aber es sind einige Punkte darunter, die man so noch nicht bedacht hat.

 

Etwa die zeitliche Einordnung des Romans. Deutschland zur Zeit der Sozialistengesetze, das junge Reich beginnt, sich strukturell an die Industrialisierung anzupassen, soziale Sicherungssysteme entstehen, aber auch Großmachtsphantasien und elitäre Weltanschauungen finden regen Zulauf. In diesem Kontext gewinnt der Beiname des Schurken „Der Rote“ eine andere Bedeutung. Und wenn er mit seinen „Genossen“ zusammen Verbrechen verübt, ist der politische Unterton mehr als deutlich.

Aber auch die Bewertung bürgerlicher Tugenden erhält eine schärfere Note, betrachtet man Mays Biografie und seinen sozialen Status. Obwohl auch er als Vagabund und Betrüger auskommen musste und deshalb sogar im Knast landete, besteht er auf eine gesellschaftliche Bestimmung, die den „guten“ vom „bösen“ Tramp unterscheidet. Wo der Cornel und seine Leute unverbesserliche Halunken sind, zeigt May in den Lebensgeschichten der arbeitsamen Westmänner, etwa den Raftern, die letztlich Holzdiebe sind, dass harte Arbeit und Anständigkeit im Herzen zu einer Verbesserung führen. Die in einer Zeitungsnotiz erwähnte Tramp-Republik, steuerfrei und mit deutlich kommunistischen Zügen, wird als Idee von Verbrechern und faulen Gangstern hingestellt, denen die christliche Gesellschaftsordnung gegenübersteht, obwohl im Wilden Westen davon wenig zu spüren ist.

 

Aber dafür gibt es ja Old Shatterhand. Wer weiß, dass sich Karl May selbst gern als dieser Held sah, wird den Roman gerade hier ganz anders lesen. Jede Bemerkung Shatterhands wird so zum Statement des Autors. Besonders sein Kommentar zum unabänderlichen Schicksal der Indianer in Folge der aggressiven Kolonialpolitik der USA fällt in diesem Zusammenhang auf - und auch hier weist Hans-Rüdiger Schwab daraufhin, dass May damit im Wesentlichen einer modernen Meinung in Deutschland folgte. Die amerikanische Verfassung hatte wenig mit dem Gefüge des Deutschen Reiches zu tun. Als Deutscher konnte man es sich leisten, selbst von einem Erfolgsmodell zu reden und den guten Christen herauszukehren. In einer Szene mokiert sich Old Shatterhand über Massenmord - nur zehn Jahre vor dem deutschen Massaker an Herero und Nama im heutigen Namibia.

Überhaupt haftet Karl May immer der Nimbus des Indianerfreundes an und man stellt sich dabei oft leichtfertigerweise vor, dass damit eine Freundschaft auf Augenhöhe gemeint sei. Doch im Frühwerk „Der Schatz im Silbersee“ wird es an vielen Stellen spürbar, dass May zwar durchaus glaubt, dass die Indianer einfach nur Zeit zur Entwicklung bräuchten, es aber grundsätzliche Unterschiede zwischen Weißen und Roten gibt. Noch deutlicher wird es in Mays Beschreibungen von Schwarzen. Sie sind auf das Dienen festgelegt.

Wie selbstverständlich geht May davon aus, dass man den Ureinwohner nur das Land abkaufen müsse, um Bodenschätze auszubeuten. Auf die Idee, dass auch sie eine Mine betreiben könnten, kommt er gar nicht erst, obwohl mit Winnetou und den beiden Tonkawa Indianer bei der Expedition beteiligt waren. Dieser natürliche Imperialismus ist May ebenso eigen, wie die festgestampfte Religion, die glasklar davon ausgeht, dass jeder andere Glauben, heidnischer Humbug sei.

So lernt man also auch eine ganze Menge über den Autor und seine Zeit - wenn man sich darauf einlässt. Was aber kein Zwang ist. Denn in erster Linie sollte man nicht vergessen, dass „Der Schatz im Silbersee“ ein Abenteuer-Klassiker ist.

 

Der dtv-Verlag editiert seine Abenteuerklassiker besonders sorgfältig. Neben den Illustrationen der originären Buchausgabe und dem Essay gibt es noch die gewohnte Zeittafel, alles zu einem fairen Taschenbuchpreis.

 

Fazit:

Sollte jemand das Buch noch nicht im Schrank stehen haben, kann bei dieser Ausgabe sorglos zugreifen. „Der Schatz im Silbersee“ gehört zu den größten deutschen Abenterromanen, fesselte unzählige Leser und ist auch heute noch eine wilde Reise in den Westen, voller Kämpfe, Indianer und schrulliger Westmänner. Wer den Film kennt, wird im Buch noch eine ganze Menge Unbekanntes entdecken und trotzdem seinen Spaß haben. Kar May in Bestform.

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Buch:

Der Schatz im Silbersee

Autor: Karl May

Text der Buchausgabe von 1894

Taschenbuch, 781 Seiten

Illustrationen: Ewald Thiel

Cover: Henry Culmer

Mit einem Essay von Hans-Rüdiger Schwab

dtv, September 2010

 

ISBN-10: 3423138858

ISBN-13: 978-3423138857

 

Erhältlich bei: Amazon


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Erstellt: 18.12.2010, zuletzt aktualisiert: 14.04.2024 09:34, 11374