Der Totenerwecker (Autor: Wrath James White)
 
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Der Totenerwecker von Wrath James White

Rezension von Torsten Scheib

 

Rezension:

Modus Operandi eines guten/originellen Schriftstellers: a) immer einen Schritt weiter gehen als die Konkurrenz. b) seinen Bösewichten tatsächlich jene Kräfte verpassen, die es sonst nur in ihren vom Wahn zerfressenen Denkapparaten gibt – oder in Fachwerken zum Thema Psychologie. Etwa den, nicht nur unter Bond-Schurken, stets beliebten »Gott-Komplex«. Was bedeutet? Das sich besagtes Individuum gerne für fehlerlos hält. Perfekt. Unbesiegbar. Für das die allgemeinen Regeln nicht mehr gelten.

 

Dale McCarthy, der Gegenpart in Wrath James White dritter deutschen Übersetzung, Der Totenerwecker hat ganz eindeutig solch eine Zwangsvorstellung. Verständlich, wenn man daneben die Gabe besitzt, frisch Verstorbene mit den eigenen Händen zurück ins Leben zu holen. Warum Dale diese unglaublichen Kräfte nicht zum Guten anwendet? Vielleicht, weil er als Junge hat mit ansehen müssen, wie sein Dad seine Mutter vergewaltigt und danach aufs Grausamste abgeschlachtet hatte. Verständlich, dass Dales Verstand danach einen gewaltigen Knacks abbekommen hat; zusätzlich gefördert durch die Entdeckung seines sehr speziellen Talents. Doch in jener schicksalhaften Nacht bekam Dale ferner zum ersten Mal den Geschmack von Qual, Leid und Hilflosigkeit zu schmecken; wurde ihm das Fenster in eine neue Welt voller hässlicher, ungeahnter Möglichkeiten geöffnet. Unbewusst wird er über die Jahre hinweg von seinem eigenen Wahn aufgefressen, wendet er seine Macht zunächst an hilflosen Tieren und schließlich – wehrlosen Menschen an. Das Dale ferner nicht auf den Kopf gefallen ist, macht ihn umso unberechenbarer und trägt Sorge, dass er den Vertretern des Gesetzes stets mindestens ein Schritt voraus ist.

 

Schlecht, wenn solch ein Kerl dann in das Haus auf der anderen Straßenseite einzieht. Wobei Sarah Lincoln gewiss nicht gleich an einen irren Massenmörder denkt, nachdem sie Dale zum ersten Mal begegnet ist. Auch nicht ihr Mann, Josh. Auf ihn macht der spindeldürre, verschrobene Mann einfach nur den Eindruck, ein, nun ja, Freak zu sein. Typischer Vertreter der Gattung »arbeitet daheim den ganzen Tag vorm Computer und hat daher den Anschluss an das wahre Leben verpasst«. Wenn Josh nur wüsste … Aber zum groß Nachdenken bleibt ihm eh herzlich wenig Zeit, seinen zehrenden (Doppel-)Schichten in einem Las Vegas-Casino sei Dank. Ja, die Folgen der Weltwirtschaftskrise haben nicht nur außerhalb der glitzernden Spielerwelt ihre Spuren hinterlassen, sondern auch bei den Lincolns hässliche Furchen gezogen. Aus diesem Grund sind monetäre Probleme praktisch allgegenwärtig; wird jeder Cent doppelt und dreifach umgedreht. Doch besonders in solchen Krisenzeiten rückt man als Ehepaar mitunter enger zusammen; sorgen die Belastungen im günstigsten Fall dafür, dass man untrennbar zusammenschweißt. Was bei Sarah und Josh ganz klar der Fall ist. Trotz ihrer langjährigen Ehe knistert es noch immer zwischen den beiden. Auch im Ehebett. Ein Umstand, der Dale ebenso wenig entgeht wie die Tatsache, dass Mrs. Lincoln eine ungemein attraktive Frau ist …

 

Somit beginnt das Ränkeschmieden – und kurz darauf Dales nächtlicher Übergriff, der nach Joshs brutalem Ableben in Sarahs Vergewaltigung gipfelt, bevor beide wieder zurück ins Leben gebracht und sämtliche verdächtige Spuren beseitigt werden. Das perfekte Verbrechen. Oder?

Wären nicht diese Kleinigkeiten; Sarahs Magengefühl, dass irgendwas nicht ganz koscher ist. Doch mit der fortschreitenden Anzahl seiner nokturnen Ausflüge in die Casa del Lincoln begeht Dale einen üblen Kardinalsfehler: er wird unvorsichtig. Spätestens, nachdem Judith eines Morgens in ihren klitschnassen Vorleger tritt und das Wasser nicht nur mit Reinigungsmitteln vermischt ist, steht fest, dass hier, in ihren eigenen vier Wänden ein ganz krummes Ding abläuft – und es einen Zusammenhang zu Dale geben muss. Der sich natürlich lammfromm gibt. Unschuldig, aber auch wissend grinst. Doch was genau hat Dale bei Sarah und Josh getrieben? Und vor allem: Wie sollen die beiden einen Menschen zu fassen kriegen, der nicht nur gerissen, sondern auch mit gottgleichen Fähigkeiten ausgestattet wurde?

 

Wrath James White meint es Ernst – sein deutscher Einstand, Schänderblut, ließ daran keine Zweifel zu. Eben so wenig wie der Mann in seinen Romanen auf Nummer Sicher geht. Wäre er Musiker anstelle von Autor geworden, sein Verstärker würde in klassischer Spinal Tap-Manier als höchste Stufe eine 11 anstelle einer 10 haben. Exklusive dem schelmischen Augenzwinkern. In seinem narrativen Werkzeugkasten findet man keine Pinzetten, keine feinen Stifte, keine kleinen Schraubendreher. Es sind weniger die Utensilien eines Uhrmachers, denn eines gestandenen Bauarbeiters, die bei dem Mann zum Zuge kommen – mitunter brachial, oftmals gnadenlos, ohne Rücksicht auf Verluste, unterm Strich aber dennoch mit gestandenem Expertenwissen eingesetzt. Wobei »Der Totenerwecker« gegenüber »Schänderblut« in Sachen Schmerz- und Gewaltgrenze im Großen und Ganzen klar den Kürzeren zieht. Ist »Totenerwecker« deshalb aber auch gleich ein schlechteres Buch?

Jein. Denn White kann fabulieren und auch sein zweiter Roman ist temporeiches, blutgetränktes, zeitgemäßes mustergültiges FSK 18/US-Horrorfutter. Das eigentliche »Problem« (wir jammern hier auf sehr hohem Niveau; bitte nicht vergessen!) ist Dale McCarthy, der irre Computerheini mit der Gottmacke und den Heilungskräften. Schon klar, was White mit ihm bezwecken wollte. Ähnlich einer abgewandten beziehungsweise umgekehrten Fassung von Jason Vorhees aus der Freitag, der 13.-Filmreihe versuchte White eine unaufhaltsame, abgrundtiefe, Mensch gewordene böse Kraft zu erschaffen, die aber auch – wie schon Joseph Miles in »Schänderblut« – ihre Genesis in der Rolle des bedauernswerten Opfers hatte. Grauzone eben. Was beim letzten Mal nahezu perfekt funktionierte, gerät nunmehr bisweilen kräftig ins Stottern, einfach weil White hinsichtlich Dales charakterlicher Ausarbeitung nicht konsequent genug ist. Besagte Grauzone wird dadurch zur Stolperfalle und sosehr man seine Taten als beteiligter Leser/Zuschauer auch verurteilen mag, erreichen sie dennoch nicht die Intensität und Beklemmung wie bei »Schänderblut«.

Frühzeitig hätte White entweder die Nabelschnur zwischen Dales Vergangenheit kappen oder ihm einen internen Konflikt verpassen sollen. So aber wirken seine entarteten Verbrechen in Kontext zu seinem Äußeren und seinem Verhalten sonderbar … nun ja, harmlos. Es fehlen einfach die richtig scharfen Ecken und Kanten, das Element, das dafür Sorge trägt, dass man als Leser auch mal das Buch zur Seite legt, um richtig durchzuatmen. Und wo wir gerade beim Thema »unaufhaltsam« und »böse« sind: offensichtlich bestand eine Intention darin, McCarthys übles Wesen als eine Art Symbol für den wirtschaftlichen Verfall von Whites Heimatland darzustellen. An sich eine lobenswerte Idee, die aber auch über ihre eigenen Beine stolpert, da die x-te Beschreibung von zum Verkauf stehenden Wohnungen und Preisverfällen schlichtweg zu langweilen beginnt.

Als Gegenpart wirkt daher auch so manche, reichlich gutgläubig daher kommende Aktion von den Lincolns plötzlich gar nicht mehr so naiv. Ist »Der Totenerwecker« demnach also ein per se »schlechtes« Buch? Mitnichten. Wrath James White beweist auch mit diesem Werk, warum er zur Elite der harten, gut fabulierenden Horrorriege zählt – vielmehr sind es die verdammt hohen Ansprüche, die dank dem Vorgänger gestellt werden können, die ihn bisweilen aus der Balance bringen.

 

Fazit:

Trotz kleiner Schönheitsfehler ist »Der Totenerwecker« eindeutig eine Leseempfehlung für alle, die ihr literarisches Grauen hart, ruppig, gewagt und sehr blutig mögen. Obwohl die zweifellos originelle Idee hie und da durch sich selbst in eine Ecke manövriert wird, bleibt unterm Strich gleichwohl ein rasanter, garstiger und kurzweiliger Roman, obgleich es White durchaus noch besser kann!

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Buch:

Der Totenerwecker

Originaltitel: The Resurrectionist, 2009

Autor: Wrath James White

Übersetzer: Manfred Sanders

Taschenbuch, 416 Seiten

Festa-Verlag, 22. August 2013

 

ISBN-10: 3865522211

ISBN-13: 978-3865522214

 

Erhältlich bei: Amazon

 

ASIN (Kindle): B00EFZU65K

 

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Oje, das hat nicht geklappt, Elfenwerk! 2024042508300362c9958a
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Erstellt: 07.11.2013, zuletzt aktualisiert: 12.04.2024 09:51, 13301