Der Traummeister (Autoren: Angela und Karlheinz Steinmüller, Werke in Einzelausgaben 4)
 
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Der Traummeister von Angela und Karlheinz Steinmüller

Reihe: Werke in Einzelausgaben Band 4

 

Rezension von Ralf Steinberg

 

Verlagsinfo:

Auf dem Planeten Spera ist eine Kolonie irdischer Siedler in die Barbarei zurückgesunken. Nachdem der Episodenroman Spera (Band 3 der Werkausgabe) ein über tausend Erdenjahre umfassendes Panorama des allmählichen Wiederaufstiegs der speranischen Zivilisation ausgebreitet hat, konzentriert sich Der Traummeister auf einige wenige Tage in der Neuzeit des Planeten und auf einen einzigen Handlungsort, den Stadtstaat Miscara. Dort haben die ersten Siedler den »Traumturm« hinterlassen, von dem aus jahrhundertelang Traummeister den Miscariern kunstvoll ausgestaltete Träume sandten, bis die Städter zunächst das Selberträumen völlig verlernten und es dann – als dem industriellen Aufschwung hinderlich - ganz abschafften.

 

Als Kilean, ein junger Mann mit offensichtlichem Talent zur Traumgestaltung, nach Miscara kommt, wird für ihn das Amt des Traummeisters wieder eingeführt, und die widerstreitenden Mächte in der Stadt versuchen, seine Träume zur Beeinflussung der Städter einzusetzen. Doch Kilean hat eigene Vorstellungen von einer idealen Gesellschaft zu vermitteln...

 

Der Mitte der achtziger Jahre entstandene, erstmals 1990 erschienene und jetzt in einer Neufassung vorliegende Roman illustriert an mehreren utopischen Modellen den Satz, die Idee werde »zur materiellen Gewalt, wenn sie die Massen ergreift« – und das so intensiv, daß die Wirklichkeit in Miscara schließlich mit der Traumwelt verschmilzt.

 

 

Rezension:

Es gibt Bücher, denen ist das Glück nicht hold. Der Traummeister erschien verspätet erst 1990, weil der Verlag auf die Farbtafeln von Spuler wartete. Als das Buch in die Läden kam, war der enge kleine DDR-SF Bereich in der weiten Welt angekommen. Die Leser griffen zu all jenen Werken, die bisher so schwer oder gar nicht zu erreichen waren. Asimov, Dick oder Tolkien standen auf den Listen. Ein neues Buch der Steinmüller? Ja, später vielleicht.

Nun liegt die überarbeite Fassung des Traummeisters in der Werkausgabe vor und die Spuler-Tafeln sind darin nicht zu finden. Es ist kein Verlust, Spuler hielt sich bei der Interpretation des Textes stark zurück, er schien sich hinter verschwommenen Formen verstecken zu wollen.

Miscara ist ein Stadtstaat. Im Wesentlichen prägen zwei Besonderheiten die Stadt. Zum einem ist es der Torl, ein Geröllsturm der durch den Abbau des blauen Metalls in den nahen Drachenbergen ausgelöst wird und zum zweiten durch den Traumturm, einem Relikt aus der Zeit der Besiedlung, gebaut von den Großen Alten. Dieser Traumturm stand jahrzehntelang leer, als der letzte Traummeister das Träumen abschaffte um die Stadt durch Industrie und Fleiß zu neuer Blüte zu führen.

Doch die Sehnsucht nach Träumen ist geblieben, selbst unter den Patriziern, die die Stadt lenken. Die fehlenden Träume haben auch Freude und Kreativität aus der Stadt vertrieben. Die Ausbeutung ist groß, die Armen betäuben sich mit Schellnüssen.

Da kommt Kilean, ein Uhrenheiler und er kann träumen, kann den Traumturm benutzen.

Und er soll im Sinne des Patrizierrates träumen, Werbung, Ansporn, Gehorsam in die schlafenden Gemüter senken. Doch der neue Traummeister erkennt als Außenstehender die Probleme der miscarischen Gesellschaft und träumt Veränderungen.

Angela und Karlheinz Steinmüller verdienten sich nach der Wende ihr Geld mit Futurologie. Ihre wissenschaftlich-analytischen Untersuchungen der Zukunft, extrapoliert aus der Gegenwart sind auch im Traummeister das wesentliche Thema.

Die Revolution, die Miscara ereilt, ihre anschließende Kontamination bis hin zum Zusammenbruch, wird trotz der erzählerischen Ebene als Prozess beschrieben, der einer definierbaren Struktur folgt. Jede Manipulation bedingt Reaktionen, jede Reaktion tritt eine Lawine von Folgen los, deren Entwicklung die Steinmüllers aus ihren Berechnungen ersehen. Die Folgerichtigkeit, mit der Miscara untergeht, ist umso beeindruckender, je eindringlicher die individuellen Schicksale beschrieben und eingearbeitet werden.

Kein phrasenhaftes Gesellschaftsmodell ist der Traummeister, sondern anschauliches Leben.

Natürlich steht Miscara auch für die DDR. Vom zentralen Träumer bis hin zur ausgebürgerten Opportunistin ist das Spiegelbild deutlich. Doch steht der Traummeister nicht umsonst als Band 4 der Werkausgabe, obwohl er der erste Besuch der Steinmüllers auf Spera war. Mit den Erzählungen und Miniaturen aus Spera, dem dritten Teil der gesammelten Werke, verbreiterten die Autoren das gesellschaftliche Fundament, auf dem Miscara errichtet ist. Das Durchspielen der Entwicklungen und möglichen Alternativen führt zu einer eher wissenschaftlichen Betrachtung, wird die wilde Traumzeit Kileans zu einem Experiment.

Angela und Karlheinz Steinmüller gehen stilistisch weite Wege. Ihr Wortschatz ist voller schöner, fast vergessener Wörter und Wendungen, denen man jedoch eine natürliche Verwendung anmerkt. Weder gestelzt noch protzend, reihen sich die Sätze zu eindrucksvollen Beschreibungen, als auch zu austarierten Dialogen. Die Figuren erhalten hier durch eine eigene Sprache zusätzlichen Hintergrund. Selbst in den für die Handlung notwendigen Positionen, etwa dem Spitzel oder dem Soldaten, werden keine tumben Klischees dargestellt, sondern Archetypen, beispielhafte Lebensläufe mit individuellen Verfärbungen.

Eine weitere literarische Schicht, die dem wissenschaftlichen Anspruch zur Seite steht, ist die Behandlung der Traumwelt. Hier entwickeln die Autoren eine komplette Mythologie, märchenhaft und symbolbeladen. Wenn die Gestalten der Mittal lebendig werden, Arysa, Fennr und Dämonen, sprudelt der Roman über vor Fantasie, mal trübe und gefährlich, mal bunt und berauschend. Die Autoren beherrschen die verschiedenen Gemütszustände des Träumenden und der Stadt perfekt und verstehen es, dieses Instrument der Demagogie in all seiner Gewalt und Macht zu beschreiben.

In der Mitte des Bandes gibt es Begegnung zwischen Glauke und den Alten, jenen Kinder des Weltraums, die Spera kultivierten und besiedelten. In eindringlichen Worten wird abgerechnet. Glauke muss sich den vernichtenden Vorwürfen stellen. Lügen, Dummheit, Versklavung werden ihr in Vertretung für alle vorgehalten, an ihre Verantwortung erinnert.

Und genau diese persönlichen Schulden, die jeder trotz aller logischen Entwicklungen anhäuft, ist das wesentliche Erstaunen, das der Roman gebiert. Man kann den Traummeister nicht auf eine DDR-Kritik reduzieren, denn das war er nie und aus genau diesem Grund ist das Buch zeitlos. Es zeigt dem Leser mehr als nur einen unverfälschten Spiegel. Es stellt Fragen, über jede Narbe, jede Falte und jedes Lächeln.

 

Die gewohnt sorgfältige Ausgabe wird komplettiert durch Illustrationen von Stefan Hanusch, eine Art Glossar unter der Bezeichnung Handreichung über die Stadt Miscara und einem sehr lesenswerten Nachwort von Florian Marzin, in dem er noch ausführlicher auf die Zusammenhänge zwischen dem Werk der Steinmüllers und ihrem Leben als DDR-Autoren eingeht. Ronald Hoppe zeichnete erneut für das Layout und auch für eine Karte von Miscara verantwortlich. Leider gibt es noch keine Informationen über den nächsten Band der Werkausgabe, aber auf jeden Fall wird ein Warten sich lohnen.

 

Fazit:

Der Traummeister stellt einen erzählerischen und visionären Höhepunkt im Schaffen der Steinmüllers her. Zwischen futurologischen Analysen und sprachlicher Brillanz findet sich ein Roman, der endlich Glück haben und als das bedeutende Werk wahrgenommen werden sollte, der er ohne Zweifel ist. Die deutsche Science Fiction lebt von solchen Kunstwerken.

 

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Buch:

Der Traummeister. Ein Spera-Roman

AutorInnen: Angela & Karlheinz Steinmüller

Reihe; Werke in Einzelausgaben, Band 4

Herausgeger: Hans-Peter Neumann und Erik Simon

Satz: Hans-Peter Neumann

Umschlaggestaltung: Ronald Hoppe

Taschenbuch, 288 Seiten

Shayol, 2005

 

ISBN-10: 3926126477

ISBN-13: 978-3926126474

 

Erhältlich bei: Amazon


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Erstellt: 15.11.2006, zuletzt aktualisiert: 10.03.2024 18:58, 3060