Die Bewegung von Licht in Wasser von Samuel R. Delany
Rezension von Ralf Steinberg
Verlagsinfo:
New York, Anfang der sechziger Jahre: Bob Dylan tingelt durch Greenwich Village und revolutioniert die Folkmusik, in der Reuben Gallery findet das erste Happening statt, und der Grafikdesigner Andy Warhol beschließt, sich der Kunst zu widmen. New York ist der aufregendste Ort der Welt. Im Sommer 1961 zieht der achtzehnjährige Samuel Delany mit der Dichterin Marilyn Hacker in ein Vierzimmerapartment auf der Lower East Side. Vier Jahre später beendet er seinen siebten Science-Fiction-Roman, Babel-17, der ihm den Nebula Award und eine Nominierung für den Hugo Award einbringt – ein schwarzer Schriftsteller revolutioniert die Literatur. In seiner Autobiographie erzählt Delany von Hipstern und Junkies, schwulen Truckern und berühmten Dichtern, von der Entdeckung seiner Homosexualität und der Berufung als Autor. Dabei erkundet er in seinen Erinnerungen nicht nur eine Stadt und eine Zeit, in denen sich unser heutiges Welt- und Kunstverständnis entwickelt haben, sondern auch die Möglichkeiten und Grenzen des autobiographischen Schreibens selbst.
Rezension:
Eine Autobiografie kann man Die Bewegung von Licht in Wasser von Samuel R. Delany nicht wirklich nennen. Vielmehr trifft der englische Untertitel Sex and Science Fiction in the East Village die Sache schon eher.
Das Buch endet mit dem Aufbruch nach Europa, Chip war Anfang Zwanzig. Große Teile des Textes entstanden Ende der 80er Jahre, AIDS dominierte jeden Bezug auf homosexuellen Sex.
Darum ist es vielleicht nicht verwunderlich, dass Delany seinen sexuellen Erinnerungen an eine Zeit »vor« der Krankheit so breiten Raum lässt. Er selbst bricht die Kernthemen von »Die Bewegung von Licht in Wasser« auf schwul, schwarz und SF-Autor herunter, wobei die drei Komplexe in genau dieser Reihenfolge auch ihre Wertigkeit erhielten.
Er dokumentiert mit sich selbst als Beispiel ein ganzes Zeitalter der US-amerikanischen Sexualität. Wir begleiten ihn auf seinem nächtlich Cruising, erfahren von den ganz unterschiedlichen Typen, denen er in New York begegnet und vor allem erfahren wir eine ganze Menge darüber, was es bedeutete, sich Sex außerhalb der Konventionen zu holen.
Wer bisher Probleme hatte, sich Sex zwischen Männern vorzustellen, weiß nach der Lektüre einiges mehr darüber. Delany ist es sehr wichtig, stets auch die Geschichten hinter seinen Sex-Bekanntschaften zu erzählen. Ganz Beobachter und reflektierender Autor, lässt er das New York am Beginn der Sixties in großer Detailtreue vor unseren Augen auferstehen. Gerade die Lebensläufe und Verbindungen mit dem amerikanischen Alltag wirken so präzise und magisch realistisch, dass man Delany die vielen Sprünge in seinen Spalten gern verzeiht.
Und sogar zu schätzen lernt. Sein Bestehen auf dieser Parallelität der Ereignisse, die aber getrennt erzählt werden wollen, führ dazu, dass die wenigen Jahre Leben, die er da beschreibt, so prall gefüllt und reich wirken, dass man nur neidisch werden kann.
Hinzu kommen die vielen historischen Bezüge, Zeitzeugnisse von Personen und Ereignissen, die heute berühmt sind, deren Miterleben eine ganz andere Erfahrungsebene aufschließen. Wer stand schon mal mit Bob Dylan zusammen am Ankündigungsboard eines Clubs, und wenn auch nur für einige Minuten?
Das Eintauchen in die Kunstszene verbindet sich dabei stets auch mit Ausflügen in die theoretische Auseinandersetzung. Das betrifft modernes Event-Theater ebenso wie Lyrik und Prosa. Die Interessensbreite Delanys ist berauschend.
Natürlich wirkt sich auch hier der Blickwinkel aus, aber mehr aus der Hautfarbe als aus der Homosexualität heraus. Obwohl man immer wieder das Gefühl hat, Chip selbst nimmt das nicht so wichtig, spielt es für seine Umgebung stets eine große Rolle und genau darüber berichtet er. Es ist eher ein Problem der Anderen. Da ist er ganz Intellektueller. Sex kommt eher als logische und natürliche Begleiterscheinung daher. Sehr viel Sex.
Wer sich große Aufschlüsse über seine Science-Fction Romane erhofft hatte, könnte enttäuscht werden. Zwar berichtet Delany vom Schreiben, stellt aber das Dasein als SF-Autor in den Mittelpunkt. Erzählt von seinem Gefühl, in einem minder beleumundeten Genre unterwegs zu sein, sozial verlacht, fast beschämt dadurch, genau dies schreiben zu wollen und dennoch die »Hochliteratur« zu lieben. Ironischerweise schreibt der erfolgreiche Autor dies aus einer Zukunft heraus, in der SF in den USA anerkannt und marktmächtig ist. Man spürt, dass er uns diese überwundene dunkle Zeit aus Geschichtsbewusstsein heraus näher bringen möchte. Wie ähneln sich aber seine Jugenderinnerungen mit dem Zustand heute in der deutschsprachigen SF. Nur dass es bei uns kaum Verlage gibt, die neue Autoren veröffentlichen möchten und ihnen Jahre zum Verfassen eines Buches lassen.
Delanys erste Erfahrungen mit dem Literaturbetrieb, seine Art des Schreibens, das Führen der Notizbücher und auch seine Rechtschreibschwäche, veranschaulichen, wie aus dem hochintelligenten Kind ein professionellen Schriftsteller wurde, dem das Schreiben Bedürfnis und Qual zugleich sein kann. Wer den Schmerz um sein verlorenes Manuskript Voyage Orestes! erlebt, nachdem Delany hunderte Seiten über fieberhaften Arbeit daran verwendete und sie mit Leben auflud, wird verstehen, was den Autor Samuel Delany ausmacht.
In Verbindung mit seinem Schreiben steht seine Frau. Delany heiratete aus diversen Gründen, die sich nach und nach aus den Erinnerungen herauslesen lassen, 1961 die Dichterin Marilyn Hacker. Die sehr offene Beziehung, zeitweise zu einer Dreibeziehung erweitert um einen Mann, durchlebt viele Höhen und Tiefen, die Delany sehr einfühlsam aus der Erinnerung heraus analysiert. Er betrachtet seinen eigenen Anteil an den Problemen ohne Bedauern, vielmehr neugierig. Immer auf der Suche nach den Reflektionen im Leben der Anderen.
Ganz großartig sind die eingestreuten Gedichte und Fragmente Marilyns. Aus ihnen spricht eine Emotionalität, die sie wohl anders nicht preisgeben wollte. Tagebuchartig die Szenen begleitende Verse bilden immer wieder auch einen Kontrast zur fast wissenschaftlichen Betrachtung Delanys.
Man möchte sofort einen kompletten Lyrik-Band der Autorin in die Hand nehmen und dieser Verbindung nachspüren, deren Seltsamkeit auch heute noch erstaunt.
Das führt direkt zur herausragenden Übersetzertätigkeit von Jasper Nicolaisen. Man kannn nur ahnen, welche Recherche-Arbeit notwendig war, um die vielen Slang-Begriffe zu übertragen. Delany thematisiert selbst das Sprachproblem. Oft genug gab es noch gar keine Worte für all die Themen eines Schwulen, da sie gar nicht Bestandteil einer sprachlichen Kommunikation waren. Da sie überhaupt kein Bereich der Öffentlichkeit darstellten. Da man sie übersah in der Hoffnung, dann würde es gar nicht wahr sein.
Selbst seine Legasthenie bekam erst durch das Wort dafür eine begreifbare Ebene.
So gibt es noch tausend Dinge, die man in dieser herrlichen Reise mit Chip Delany in die Vergangenheit entdecken kann und der geneigten Leserschaft sei dies auch dringend anempfohlen. Nicht jeder wird vielleicht etwas mit seinen Romanen anfangen können, diese Erinnerungen aber sind eine Bereicherung, welches Leben man auch gerade führen mag.
Hinzu kommt die wie immer Golkonda-typische erstklassige Edition, die jede BuchliebhaberIn in Verzücken versetzen kann. Ein erinnerungswürdiges Buch in edlem Gewand.
Fazit:
Im Rahmen der Werkausgabe Delanys beim Golkonda-Verlag bietet sich mit »Die Bewegung von Licht in Wasser« die Gelegenheit, den Autor selbst näher kennen zu lernen. Durch seine Erlebnisse, seine Betrachtungen und vor allem dadurch, wie er darüber berichtet. Als Schwuler, als Schwarzer und als SF-Autor.
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