Die Stunde der Rotkehlchen (Autorin: Jo Walton; Inspector Carmichael 1)
 
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Die Stunde der Rotkehlchen von Jo Walton

Reihe: Inspector Carmichael Band 1

 

Rezension von Ralf Steinberg

 

Verlagsinfo:

1941 war Sir James Thirkie ein Held, der den »Ehrenwerten Frieden« Englands mit Hitler aushandelte. Acht Jahre später wird er tot auf dem Landsitz von Lord und Lady Farthing aufgefunden, auf der blutroten Brust einen Davidstern aus gelbem Stoff, in dem ein Dolch steckt. Ein Schock für die einflussreiche Wochenendgesellschaft aus Freunden und politischen Weggefährten!

 

Unter den Gästen befinden sich auch Lucy, die Tochter des Hauses, und ihr jüdischer Mann David, deren Heirat in den Kreisen der Familie missbilligt wurde. Soll David zum Sündenbock gemacht werden? Der Farthing-Clique käme das gerade recht.

 

Für Inspector Carmichael von Scotland Yard ist es nicht leicht, das Netz von Lügen, falschen Fährten und Heimlichkeiten zu durchschauen, in dem nichts so ist, wie es scheint, und eines nicht zum anderen passt. Aber auch er hat etwas zu verbergen. Die Ermittlungen in Adelskreisen und unter Politikern fordern ungewohnte Rücksichtnahme ? und dann gibt es noch einen weiteren Toten ...

 

Rezension:

Zunächst beginnt Die Stunde der Rotkehlchen von Jo Walton wie ein typischer Krimi. Die Ermittler von Scotland Yard fahren zum Tatort, Spuren werden gesichert, Verhöre geführt, Verdachtsmomenten nachgegangen – und doch bekommt man bereits nach wenigen Seiten das Gefühl, dass hier einiges anders ist.

Da wäre zum Beispiel die Aufteilung in zwei völlig verschiedene Erzählperspektiven. Während die Kapitel mit Inspector Carmichael in der dritten Person geschrieben sind und dennoch sein Innerstes beleuchten, wird in den Kapiteln mit Lucy Kahn ihr persönlicher Bericht der Ereignisse wiedergegeben.

Das beginnt sehr locker und verspielt. Lucy plaudert munter drauf los, der Mord steht erst einmal hinter den Erinnerungen an ihren Bruder und dem Kennenlernen ihres Mannes zurück. Dabei gibt sie uns erste Einblicke in Familienzwistigkeiten, die mit der Wahl einen jüdischen Bankiers als Gatten verbunden sind, sowie das komplizierte Verhältnis zu ihrer Mutter.

Obwohl hier bereits der alternative Geschichtsverlauf hineinspielt, klingen die Probleme doch sehr typisch für Zeit, Land und Gesellschaft.

Auch die ersten Ermittlungen Carmichaels sind eher charakteristische Krimizutaten, wie man sie auch in einem Miss Marple Fall finden kann.

Doch die scheinbar typischen Standesdünkel und das arrogante Gebaren der Machtelite fallen immer mehr aus dem Rahmen. Ganz allmählich steigert sich nicht nur die Spannung, wer nun der Mörder ist, es wächst auch ein Unbehagen über die sich immer deutlicher abzeichnende gesellschaftliche Schieflage, die Jo Walton ihrer Alternativwelt verpasste.

Man kennt vielleicht die historischen Debatten in Großbritannien, die im Rahmen der Appeasement-Politik Chamberlains geführt wurden. Ganz klar ist James Thirkie die Inkarnation von Neville Chamberlain und der Farthing-Kreis identisch mit der Cliveden-Clique. Walton stellt sich nun die Frage, wie hätte sich Großbritannien entwickelt, wenn der »ehrenvolle Frieden« mit Nazi-Deutschland von Dauer gewesen wäre. Wenn nicht Churchill politisch die Oberhand gewonnen hätte, sondern jener Kreis aus Adligen und Industriellen, die einer totalitären Staatsform sehr viel abgewinnen konnten, angesichts störender Gewerkschaften, kommunistischer Bewegungen und auch der Zunahme jüdischer Einwanderung. Zum Glück gab es in Großbritannien lautstarke Stimmen gegen derartige Angriffe auf die Demokratie, wie etwa George Orwell, dessen Werk 1984 von Walton indirekt (als 1974) erwähnt wird.

Die fürchterliche gesellschaftliche Vision aber, die Walton Schicht für Schicht in ihrem Krimi aufdeckt, erschreckt gerade deshalb, weil sie ungemein glaubhaft inszeniert wird. Das gelingt vor allem, durch eine sehr breite Integration von Details. Es gibt Nachrichten, Zeitungsartikel, Erinnerungen, beiläufige Bemerkungen, Schicksale von Nebenfiguren und alles zusammen kumuliert am Ende zu einem beklemmenden Finale, das in einem sehr starken Kontrast zum fast fröhlichen Beginn steht und den eigentlichen Kriminal-Fall deutlich in den Schatten stellt.

 

Zum Glück ist »Die Stunde der Rotkehlchen« der Auftakt der Trilogie um Inspector Carmichael und man kann auf eine Wende noch hoffen.

 

Fazit:

»Die Stunde der Rotkehlchen« von Jo Walton ist kein gewöhnlicher Krimi. Vielmehr entwickelt sich aus dem typischen Whodunit ein beklemmender Alternativweltroman, dessen erzählerische Finesse umso deutlicher werden lässt, wie schnell eine scheinbar gerechte Welt den Bach runter gehen kann.

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Buch:

Die Stunde der Rotkehlchen

Originaltitel: Farthing, 2006

Reihe: Inspector Carmichael Band 1

Autorin: Jo Walton

Übersetzerin: Nora Lachmann

Taschenbuch, 289 Seiten

Golkonda Verlag, 15. November 2014

Cover: benswerk

 

ISBN-10: 3944720415

ISBN-13: 978-3944720418

 

Erhältlich bei Amazon

 

Kindle-ASIN: B00N7OS9RW

 

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Erstellt: 27.01.2016, zuletzt aktualisiert: 10.04.2024 18:52, 14296