Friedhof der Kuscheltiere: Sometimes dead is better
 
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Friedhof der Kuscheltiere: Sometimes dead is better

Artikel von Karin Reddemann

 

Der Ur-Wunsch ist die Ur-Angst: Tote zurück ins Leben zu holen, wo, wie und weiß (nur) der Deibel warum auch immer, ist im Normalfall eine heikle Angelegenheit. Und riecht gewaltig nach Ärger. Wer sich traut, muss damit rechnen, dass ganz gehörig was schiefgeht. Denn merke gut: »Sometimes dead is better.« Wohl wahr. Zombies würden das in lichten Momenten, – die sie bekanntlich nur noch arg selten haben –, seelenvoll unterstreichen. Louis Reed, Vater des kleinen Gage, der seinen toten Jungen wieder aus der Erde gräbt, um …, mit Sicherheit auch. Für ihn kommt die Erkenntnis zu spät. Für die King-Fangemeinde rund um den Globus kommt sie im Friedhof der Kuscheltiere so ordentlich, wie vom König gewohnt: Hammermäßig gut.

Einige erleben so was, andere lesen darüber. Oder sehen nur oder eben auch den Film. Regie führte Mary Lambert, – zu ihrem Schaden und unserem Bedauern auch bei der schwachen, blutfetzenden und obskuren Fortsetzung (1992) –; Kinostart war 1989, sechs Jahre nach Erscheinen des Romans, und an den Kassen spielte der tragische Meistergrusler satte 57 ½ Millionen US-Dollar ein. Der Film ist sauber gemacht, da wäre pedantisches Nörgeln schlichtweg unnötig, auch unfair. Korrekt gesagt und ohne Einwände:

Tragischer Meistergrusler

»In Stephen Kings Roman kommt der Horror auf Samtpfoten daher wie die wiedergeborene Katze und schlägt seine Krallen in die rissige Fassade einer intakten Familie, die unter einem Schicksalsschlag zu zerbrechen droht. Ganz so subtil ist Mary Lamberts Verfilmung nicht ausgefallen. Trotzdem gehört ihr Schocker zu den besseren King-Verfilmungen: düster, spannend, effektvoll und kompakt inszeniert. Fazit: Aus der Oberliga der King-Verfilmungen.«

(Cinema)

 

Mary Lambert hat absolut Wesentliches vom literarischen Zündstoff hinein gesteckt, – mit King an ihrer Seite –, und man wird mit grundgütig abgründiger Spannung unterhalten, eben wie man es von sich langsam, aber gezielt sich anschleichendem Grauen erwarten darf: Durchdacht, geahnt, urplötzlich und gekonnt böse.

Eine Kritik wie »(…) enttäuschend, weil die Verfilmung nach der behäbig-sorgfältig gestalteten Exposition den eher sanften Schrecken der Vorlage mit den Genre-üblichen grellen Effekten überzeichnet« (Lexikon des Internationalen Films) irritiert und kurbelt auch an der Sache vorbei. Literatur kann mehr, kann natürlich mehr, weil sie Gedanken, Vorstellungen, Möglichkeiten im Kopf zulässt und nicht nur bildlich, stimmlich vorgibt, wie genau was und warum so ist. Ein Film muss einen direkteren Weg gehen. In der Szene, in der Louis den brutal von seinem auferstandenen kleinen Sohn abgestochenen Nachbarn Jud und die von Gage abgeschlachtete Mutter, seine Frau Rachel, findet und erkennt, welches Höllentor er mit seiner Sehnsucht geöffnet hat, brüllt der Schauspieler (Dale Midkiff) sein Entsetzen, seine Ohnmacht heraus. Im Buch wird das (selbstverständlich) definiert. Und liest sich einfach nur stark:

 

Wie die Glocken der Hölle

»Plötzlich sah er sie, sah sie richtig, und Louis Creed begann zu schreien. Seine Schreie schrillten und widerhallten in diesem Haus, in dem jetzt nur noch der Tod lebte und umging. Er schrie mit hervorquellenden Augen, bleichem Gesicht, gesträubten Haaren; die Laute kamen aus seiner geschwollenen Kehle wie die Glocken der Hölle, grauenhafte Schreie, die nicht nur das Ende der Liebe signalisierten, sondern auch das Ende des gesunden Verstandes.«

 

Friedhof der Kuschetiere, Originaltitel Pet Sematary (=Cemetery) ist schlichtweg genialer Stoff: Ein um sein totes Kind trauernder Vater gräbt die Leiche heimlich wieder aus und bestattet sie an einem Ort, der die Wiederauferstehung verspricht. Warnungen schlägt er, von Gram, Verzweiflung und dem Willen, das (Un-)mögliche möglich zu machen, blind und stur zerfressen, in den Wind...und erhält dafür die unbarmherzige, grausame Quittung. Sein Sohn kehrt zurück als untotes Wesen, zur Kreatur geworden, die er glaubte, weiterhin lieben zu können. Und die er töten muss.

 

»Der beängstigendste Roman, den Stephen King je geschrieben hat.«

(Publishers Weekly)

 

Der Autor selbst bestätigt das:

 

»Wenn ich gefragt werde, welches meiner Bücher ich für das furchtbarste halte, antworte ich ohne Nachdenken oder zögern: »Der Friedhof der Kuscheltiere«. Es ist womöglich nicht das Buch, das den Lesern am meisten Angst einjagt. (…) Jedenfalls weiß ich, dass »Der Friedhof der Kuscheltiere« das eine Manuskript war, das ich in der Schublade abgelegt habe, weil ich der Ansicht war, nun endlich zu weit gegangen zu sein.!

(Stephen King, September 2000)

 

Zu weit gegangen

Nun liegt es zwar zwanzig Jahre zurück, dass Stephen King sich so geäußert hat, – zwischenzeitlich ist verdammt viel auf dem Papier passiert, natürlich –, aber er sagt es siebzehn Jahre nach der Veröffentlichung. Das ist eine lange Zeit, genug Zeit, um eine Meinung, ein Empfinden zu korrigieren. Für King nicht. Er erinnert sich sehr genau: »Ich war entsetzt von dem, was ich geschrieben und von den Schlussfolgerungen, die ich gezogen hatte.«

 

Das Buch hat eine sehr persönliche Vorgeschichte: King erzählt (Prolog), dass er mit seiner Familie berufsbedingt für kurze Zeit in einer Kleinstadt bei Maine in einem Haus nah an einer stark befahrenen Straße lebte, auf der sein Sohn, damals noch ein kleiner Junge, beinahe von einem Laster überfahren wurde. Kurz vor diesem traumatischen Vorfall fand Smucky, die Katze der kleinen King-Tochter, auf der Straße den Tod und wurde auf dem nahe gelegenen Waldfriedhof für Tiere beerdigt, dem PetSematary Haustierfritof (falsch geschrieben von Kinderhand auf dem Hinweisschild und so für den Roman übernommen). Ein versteckter Teilbereich des Friedhofs ist im Roman eine alte Indianer-Begräbnisstätte, die vom grausamen Wendigo (übernatürliches Wesen mit Vorliebe für Menschenfleisch) verflucht wurde und die man besser meiden sollte. Wer dort beerdigt wird, bleibt nicht in seinem Grab. Das klingt schaurig gut, weil man um Tote trauert, sie liebt, vermisst und wiederhaben will. Das ist aber schlecht, weil die, die wiederkommen, anders sind. So ganz anders. Weil die böse Seite dominiert.

 

Besser ergo, von der Idee Abstand zu nehmen. Was natürlich nicht gemacht wird. Denn die Verlockung ist doch recht groß. Gewagt, geheimnisvoll, gefährlich, aber reizvoll.

 

Würde man selbst, wenn …?

Stephen King hat diese Frage, – würde ich …, wenn ich könnte? –, natürlich nicht befriedigend beantwortet. Aber aufgeworfen und damit bedrohlich unruhig gemacht. Den Leser. Den Zuschauer. Sein Sohn hätte auf dieser Straße in der Nähe von Maine den Tod gefunden, wäre nicht … eben. Aber die Vorstellung davon, wie es hätte ausgehen können, hat King verdeutlicht, was es heißt, als Vater sein Kind sterben sehen und sterben lassen zu müssen. Ohne Chance, ohne Hoffnung. Ohne (fiktive) Alternative. Weil man zu spät kommt. Weil man den Tod gesehen hat und die Tür nicht mehr zuschlagen konnte. Im wahren Leben ist der Sohn davon gekommen.

 

»Aber ein Teil meines Verstandes ist dem grauenvollen Was wäre, wenn nie entkommen.«

(King)

 

Im Roman stirbt Cage. Sein Vater sorgt dafür, dass er aufersteht. Aber wie? Als was? Der gebrochene Louis widersteht diesem Grauenvollen nicht, das King sich ausmalt. Als Horror-Autor, klar, aber eben auch als Normalo-Vater, dem die Trauer die Vernunft und die Angst stiehlt. »Ich habe die Ereignisse genommen und dieses schreckliche Was wäre, wenn hinzugefügt. Anders gesagt: Ich habe etwas Undenkbares nicht nur gedacht, sondern aufgeschrieben.«

 

Bei der Beerdigung seines Sohnes stellt Louis sich vor, der Totengräber würde Gage jetzt für immer von der Sonne trennen. Bis zum Tag der Auferstehung. Den Gedanken an die Endgültigkeit ist für den verzweifelten Vater unerträglich, er überlegt wie im Fieberwahn: »Auferstehung – ein schönes Wort … (das du dir schleunigst aus dem Kopf schlagen solltest, wie du weißt)« Natürlich weiß er. Wie auch der Leser weiß, dass die Entscheidung aller Vernunft zum Trotze längst schon gefallen ist. Und Louis hofft, träumt davon, dass die Sonne eben doch wieder für Gage aufgehen wird, aufgehen kann, wenn er ihn aus seinem Grab holt und ihn dort beerdigt, wo die Erde bereitwillig nachgibt, wenn die Toten sich aus ihr heraus graben. Und Louis hofft mehr, will daran glauben, dass die verfluchte Erde ihm den Gage gibt, den er verloren hat, vielleicht etwas verändert, aber schlimm?, nein, furchtbar verändert?, nie, bei Gott niemals.

 

»Gewiss, es war durchaus möglich, dass Gage irgendwie – reduziert zurückkam. Aber änderte das etwas an seiner Liebe zu ihm? Eltern liebten ihre Kinder, obwohl sie Wasserköpfe hatten, mongoloid oder autistisch waren.«

 

Hätte Romero verfilmt …

Ursprünglich war George A. Romero (Night of the Living Dead) für »Friedhof der Kuscheltiere« als Regisseur vorgesehen; durchaus interessant, darüber zu sinnieren, spekulieren, spinnen, wie sein Ergebnis ausgesehen hätte, freilich, – wohl leider, irgendwie –, nur bedingt lohnenswert, weil er’s nicht gemacht hat. Letztendlich übernahm Mary Lambert die Regie. Vielleicht war das auch gut so.

 

King, der selbst das Drehbuch beigesteuert hat, taucht im Film (ca. 40. Minute) als Priester auf. (»Lasset die Kindlein zu mir kommen und wehret ihnen nicht.«) Diese kleine Schwäche, etwas eitel, aber warum-nicht-sympathisch, für Kurzauftritte in eigenen Machwerken teilt er sich mit weiterer Prominenz wie Alfred Hitchcock und Quentin Tarantino. In der Branche nennt man diese Intermezzi von bekannten Persönlichkeiten Cameo-Auftritte (von Kamee: Relief auf einem Schmuckteil als unverwechselbarer Wiedererkennungswert).

 

Wenn man sich in den richtigen Kreisen mal gezielt umhört, – das sind die, die wissen, dass gute Literatur wie guter Whisky für das Gehirn ist (zitiert nach ihm, normal) – , nennen viele »Friedhof der Kuscheltiere« als ihren ersten King, gelesen im Alter von fünfzehn, sechzehn Jahren. Für die meisten war es der definitiv passende Schlüssel zur dunklen Pforte in seine phantastische Welt. »Friedhof der Kuscheltiere« als Einstiegslektüre für verdammt junge Erwachsene ist keine harmlose Erfahrung im Umgang mit den belastenden Themen Tod und Trauerbewältigung. King sagt dazu:

Lehre aus der Trauer ziehen

»Vielleicht ist ›dass der Tod manchmal besser ist‹ die letzte Lehre, die wir aus der Trauer ziehen müssen. Diese Lehre legt nahe, dass wir Menschen in unserem Leben Frieden nur finden können, wenn wir den Willen des Universums annehmen. Das klingt möglicherweise wie abgedroschener esoterischer Hippie-Mist, aber die Alternative sieht für mich aus wie eine Finsternis, die zu schrecklich ist, als dass sterbliche Geschöpfe wie wir sie ertragen können.«

 

Klare, ernste Worte. Vor allem mahnende. Warnende. Auf der Hut zu sein, nicht zu denken, machen, sagen, herauf beschwören, was nicht gedacht, gemacht … werden darf. Freilich: Er darf. Grundsätzlich. Und primär zählt, dem moralisch-ethischem Appell zum Trotze und eben auch zum Hohn, das düstere, abgründige, Nerven, Herz und Verstand blank legende Gedankengut eines Schriftstellers, der Garant für qualitativ ersehnbare Alpträume ist. In »Friedhof der Kuscheltiere« fasziniert der Tod auf abstoßend-anziehende Weise, und die Art, wie der Vater trauert, ist menschlich schwach, zwar verständlich, aber eben nur bis zu dem Punkt, an dem King zum wievielten ungezählten Mal beweist, was er kann und wie er es macht:

 

»Wenn ich nicht erschrecken kann, gehe ich zum Groben über.«

 

Damit lässt King sich im »Friedhof der Kuscheltiere« gut Zeit. Es wird erzählt. Die Familie Reed, Louis, Rachel und die kleinen Kinder Gage und Ellie, älter als ihr Bruder, zieht nach Ludlow, lebt sich in dem idyllischen, – bis auf die besagte Straße –, Städtchen ein, ist so weit zufrieden. Louis findet im Nachbarn Jud Crandall einen väterlichen Freund. Zuhörer. Redner. Verbündeten. Von ihm erfährt er von dem besonderen Friedhof, auf dem er heimlich die überfahrene Katze Church der Tochter beerdigt, weil er nicht möchte, dass Ellie schon so früh mit der Endgültigkeit des Todes in Berührung kommt. Church kehrt zurück. Und ist ganz und gar nicht mehr der Alte.

 

»Liebling«, sagte sie

Von diesem Punkt an nimmt die Spannung, das Unbehagen ihren Weg steil nach oben auf, anfangs beunruhigend träge, fast (zu) gemütlich, langsam, verhängnisvoll bedächtig, aber stets extrem zielorientiert. Sie wird schneller. Curch macht Ellie Angst. Gage wird überfahren. Louis ist am Boden, will seinen Sohn holen. Jud rät ab, wissend aus Erfahrung, was passiert. Gefährlich schnell. Louis hadert. Louis macht es. Louis irrt. Großartig, grausam schnell. Dass Louis nach seinem verheerend gescheiterten Versuch, den Tod, wenn auch nicht zu überlisten, so doch zumindest für ein geliebtes Leben, – das von Gage –, außer Gefecht zu setzen, das Experiment mit seiner vom eigenen entarteten Sohn getöteten Frau wiederholt, zeugt von grenzenlosem Wahnsinn und grenzenloser Bodenlosigkeit. Rationell geht da gar nichts mehr. Der 1989er-Film endet mit einem Griff nach dem Küchenmesser. Das Buch: Dito. Vielleicht. Vielleicht auch nicht. King schlägt da konkret nichts vor.

 

»Stille. Eine kalte Hand legte sich auf Louis’ Schulter. Rachels Stimme knirschte, war voller Erde. «Liebling», sagte sie.«

 

Reicht doch. Das letzte Wort freilich hat hier mal nicht die Frau, es sei das des Meisters hinzugefügt:

 

»Und da ich nun mal bin, wer ich bin und was ich bin, kann ich es nicht übers Herz bringen, Euch angenehme Träume zu wünschen.«

 

Das passt. Immer.

Ergänzend sei das etwas anders erzählte Remake von »Friedhof der Kuscheltiere« (2019, Regie: Kevin Kölsch und Dennis Widmyer) mit Jason Clarke als Louis Reed genannt. Tot und doch nicht tot, fast wieder da und ziemlich böse sind hier die alten Vertrauten. Nur der kleine Gage (noch) nicht. Kann man gucken, – originell ist die Alternative allemal –, muss aber nicht unbedingt sein.

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Erstellt: 25.10.2021, zuletzt aktualisiert: 25.11.2023 10:13, 20221