Die Villa am Rande (Autor: Goran Petrović)
 
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Die Villa am Rande der Zeit von Goran Petrović

Rezension von Ralf Steinberg

 

Verlagsinfo:

Der Belgrader Student Adam erhält ein ungewöhnliches Angebot: Er soll ein Jahrzehnte zuvor erschienenes Buch umarbeiten. Ein scheinbar harmloser Auftrag. Doch bei der Lektüre macht Adam eine sonderbare Erfahrung: Unversehens findet er sich mitten in dem Roman wieder und begegnet anderen Lesern, die über dieselbe Gabe verfügen. Nicht alle haben ein unschuldiges Interesse an dem Buch. Als ein Mord geschieht, muss Adam sich entscheiden: Will er seinen Auftrag erfüllen oder verhindern, dass dieser imaginäre Zufluchtsort unwiederbringlich verloren geht?

 

Rezension:

Serbische Literatur dürfte für einen Großteil der deutschen Phantastik-Fans komplett unbekannt sein. Mit Goran Petrović stellt der dtv uns nun einen Autor vor, der in seinem Heimatland bereits sehr erfolgreich ist und auch Die Villa am Rande der Zeit ist kein Debüt, sondern ein mehrfach ausgezeichneter Roman.

Aber es gibt noch weitere Vorurteile, die man beiseite legen sollte, will man sich dem Roman nähern. So besteht Europa aus einigen Ländern mehr, selbst historisch gibt es mehr zu entdecken, als der Geschichtsunterricht üblicherweise hergibt. Im Verlaufe des Romans präsentiert uns der Autor europäische Geschichte aus der Sicht eines Landes, das irgendwie stets am Rande operierte und dennoch Schauplatz gewichtiger Ereignisse wurde.

 

Der Zeitrahmen reicht von 1906 bis zum neuen Serbien nach dem Jugoslawischen Bürgerkrieg. Dieser Rahmen ist verbunden mit verschiedenen Lebensgeschichten und einem ganz besonderen Buch. Ein Buch ohne Handlung aber mit unendlich detaillierten Beschreibungen die einzig dem Zweck dienen, sich in einer Villa am Rande der Zeit zu treffen, wie es der deutsche Titel benennt.

Denn die zentrale Idee des Romans besteht in dem direkten Hineinlesen in ein Buch, dem »wahren« Lesen. Ähnlich wie in Jasper Ffordes Thursday Next - Romanen, treffen sich die Leser so in den Büchern, jedoch nicht jedem wird das auch bewusst. Die meisten versinken einfach nur in das Gelesene und halten es für Ausgeburten ihrer Fantasie.

Adam Lozanić ist Slawistikstudent und verdient sich sein Studium mit Lektoratsarbeiten für eine Heimat-Illustrierte. Eher zufällig erhält er den Auftrag, ein in rotem Saffian eingebundenes Buch zu überarbeiten, den Privatdruck »Mein Vermächtnis« des ihm unbekannten Autors Anastas Branica. Er lässt die Geschichte von Buch und Autor erforschen und stößt bald auf die Buchhändlerstochter Natalija Dimitrijević und eine seltsame Lebensgeschichte zwischen Kriegen, Revolution und Liebe.

Über den zweiten Handlungsbogen erfahren wir mehr über die inzwischen ergraute Natalija und ihre Gesellschafterin, der jungen Russin Jelena. Es entspannt sich eine melancholische und magische Reise zwischen den Zeiten anhand des kurzen Lebens Anastas Branicas. Dabei beleuchtet Goran Petrović das wechselhafte Schicksal seiner Heimat und beschreibt ganz unterschiedliche Stimmungen. Das reicht vom nationalen Stolz, panslavischer Ideen, dem Leid unter den Besetzungsfolgen, bis hin zur kommunistischen Diktatur. Stets rissen die Ereignisse Lücken in die Seelen der Serben und in ihre Städte. Die Flucht in die rettende Villa am Rande der Zeit schützt ebenso vor Verfolgung, wie vor der Auseinandersetzung mit einer veränderten Welt. Bietet aber auch Raum für Verrat, Spionage und Mord.

Hier findet sich Adam als irgendwie typischer Mensch der Gegenwart, mit all seinen Problemen und Träumen wieder und entdeckt dabei nicht nur eine Welt, die ihm bisher völlig unbekannt war, er findet sie auch in sich selbst.

Doch Adam ist weder Schöpfer, noch Weltenretter oder Eskapist. Eigentlich ist er ein ganz normaler junger Mann, der sich verliebt.

Und neben all der Mächtigkeit serbischer Geschichte bleibt »Die Villa am Rande der Zeit« ein Buch über die Liebe oder wie es so lyrisch heißt, über etwas das junge Mädchen in ihr Kopfkissen flüstern.

 

Es ist verständlich dass der Roman in Serbien die Menschen anrührte. Ganz bewusst streichelt Goran Petrović die kriegszerrüttete serbische Empfindsamkeit. Er zeigt seinen Landsleuten, wo die Wunden herkommen, lässt die alten Zeiten wieder aufleben, auch sie nicht frei von Narben und Blut. Wenn Natalija Dimitrijević auf mysteriöse Art und Weise in Geschäfte Einkaufen geht, die es nie gab oder schon längst aufgegeben sind, dann ist es mehr als nur der Wunsch nach dem Zurückdrehen der Zeit. Die alte Dame hält an dem fest, das sie für richtig befindet. Seien es Werte, Höflichkeitsformeln oder Traditionen. Ihre zunehmende Vergesslichkeit könnte man als Symptom der Moderne verstehen, die erbarmungs- und gedankenlos abreißt. Petrović stellt kein Manifest zur Restauration auf, aber er versucht den Leser zu erwärmen. Die eisige Kälte zu vertreiben, die da draußen herrscht.

 

Fazit:

Serbien ist durch seine Verbrecher in die Schlagzeilen geraten. Schnell werden daraus Vorurteile. Doch wer »Die Villa am Rande der Zeit« von Goran Petrović gelesen hat, wird nicht nur eine Nation entdecken, die so europäisch und ambivalent wie alle anderen ist, er wird die zauberhafte Leichtigkeit kennenlernen, mit der es dem Autor gelingt, Geschichte, Literatur und Liebe zu vereinen. Ein Buch voller Melancholie und Hoffnung und für uns deutsche Leser ein ganz und gar ungewöhnliches Kennenlernen des Balkanstaates.

 

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Buch:

Die Villa am Rande der Zeit

Original: Sitničarnica »kod srećne ruke«, 2000

Autor: Goran Petrović

Übersetzerin: Susanne Böhm-Milosavljevic

Taschenbuch, 400 Seiten

Deutscher Taschenbuch Verlag, 1. Dezember 2010

 

ISBN-10: 3423248246

ISBN-13: 978-3423248242

 

Erhältlich bei Amazon

 

Kindle-Version:

ASIN: B004UFSY5E

 

Erhältlich bei Amazon-Kindle


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Erstellt: 09.06.2011, zuletzt aktualisiert: 18.04.2024 09:19, 11856