Ed Gein: So krank, so böse, so wahr
 
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Ed Gein: So krank, so böse, so wahr

Artikel von Karin Reddemann

 

Dies ist die Geschichte eines Mannes, der in der Küche seines Farmhauses in Wisconsin auf einem mit Fleisch gepolsterten Stuhl saß und seinen Hund beobachtete, der aus einem menschlichen Schädel fraß. Die Geschichte eines Mannes, der ein Grabräuber und Leichenschänder war. Eines einsamen, gestörten Mannes, der sich Kleidung und Masken aus menschlicher Haut bastelte. Vielleicht gab er den Gesichtern mit den toten Augen auch Namen. Er verriet es nie. Er verriet wenig von seiner Geschichte. Sie ist furchtbar, sie ist krank.

 

Es ist die düstere Geschichte des Mörders Edward Theodore Gein, geboren 1906, 1984 gestorben im Central State Hospital in Waupan, Wisconsin, in dem er nach seiner Verhaftung 1957 bis zu seinem Tod untergebracht war. Ed Gein kam nie hinter Gitter, er wurde aufgrund seines Geisteszustandes für schuldunfähig befunden. Im Sanatorium galt Gein, einer der berüchtigtsten Verbrecher Amerikas, um den in der Welt draußen ein grotesker Wirbel, fast schon Kult entstand, als stiller, höflicher älterer Herr, zurückhaltend, bescheiden. Ein Musterpatient. Einer, der sinnbildlich keiner Fliege (mehr) was zuleide tat. Das übernahm Hollywood.

Stoff, der die Angst schürt

An vorderster Front: Alfred Hitchcock mit Psycho. Nur der Anfang einer finsteren und für kreative Köpfe genial bösen Never-Ending-Story. Denn Killer wie Gein sind der Stoff, der die Angst schürt vor dem, was nicht sein darf und trotzdem ist, vor dem, was unmöglich sein soll und trotzdem als so verdammt wahr dasteht und bleibt und nicht geändert werden kann.

 

Serienmörder sind reelle Albträume. Sie hausen in den Köpfen von Ermittlern, Ärzten und Richtern, spuken in denen der Schriftsteller und Filmemacher, brennen sich ein in die der Kranken, Faszinierten, Voyeure. Der Nachahmungstäter. Gruselig, sie alle gemeinsam auf einer Bank zu platzieren.

 

Auf den restlichen Plätzen dürfen wir uns verteilen, uns erwartungsvoll umschauen, neugierig, verstohlen, angespannt, auch aufgeregt. Natürlich. Das Murmeln ebbt ab, Ton läuft.

 

Erzählt wird nicht aus dem abgründigen Reich der Fantasie, dorthin reisen wir oft. Erzählt wird die Geschichte von Edward Theodore Gain, Vorlage für Robert Blochs weltberühmten Psychopathen Norman Bates.

 

Ed war/ist mehr: Der Schlächter Leatherface in dem Splatter-Klassiker The Texas Chainsaw Massacre (Blutgericht in Texas, 1974, Remake: 2003), der Durchreisende auf Wunsch seiner Familie bestialisch ermordet. Ed zählt gleichfalls zu den sechs Serienmördern, denen James »Buffalo Bill« Gumb im Harris-Thriller Das Schweigen der Lämmer akribisch nacheifert.

Er trägt Kleidung aus weiblicher Haut. Wie Ed es tat. Der machte daraus auch Lampenschirme.

 

»There was a young man named Ed

Who would not take a woman to bed.

When he wanted to diddle,

He cut out the middle,

And hung the rest in a shed.«

Volksmund, 1957

 

Eds Kindheit war trist. Die Eltern hassten sich, blieben aber zusammen, weil eine Trennung für sie aufgrund ihres Glaubens nicht in Frage kam. Der Vater George galt als arbeitsscheuer Trinker und brutaler Schläger, die Mutter Augusta brachte die Familie mit ihrem kleinen Lebensmittelladen zwar einigermaßen über die Runden, war aber verbissen streng und duldete kein anderes Weltbild neben ihrem. Als fanatische Hobby-Predigerin bläute sie den Söhnen Ed und dem älteren Henry Bibelpassagen ein, die von Tod und Verderben berichten. Sex ohne gezielte Fortpflanzungsabsicht nannte sie Sünde, jede Frau, die das anders sah, eine Hure, jeden Mann, der Vergnügen suchte, ergo einen Hurenbock.

 

Den gewalttätigen Vater fürchteten und verachteten die Gein-Jungs, freilich war er Lehrmeister, was eigene Aggressionen betraf. Der Mutter gehorchten sie widerspruchslos. Augusta kaufte dann von ihrem Ersparten die Farm in der Nähe von Plainfield, die Ed bis zu seiner Verhaftung 1957 nicht mehr verlassen sollte.

Bilder in schrecklichen Farben

Das Haus lag einsam, ein willkommener Ort für Augusta, um die Söhne von der Außenwelt abzuschotten. Der Schulbesuch war der einzige gestattete Ausbruch aus der Isolation, ansonsten kontrollierte sie alles. George Gein starb 1940, und Ed war jetzt ein 34jähriger Mann, der das Leben immer noch nicht kannte. Nie wirklich kennenlernen sollte, um sich stattdessen eigene Bilder zu malen. Mit schrecklichen Farben. Von anderen wusste er nicht. Vier Jahre nach dem Tod des Vaters kam der Bruder bei einem Feuer auf der Farm ums Leben, ein Jahr darauf die Mutter.

 

1945. Ed war auf sich allein gestellt. Er blieb allein. Die Mutter fehlte ihm wohl, er hatte sie nach einem Schlaganfall gepflegt, sich gekümmert. Nun war niemand mehr da, der ihn brauchte. Ihn beobachtete. Ihm sagte, was zu tun oder zu lassen sei. Da war nur noch sein krankes Hirn, das ihn dirigierte. Am 8. Dezember 1954 ermordete Gein die 51-jährige Barbesitzerin Mary Hogan, deren Verschwinden noch niemand mit Ed in Verbindung gebracht hätte. Er war der irgendwo da draußen lebende Sonderling, der freundlich grüßte und dem Herrgott jeden Morgen für sein Dasein dankte, war es auch noch so eintönig. Der Einsiedler war wohl zufrieden. Dachte man. Als knapp drei Jahre später, am 16. November 1957, die 58-jährige Ladenbesitzerin Bernice Worden aus ihrem Geschäft in Plainfield entführt wurde, hatte Gein, der dort gesehen worden war, sich verdächtig gemacht. Man ging der Sache nach, suchte ihn auf und traf auf einen Ort des Horrors.

Ein Fressen für die Hunde

Sheriff Arthur Schley erzählte später, er sei in der Dunkelheit in Geins Schuppen gegen ein von der Decke baumelndes »Ding« gestoßen, das sich im Schein seiner Taschenlampe als die Leiche Wordens entpuppte. Bernice hing dort ohne Kopf an ihren Füßen, ausgeweidet, ausgeblutet wie erlegte Jagdbeute. Ihren Kopf entdeckten die Polizisten später im Farmhaus, wo sie dann auf Geins gruselige Handarbeiten wie die Schalen aus Schädeln, die Lampenschirme nebst Kleidungsstücken aus gegerbter Menschenhaut und die mit Haut bezogenen Masken aus den Gesichtern toter Frauen stießen. Gein hatte auch Nasen und weibliche Geschlechtsorgane gesammelt. Insgesamt fand man Leichenteile von mindesten 15 Menschen. Als er verhaftet wurde, brutzelte in der Pfanne auf dem Herd ein Herz. Sagt man. Tatsächlich habe das Herz in einer Tüte neben dem Ofen gesteckt. Behauptet man auch. Ob Gein es selbst essen wollte? Er sei doch kein Kannibale, sagte er. Empört. Klar. Vielleicht war es für seine Hunde. Wie weitere Leichenteile, die auf dem Herd landeten.

Kleidung aus Haut genäht

Gein gestand die Morde an Mary und an Bernice, es gab eh keine Zweifel, wirkte bei seiner Schuldanerkenntnis aber wohl wie ein Kind, das nicht begreift, für welches Unrecht es denn nun bestraft werden muss. Gelassen soll er erzählt haben, fast unbeteiligt, beinahe treuherzig. Mit dem ungeklärten Verschwinden weiterer Personen aus der Umgebung wurde Gein natürlich vor Gericht immer wieder konfrontiert, – woher die mindestens 15 Leichen? –, nachgewiesen werden konnten ihm weitere Morde aber nicht. Die vielen Körperteile, so Gein, würden von Frauenleichen stammen, die er nachts auf dem Friedhof kurz nach der Beerdigung wieder ausgegraben hätte. Frauen, die ihn an seine Mutter erinnert hätten. Frauen, aus deren Haut er sich einen Anzug nähte. Oder einen Rock. Gelegentlich spielte er mit seiner Identität. Da verwischten die Grenzen.

 

Es war ein unglaublich spektakulärer Fall, der einfach nur schockte. Es waren die 1950er, man glaubte an Idylle, Perfektion und Gutmenschen. Dann das. Die Entsetzten erstarrten, Reporter und Schaulustigen kamen in Bewegung und überrollten das friedliche Plainfield. Geins Haus, Geins Auto, später Geins Grab wurden fast ehrfürchtig begafft.

 

Er war düstere Legende zu Lebzeiten, er hinterließ und hinterlässt seine Spuren neben den genannten Genreklassikern, – noch nicht erwähnt: Deranged (1974) mit dem phantastischen Robert Blossom als Ezra »Ed« Cobb –, in zahlreichen Leinwandproduktionen, auch in zwei biographischen Verfilmungen: Ed Gein – The Wisconsin Serial Killer (2000, Regie: Chuck Parello) und Ed Gein – Der wahre Hannibal Lecter (2007, Regie: Michael Feifer). Der Wahnsinn mischt auch im Comic mit: Im japanischen Manga Rurouni Kenshin baut eine Figur namens Gein Puppen und Kampfmaschinen aus Leichenteilen.

 

Böse genug. Wahr genug.

 

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Erstellt: 14.03.2023, zuletzt aktualisiert: 08.10.2023 11:19, 21714