Einmal Hölle und zurück (Sin City Bd. 7)
 
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Einmal Hölle und zurück von Frank Miller

Reihe: Sin City Bd. 7

Rezension von Christian Endres

 

Ein letztes Mal lockt uns Frank Millers Stadt der Sünde mit ihren ebenso üppigen wie vielfältigen Reizen, ihren sündhaft-süßen Verlockungen und ihren nicht selten tödlichen Begierden und Vergnügen. In Band sieben der Reihe um die gefallenen oder vergessenen Engel und die zu Ruhm, Reichtum und Macht gekommenen Teufel und Dämonen aus Basin City gibt es zwar leider kein Wiedersehen mit alten Bekannten (und damit auch keine direkte Fortsetzung früherer Episoden) wie beispielsweise Dwight oder Marv, doch ist dieser vorerst letzte Teil von Sin City dennoch definitiv der Mainevent der Serie – inhaltlich wie gestalterisch das Maximum und die bloße Konsequenz dessen, was Miller an künstlerischer Entfaltung bis hier hin schon gezeigt oder auf den Weg gebracht hat. Mit dem vorläufigen Höhepunkt und Abschluss liegt damit also die Neuauflage einer der wohl besten und bedeutungsvollsten Comic-Reihen unserer Zeit endlich komplett im edlen Hardcover bei Szenepublisher Cross Cult vor – Grund genug, sich diesen dicken Wälzer noch einmal genauer anzuschauen und nicht nur zu inhalieren, sondern auch kritisch zu betrachten ...

 

Die Story von »Einmal Hölle und zurück« (orig.: Hell and Back) ist schnell erzählt und entfaltet in der Zusammenfassung nicht viel von ihrem Charme oder ihrer Wirkung. Erst beim Lesen trumpft sie groß auf und spielt das Talent ihres begnadeten Schöpfers voll aus. Deshalb muss an dieser Stelle eine kurze Inhaltsangabe ohne viel Finesse oder Federlesen genügen: Wallace, der eigentlich nur ein ruhiges Dasein als Maler führen will, rettet die schöne Esther vor ihrem Abgang in den Freitod zu Wasser. Doch so plötzlich die schöne Esther auch in sein Leben getreten ist, so plötzlich verschwindet sie auch wieder und lässt Wallace allein zurück. Allerdings sprechen die Indizien – z. B. der Drogencocktail, den man Wallace verabreicht hat und in Anschluss an dessen Genuss er sich in einer Polizeizelle wiederfindet – dafür, dass Esther nicht freiwillig verschwunden ist, und so beschließt der ordengeschmückte Kriegsveteran mit Hang zum einsamen Rächer, seine »spontane« neue Liebe auf eigene Faust zu suchen und mehr über ihr Schicksal herauszufinden. Dabei kommt er einem Geheimnis auf die Spur, das den Menschen als solchen auf seine inneren Werte reduziert – allerdings nicht ganz so, wie die Moralisten unter den Comiclesern das wohl gerne hätten, dafür aber ganz so, wie man es von einem Frank Miller erwarten darf ...

 

Miller überzeichnet in diesem Band vor allem Hauptfigur Wallace übertrieben stark, sodass es manchmal schon fast weh tut – ein malender, sensibler Navy-Seal, aber eben auch Kampf- und Waffenspezialist, der (s)einer nahezu unbekannten Liebe hinterher jagt und um jeden Preis zu ihrem strahlenden – oder zumindest blutbefleckten – Retter werden will. Das ist schon nicht mehr nur noir, das ist fast schon kitschig und ab und zu wirklich hart an der Grenze zum Trash – aber es funktioniert wunderbar! Ich weiß nicht, wie es dieser Teufelskerl von Miller anstellt, aber es funktioniert tatsächlich und passt sogar vor den düsteren Hintergrund von Sin City. Zwar braucht »Einmal Hölle und zurück« ein paar Seiten, bis man sattelfest in Plott und Geschichte sitzt und sich mehr oder weniger entspannt zurücklehnen kann, doch ist das ja keine Tragik – immerhin hat der Band, der eigentlich schon die Bezeichnung Buch verdient hat, satte 320 Seiten Zeit, um dieses kleine Versäumnis nachzuholen und das Manko seines Anfangs wett zu machen. Und das wiederum tun er und Miller in der Folge auf eindrucksvolle Art und Weise ...

 

Dass Frank Millers Schwarzweiß-Artwork im Comic-Genre seines gleichen sucht, dürfte sich mittlerweile herumgesprochen haben, da man dank der ersten Verfilmung von Sin City ja sogar in anderen Medien eine Anlehnung an Millers außergewöhnlichen, atemberaubenden Stil vorgenommen hat. Dennoch überrascht Miller auch diesmal wieder auf die ihm ganz eigene Art und Weise, was seine Zeichnungen anbelangt: Die Experimente und Spielereien werden zurückgefahren und die Detailfreude stellenweise erhöht, ohne dass es so überladen wie im fünften Band wirkt. Auch Millers Faible für dschungelartige Landschaften und Grünanlagen, die an Hollywood angelehnte Berglandschaft außerhalb der Stadt und die Darstellung von Eidechsen, Fröschen oder sogar einmal einem Hasen gliedert sich als optische Auflockerung perfekt in das Artwork von Sin City, welches natürlich wieder mit einem ganzen Sack imposant-innovativer Einstellungen und Szenen daher kommt und mit seinen manchmal recht harten, kantigen Schwarzweiß-Flächen Seite für Seite begeistert.

 

Ein visuelles und aufmachungstechnisches Highlight des Bandes – ach was, des Mediums! – ist ohne Frage Wallace’ Drogenrausch im für Millers Sin City ungewohnten Vierfarbdruck (also »bunt«, profan ausgedrückt und um die Superlativen vorerst mal ein wenig zu dämpfen und so etwas wie Bodenständigkeit in diese Besprechung zu bekommen). Damit verarbeitet und ‚illustriert’ Miller nicht nur Wallace’ weiteren Kampf gegen die tödliche Delia und ihre Schergen, sondern stößt auch wieder einmal an die Grenzen der neunten Kunst – und weit über sie hinaus. So sollte es niemanden verwundern, dass unser Held im Sog der Drogen und des Kampfes unter anderem Hägar, Captain America, Elektra, Ogami Itto, Hellboy und andere mehr oder minder bekannte Größen aus der Comic-Nachbarschaft trifft und sich zum Teil wertvolle Ratschläge dieser Verbündeten seines benebelten, aber niemals aufgebenden Geistes abholt. Und dann ist da auch noch ein Herr mit Bart, Sandalen und zwei Steintafeln, der Wallace ebenfalls etwas zu sagen hat ...

 

320 Seiten in gewohnter Cross-Cult-Qualität bescheren dem Leser und Sammler einen richtig dicken Band und unglaublich lang anhaltenden Lesespaß. Dabei gibt es neben der üblichen, herausragenden Aufmachung der Bände von Stardesigner Chip Kidd dieses Mal eben wieder einige Seiten, da Miller mit Sonderfarben gespielt und sein Schwarzweiß-Artwork durch einer bestimmten Figur zugewiesene Farbtupfer (blau/orange) aufgepeppt hat, wie wir es ja schon aus früheren Bänden kennen – und im Mittelteil des Comics gibt es dann eben noch den nahezu farbenfrohen, von Millers Frau Lynn Varley für sie so typisch kolorierten Drogentrip von unserer Kampfmaschine Wallace. Auch das Buchrückenmotiv – sexy Stripperin Nancy, bekannt aus den ersten Episoden mit Geschichten aus der Stadt der Sünde – hat mit dem siebten Band nun seine Vollendung gefunden und ist im Regal durchaus ein – wenn auch etwas verbreiteter – Blickfang. Als zusätzliche Extras gibt es zum Ende des kleinformatigen A5-Hardcovers hin neben einer Cover-Gallerie (Miller/Varley) noch ein paar Pin-ups zum Thema Sin City. Hier gaben sich neben Lynn Varley unter anderem illustre Namen wie Matt Wagner, Gil Kane oder Garri Gianni die Ehre. Ein netter, runder Abschluss dieses bibliophilen, perfekt gestylten und sorgfältig verarbeiteten Wunderwerks der modernen Buchdruckkunst ...

 

Fazit: Sicher, im direkten Vergleich fällt »Einmal Hölle und zurück« etwas aus dem bisherigen Kontext der restlichen Sin City-Bände und ist wahrscheinlich auch nicht das Glanzlicht dieser einzigartigen und völlig zu Recht viel gelobten Reihe aus der Feder von Ausnahme-Artist Frank Miller – aber letztlich ist diese Geschichte vor allem die bloße Konsequenz der vorangegangen Episoden und führt lediglich das zu Ende, was Miller in den bisherigen Bänden bereits begonnen hat.

 

Er schöpft hier sowohl die künstlerischen, als auch die erzählerischen, zeichnerischen und nicht zuletzt technischen Möglichkeiten des Mediums Comic voll aus und liefert damit schon jetzt einen gewaltigen Brocken Comicgeschichte, der ohne schlechtes Gewissen als würdiger Abschluss und vorläufiger Höhepunkt eines Glanzstücks wie Sin City betitelt werden darf.

 

Die in jederlei Hinsicht opulente Krönung eines extravaganten Meisterwerks in sieben Bänden

 

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Oje, das hat nicht geklappt, Elfenwerk! 20240328164701237cf4be
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Comic:

Einmal Hölle und zurück

Reihe: Sin City Band 7

Autor: Frank Miller

Cross Cult, 27. November 2006

Hardcover, 320 Seiten

Übersetzerin: Rossi Schreiber

 

ISBN-10: 3936480176

ISBN-13: 978-3936480177

 

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Erstellt: 04.12.2006, zuletzt aktualisiert: 28.12.2022 16:07, 3166