Entführt (Autor: Robert Louis Stevenson)
 
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Entführt von Robert Louis Stevenson

Rezension von Ralf Steinberg

 

Rezension:

Das schottische Lowland im Jahr 1751. Nach dem Tod seines Vaters wird der 16-jährige David Balfour vom Dorfpfarrer zu einem ihm bisher unbekannten Verwandten geschickt. Doch der adlige Ebenezer Balfour von Shaws ist zwar sein Onkel, doch von Geiz zerfressen. Nach einem missglückten Versuch, David in den Tod stürzen zu lassen, lässt er ihn an Bord eines Schiffes locken und entführen, in der Absicht, den lästigen Neffen und Erben als Sklaven in Nordamerika zu verkaufen.

Auf ihrem Weg um die Nordspitze Schottlands herum, rammt die Handelsbrigg Covenant ein Boot. Man kann einen Passagier retten: Alan Breck Stuart. David freundet sich mit dem Hochländer an und hilft ihm, einem Mordkomplott zu entgehen. Doch dann gerät die Brigg in einen Sturm und zerschellt. David kann sich retten und es beginnt eine abenteuerliche Reise zurück nach Queensferry …

 

Robert Louis Stevenson nahm in seiner Abenteuererzählung Entführt den Faden eines Mordes wieder auf, den schon sein Landsmann Walter Scott in Rob Roy erwähnte. Am 14 Mai 1752 wird der königliche Steuereintreiber Colin Campbell of Glenure, genannt Der rote Fuchs hinterrücks erschossen. Der Tat verdächtigt werden zwei Mitglieder des Stuart-Clans: Alan Breck Stewart und James Stewart of the Glen (der dafür dann 1752 auch tatsächlich gehängt wird).

Der zu diesem Mord führende politische Hintergrund enthält bereits mehrere faszinierende Konflikte. Nach dem Verlust der Königskrone formierten sich die mehrheitlich schottischen Anhänger Jakob II. als sogenannte Jakobiten und versuchten, den Stewarts die Krone zurückzubringen. Zur Zeit der Handlung von »Entführt«, versuchte Jakobs Sohn, Bonnie Prince Charlie, von Frankreich aus, diese Restauration zu betreiben. Die hierfür nötigen Mittel sollten die ehemaligen Clanpächter aufbringen und einer der Pachteintreiber war Alan Breck Stuart. Die schottischen Bauern wurden so entweder durch ihre Clantreue oder durch Gewalt gezwungen, doppelte Pacht zu zahlen, denn natürlich bestand auch der britische König auf sein Geld.

 

Die jugendliche Hauptfigur David Balfour wuchs zwar in armen Verhältnissen auf, aber nach dem Act of Union von 1707 erholten sich besonders die schottischen Lowlands von den jahrhundertelangen Grenzkonflikten mit England. Kein Wunder, dass David Anhänger der Regierungspartei der Whigs und treuer Anhänger des Königs wurde. Seine pazifistische Erziehung führt zwar zu einer gewissen Naivität gegenüber den rauen Lebensverhältnissen außerhalb seiner kleinen Dorfgemeinschaft, gleichzeitig verfügt er durch sie über einen Moralkodex der ihm nicht nur die Freundschaft von Alan Breck einbringt, sondern auch im weiteren Verlauf der Handlung behilflich ist.

Breck hingegen ordnet seinen politischen Ansichten und der Clanehre meist alles unter. Ohne Skrupel treibt er die doppelte Pacht ein, verspielt Davids Geld oder lässt zu, dass David als sein Begleiter mit auf den Steckbrief gesetzt wird, mit dem nach den Mörder des Roten Fuchses gesucht wird. Doch seine Ansichten von Ehre binden ihn zugleich an David, der ihm an Bord der Brigg bedingungslos half. Dabei gehört David defacto nicht nur zu einem verfeindeten Clan, sondern auch politisch zur Gegenseite.

Dieser Konflikt bricht während ihrer Reise quer durch Schottland auf. David kann es Alan nicht verzeihen, dass dieser ihm sein letztes Geld abschwatze und verspielte, während er im Fieberdelirium kaum in der Lage war, etwas dagegen zu sagen. Dieser Vertrauensbruch wiegt für David schwer, während Alan die Sache am liebsten schnell vergessen möchte. Aber natürlich zwingen die Umstände der Flucht die beiden, sich wieder zusammenzuraufen.

Diese Umstände sind es letztlich, die »Entführt« zu einer so erfolgreichen Abenteuergeschichte machte. Angefangen mit dem Mordversuch seines Onkels erlebt David Balfour eine ganze Menge. Der brutale Alltag an Bord der Brigg, der Kampf zur Rettung Alans, der Schiffsuntergang und der anschließende Überlebenskampf auf einer Insel, der Mord an den Roten Fuchs, das Verstecken im Hochland, im Sumpf, Krankheiten und letztlich der Versuch, sein Vermögen zurückzuerhalten – Stevenson reiht ein Abenteuer an das nächste und erzählt ganz nebenbei vom Leben der Menschen in Schottland. In vielen Kritiken und biographischen Artikeln wird besonders die Menschlichkeit in Stevensons Werken betont. Das betrifft nicht nur die feinfühlige Betrachtung seiner Figuren sondern auch deren Lebensumstände. Immer wieder finden sich Details neben der Haupthandlung, die ganz unprätentiös Leben widerspiegeln. Sei es eine alte Frau, die sich nachts über die Brücke in Queensferry quält, dem übel zugesetzten Schiffsjungen Ransom, die mitfühlende Wirtstochter oder gar Onkel Ebenezer selbst. Am vorläufigen Ende der Reise, die in Catriona (1893) fortgesetzt wurde, hat man ein ganzes Land und seine Einwohner fest ins Herz geschlossen.

 

Fazit:

Mit »Entführt« gelang Robert Louis Stevenson eine ebenso packende wie anrührende Geschichte um die Abenteuer eines Jungen in den Wirren der schottischen Geschichte des 18. Jahrhunderts.

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Buch:

Entführt

Original: Kidnapped, 1886

Autor: Robert Louis Stevenson

Verlag Neues Leben, 1969

gebunden, 255 Seiten

Übersetzerin und Nachwort: Ruth Gerull-Kardas

Cover und Illustrationen: Werner Klemke

 

ASIN: B006T7Q9VC

 

Erhältlich bei: Amazon


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Erstellt: 28.06.2017, zuletzt aktualisiert: 26.03.2024 19:17, 15797