Helden gibt es nur im Märchen (Herausgeberin: Ina Elena Pleines)
 
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Helden gibt es nur im Märchen herausgegeben von Ina Elena Pleines

Rezension von Ralf Steinberg

 

Verlagsinfo:

Wer an Helden glaubt, glaubt auch an Märchen! Dreizehn Autoren erzählen in dieser spannenden Anthologie Kurzgeschichten rund um das Thema »Helden«. Strahlende Ritter mit fanatischer Anhängerschar, mordlustige Goblins, schießwütige Hasen, verlorene Geister und andere skurrile Gestalten bevölkern die phantastischen Erzählungen. Denn Helden können sehr unterschiedlich sein …

 

Rezension:

Die Fantasy-Anthologie Helden gibt es nur im Märchen entstand aus einem Geschichtenwettbewerb zu genau diesem Thema, wie Herausgeberin Ina Elena Pleines in ihrem Vorwort berichtet.

 

Nun ist der Begriff Held bzw. Heldin in der Fantasy nicht unüblich. Die Heldenreise beschreibt einen der meistbenutzten Story-Aufbaus des Genres. Was die Behauptung »Helden gibt es nur im Märchen« aber impliziert ist, dass jene Heldinnen und Helden genannten Figuren einem Realitätscheck kaum standhalten. Dreizehn Geschichten versuchen, die aufgeworfene Frage des Heldentums auf eigene Art und Weise zu beantworten.

 

Matthias Ramtke widmet sich in seiner Eröffnungsstory Tochterfluch dem Topos des gefallenen Helden.

 

Graf Viper von Vernaisse verlor Hab und Gut und schlägt sich als Söldner durch. Der Auftrag des angeberischen Barons Johrind von Eiberberg, dessen entführte Tochter zu befreien, kommt ihm gerade Recht. Doch der Baron stellt dem Einzelkämpfer einen Aufpasser zu Seite. Schon bald erweist sich, dass Lobald Irmère mehr ist als ein alter Handlanger des Barons …

 

Die atmosphärisch dicht erzählte Geschichte überzeugt vor allem auch durch die Darstellung des alten Kriegers in seiner tief verborgenen Hoffnungslosigkeit.

 

 

Trügerische Hoffnung von Lucian Caligo beschwört eine trostlose Zeitschleife herauf. Unendlich oft flieht ein Soldat vom Schlachtfeld und landet doch stets erneut im Schlammgewühl des Kampfes kurz bevor er erschlagen wird. Da trifft er auf ein seltsames Mädchen und in ihm keimt Hoffnung auf, dass sie zu zweit den Kreis sprengen können …

 

Die stark mit Horrormitteln arbeitende Geschichte beschwört die Grauen des Krieges herauf und wechselt dann in eine hoffnungsgetriebene Flucht vor diesen Schrecken. Das bittere Finale passt wunderbar in die Düsternis der Ereignisse.

 

Interessant ist zu sehen, wie sich Rudy Eizenhöfer, der ja eher aus liebevollen Kinderbuchbildern bekannt ist, diese Dunkelheit in seinen Illustrationen einfängt.

 

 

Der skurrile Beginn von Michaela Rothermels Der Jäger täuscht.

 

Voan ist Kopfgeldjäger und zusammen mit seinem Gehilfen Henma, der ein aufrecht gehender, intelligenter Hase ist, versuchen sie in der Umgebung einer kleinen Ortschaft einen aufstrebenden Nekromanten zur Strecke zu bringen.

 

Wohl mit Absicht erinnert die Erzählung lange an Geschichten von Fafhrd und der Graue Mausling erinnert und ähnlich wie Fritz Leiber belässt es Michaela Rothermel nicht bei einen flachen Fantasyplot.

 

 

Gewohnt flamboyant in Wort und Stil gibt sich Der Niedergang des Ritters Hasso von Christian von Aster. Mit hintergründigem Humor versetzt er fannische Umtriebe und großdeutsches Vereinswesen in die Ritterzeit.

 

 

Trollpatsch ist die Geschichte einer für Fantasywelten typisch ungewöhnlichen Freundschaft. Graf Kuschdir ist ein berühmter Held und Trolltöter, allerdings bindet er den Leuten nicht auf die Nase, dass sein Diener, Leibwächter und Freund Ogor eben ein solcher Troll ist. Vegetarier noch dazu und ausnehmend friedlich. Insofern ist der Auftrag, die entführte Prinzessin Celinee zu befreien, zwar ganz nützlich, um die marode finanzielle Lage des Grafen zu bessern, jedoch kaum ohne Blutvergießen zu erledigen. Oder gibt es eventuell eine Alternative?

 

Ulrik van Doorn erzählt seine lebenslustige Fantasygeschichte mit fröhlichem Charme und einer angenehmen Mischung aus Ironie und Liebenswürdigkeit.

 

 

Wendy Nikolaizik widmet sich in Von Helden und jenen, die keine sind der Frage, was eigentlich aus Siegfried dem Drachentöter wurde, nachdem er den Drachen erschlug und die Prinzessin zur Frau nahm.

 

Jahre später ziehen dunkle Schatten durch das Land und bedrohen seine Bevölkerung. Der alte Held sieht sich gezwungen, erneut gegen das Böse zu Felde zu ziehen. Doch angesichts seiner unheldenhaften Verfassung rekrutiert er auf dem Weg den Erstbesten: Froderick, der eigentlich nur nach einem langen Kneipenbesuch ins Bett wollte …

 

Der zynische Ton der Erzählung lässt schnell erahnen, dass Wendy Nikolaizik eine ganz besondere Sicht auf das Heldentum Siegfrieds für ihre Leserschaft im Sinn hat.

 

 

Auch Reni Nürnberger wandelt mit Die Insel in der Dunkelheit menschlichem Strebens.

 

Ein Mann erwacht ohne Erinnerungen, dafür mit Blut an den Händen in einer düsteren Gasse einer Hafenstadt. Etwas treibt ihn aufs Meer hinaus, zu einer einsamen Insel …

 

Auch wenn hier die eigentliche Geschichte etwas zu kurz kommt, überzeugt die spannungsgeladene Atmosphäre und die bitterböse Aufklärung.

 

 

Jane Steinbrecher entführt uns in Die Wachsfrist in eine ferne, urzeitlich geprägte Nomadenwelt. Beshma wird beschuldigt, den Mann ihrer besten Freundin angegriffen zu haben, in der Absicht, ihn zu ermorden. Zwar behauptet sie, es in Notwehr getan zu haben, da der Mann ihr Gewalt antun wollte, doch im Rat des Stammes neigt man dazu, sie für eine Lügnerin zu halten. So gibt man ihr Zeit, die Schuld des Mannes zu beweisen, die Wachsfrist – drei Tage benötigt eine rituelle Kerze bis zum Verlöschen. Sollte sie bis dahin den Beweis nicht erbringen können, wartet der Tod auf sie. Der ungestüme Elphe wird zu ihrer Bewachung bestimmt. Er soll die Frau zum Ort des Übergriffes begleiten …

 

Mit großem Gespür für die moralischen Dilemma ihrer Geschichte erzählt Jane Steinbrecher sehr dicht. Ihre Figuren erleben den Konflikt mit intensiver Körperlichkeit und verwischen immer wieder die Grenze zwischen Täter- und Opferschaft.

 

 

Um ein ethisches Dilemma geht es auch in Lars C. Rothkirchs Das Märchen von Prinzessin Anastasia und Prinz Pius.

Die kleine Gutenachtgeschichte für Prinzessin Yasmin erzählt von einem Staatsstreich. Prinz Pius meint, seine Schwester, die rechtmäßige Thronerbin, wäre verheerend für das Wohl des Staates und krönt stattdessen seine eigene Tochter …

 

Da die eigentliche Idee hinter dem Märchen erst am Ende offenbar wird, bleibt es selbst eher uninteressant.

 

 

Neun Eigenschaften eines Helden nannte einst der kleine Ildrion seinem Vater Orlan um zu erklären, was er unter heldisch verstand. Nun, Jahre später, kämpft der Vater verzweifelt um das Leben seines todkranken Kindes. Nur die heilende Kraft einer Phönix, die des Abends erscheint und kurz vor ihrer täglichen Wiedergeburt, den Jungen mit ihren heilsamen Schwanzfedern umarmt, bringt Linderung. Doch Orlan sucht in alten Büchern nach anderen Heilkräften, uralten, magischen Mysterien auf der Spur …

 

Zwischen Trauer, Liebe und dem wahnhaftem Drang Orlans, sich als Heldenvater zu beweisen, erzählt Jan Seichter diese eindringliche, schmerzhafte Geschichte.

 

 

Deutlich epischer ist Anke Krügers Nahal – Die Sehnsucht der Herzbäume angelegt.

 

In einer von der Dunkelheit beherrschten Welt wird jeder Funke Licht gnadenlos verfolgt. Auch in Nessa, eine jungen Sesshaften, regt sich das Licht. Darum raubt man sie, um sie mit anderen Lichtbegabten zu verbrennen, doch in ihrem Heimat-Kaer blieb eine Tochter zurück …

 

Dieser kleine Mythos könnte als Hintergrund für eine größer angelegte Fantasygeschichte dienen.

 

 

Kla’a und Dragh kamen als Ork-Waisen in ein Menschenkloster und wurden dort zu Heilern ausgebildet. Als sich der Krieg zwischen den Menschen und Orks ihrer Gegend nähert, müssen die frisch ausgebildeten Geschwister an die Front. Während die ältere Schwester Kla’a die Berufung in sich fühlt, den pazifistischen Ideen ihres toten Vaters zu folgen, spürt ihr Bruder schon bald den Wunsch, sich mit der Waffe in der Hand zur Wehr zu setzen …

 

André Geist bedient sich in seiner Geschichte Kriegshelden ungewöhnlicher Figuren, es gelingt ihm jedoch nur in Ansätzen, daraus auch eine Handlung zu schöpfen, die bekannte Pfade verlässt. Besonders das doch recht schnelle Umschlagen am Ende überzeugt nicht.

 

 

Den Abschluss der Anthologie darf der Herausgeber der Verlags Schwarzer Ritter, Hagen Tronje Grützmacher bestreiten.

 

In Namenlos lernen wir die beiden Goblins Lurrg und Gnat kennen, die sich in einer unwegsamen Sumpfgegend ihren kargen Lebensunterhalt damit verdienen, Aufträge für den fiesen Oger Naarz auszuführen. Lurrg mag diese Geschäfte am liebsten, wenn alles unkompliziert verläuft, sich die Opfer nicht wehren oder den Auftrag anderweitig verkomplizieren.

Und das verspricht leider ihr neuester Auftrag: Eine Menschenfrau durch den Sumpf zu einem Treffpunkt zu geleiten. Nicht nur, dass alle Menschen hässlich sind, der Frau hatte man auch noch ihren Namen geraubt. Eine lustige Reisegesellschaft sieht anders aus …

 

»Namenlos« lebt von den Gedanken des Goblins Lurrg, der eigentlich nur ein schlichtes Goblindasein führen möchte. Hagen Tronje Grützmacher zeichnet ihn in all seiner Fremdartigkeit doch auf eine gewisse Art liebenswert und fügt ihn damit mit großer Geste in den Heldenreigen der Anthologie ein. Ein lesenswerter und optimistischer Schluss.

 

Der Großteil der Geschichten wurde von Petra Rudolph stilsicher und pointiert illustriert. Die Unterschiede zu den Zeichnungen von Rudy Eizenhöfer sind deutlich, was den bebilderten Texten jeweils eine eigene Note verpasst.

 

Fazit:

»Helden gibt es nur im Märchen« überrascht durch die hohe Qualität der einzelnen Geschichten. Die Autorinnen und Autoren werfen teilweise sehr unterschiedliche Blicke auf das Heldentum, definieren Heldinnen und Helden auf vielfältige Art. Von zynisch bis augenzwinkernd ist alles vertreten und die ethischen Probleme des HeldInseins klingen auch nach dem Ende der Geschichten nach.

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Buch:

Helden gibt es nur im Märchen

Herausgeberin: Ina Elena Pleines

Gebundene Ausgabe, 378 Seiten

Verlag Schwarze Ritter, 2017

Cover: Rudy Eizenhöfer

Illustrationen: Petra Rudolph und Rudy Eizenhöfer

 

ISBN-10: 3981727282

ISBN-13: 978-3981727289

 

Erhältlich bei: Amazon

  • Matthias Ramtke – Tochterfluch

  • Lucian Caligo – Trügerische Hoffnung

  • Michaela Rothermel – Der Jäger

  • Christian von Aster – Der Niedergang des Ritters Hasso

  • Ulrik van Doorn – Trollpatsch

  • Wendy Nikolaizik – Von Helden und jenen, die keine sind

  • Reni Nürnberger – Die Insel

  • Jane Steinbrecher – Die Wachsfrist

  • Lars C. Rothkirch – Das Märchen von Prinzessin Anastasia und Prinz Pius

  • Jan Seichter – Heldenvater

  • Anke Krüger – Nahal – Die Sehnsucht der Herzbäume

  • André Geist – Kriegshelden

  • Hagen Tronje Grützmacher – Namenlos


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Erstellt: 09.12.2018, zuletzt aktualisiert: 08.02.2024 15:10, 17171