Huckleberry Finns Abenteuer (Autor: Mark Twain)
 
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Huckleberry Finns Abenteuer von Mark Twain

Rezension von Ralf Steinberg

 

Rezension:

Als Samuel Clemens beschloss, seine Autobiographie erst hundert Jahre nach seinem Tode veröffentlichen zu lassen, ging er ziemlich selbstbewusst davon aus, dass man sich dafür ohne Zweifel interessieren würde, da seine Werke und somit auch er als Person, weiterhin berühmt sein würden.

Nicht nur dieses Selbstbewusstsein ist erstaunlich sondern die Erfüllung dieser Voraussage. Ein wesentlicher Bestandteil dieses unvergänglichen Ruhmes sind Huckleberry Finns Abenteuer.

Man kann das Buch durchaus als Fortsetzung des zehn Jahre älteren Tom Sawyers Abenteuer und Streiche verstehen, wenn auch Hauptfigur und Erzählweise wechseln.

Huck Finn darf seine Erlebnisse selbst erzählen, ganz nach seiner Fasson und mit seinen Worten. Die mit Alltagssprache und Slang gewürzten Abenteuer erlangen so nicht nur eine stärkere Authentizität, sie wirken auch weniger pädagogisch. Jegliche Nachdenkerei findet auf der Grundlage von Huck Finns Bedenken und Überlegungen statt.

Und davon gibt es eine ganze Menge.

 

Der erste Teil ist davon geprägt, wie Huck Finn seine neue bürgerliche Lebensweise erträgt. Viele Dinge, wie Essensetikette, unbequeme Bekleidung oder sinnlose Kirchbesuche summieren sich zu einem immer größeren Unbehagen, da hilft auch Tom Sawyers Räuberbandengründung wenig. Als Huck von seinem trunksüchtigen und brutalen Vater entführt und einsperrt wird, kommt ihm durchaus der Gedanke, dass das Leben hier trotz der Schläge, im Vergleich zur Enge bei der Witwe Douglas und ihrer Schwester auch nicht schlechter zu ertragen ist.

Doch ihm ist klar, dass sein Vater nur hinter seinem Geld her ist, daher setzt er einen großartigen Fluchtplan um, an dessen Ende man ihm für tot halten muss.

 

So trifft er auf den Sklaven Jim, den er aus dem Haushalt der Witwe Douglas kennt und der ihrer Schwester gehört. Jim floh, als ein Verkauf in den Süden anzustehen schien und er lieber das Risiko auf sich nahm, in die Freiheit zu fliehen, als auf einer Plantage zu enden.

Eine gemeinsame Floßfahrt den Mississippi hinunter beginnt, als Huck in Erfahrung bringt, dass man Jim für seinen Mörder hält.

Die beiden werden Freunde, wobei Huck das selbst zunächst gar nicht bemerkt. Immer wieder wird ihm bewusst, dass er sich eines Verbrechens schuldig macht, indem er dabei hilft, das Eigentum einer alten Frau zu stehlen.

Erst sehr spät entscheidet er sich, lieber für dieses Unrecht in der Hölle zu schmoren, als Jim zurück in die Sklaverei zu verraten. Die typische Ironisierung und moralische Verdrehung gehören zu Twains großartigen Mitteln, die sich in »Huckleberry Finns Abenteuer von Mark Twain« an einigen weiteren Stellen wiederfinden. Mit Hilfe des moralisch eigentlich völlig außen vor stehenden Landstreicherjungen, lässt Mark Twain das Denken der weißen Bevölkerung lebendig werden. Nicht die offiziellen Verlautbarungen, sondern wir hören exakt das, was die Leute auf der Straße denken.

 

Mark Twains Schreibpause führte zu einem recht spannenden Bruch. Denn nach den fast romantischen Flussabenteuern, geht es sehr viel düsterer weiter. Durch einem Unfall mit einem Dampfer wird Huck vom Floß gespült und kann sich an gerade so Land retten. Hier wird bei einer Familie aufgenommen, die tief in einer Blutfehde steckt. Twain skizziert den Konflikt so böse und dramatisch, dass man seine ganze Abscheu vor dieser Tradition zu spüren bekommt.

 

Etwas weiter flussabwärts stoßen Jim und Huck auf zwei berufsmäßige Betrüger, die fortan mit ihnen reisen und in deren Betrügereien Huck eingebunden wird, während Jim zuerst als gefangener Sklave und später als Seuchenträger verkleidet auf dem Floß zurück bleibt.

Twain gibt diverse Einblicke in das Jahrmarkts- und Kleinstadtleben jener Jahre, ohne irgendwen zu schonen. Er macht sich ebenso über die Betrüger wie die Betrogenen lustig, während Huck einfach nur versucht, über die Runden zu kommen ohne unterzugehen.

 

Das ändert sich schlagartig, als einer der Betrüger heimlich Jim für Geld verrät. Huck beschließt, Jim zu befreien. Die abschließenden Kapitel sind wieder herrliche Jugendabenteuer, in den die Figur des Tom Sawyer noch einmal so richtig zum Zuge kommt. Die übertriebene Befreiung des Gefangenen gehört zu den witzigsten Veralberungen ähnlicher Geschichten. Umso bedrückender wirkt dabei natürlich das beständig über Jim aufziehende Unheil, der sich zunehmend vom Nebencharakter zur Hauptfigur entwickelt und immer menschlichere Züge annimmt.

 

Es ist erstaunlich, dass Mark Twain es tatsächlich schafft, diese so verschiedenen Teile zu einem Ganzen zusammenzuschnüren. Den Rahmen bildet dabei die Figur des unbändigen und vor allem unabhängigen Huckleberry Finns, der seine Freiheit liebt und eine unverfälschte Sicht auf das Leben am Fluss besitzt, die in großen Teilen ganz und gar Twains eigenen Auffassungen entsprechen dürfte. Insofern zeichnet Twain auch kein Sittengemälde, liefert keine Bestandsaufnahme, sondern vielmehr eine Reihe von Karikaturen und moralischen Ergüssen. Darüber hinaus aber vor allem eine so ernsthafte wie fröhliche Zeit voller Abenteuer, deren Zauber unverändert kraftvoll vom Mississippi herüber weht.

 

Fazit:

»Huckleberry Finns Abenteuer« von Mark Twain findet bis heute Feinde und Bewunderer. Nur wenige Geschichten vermitteln die Widersprüche ihrer Figuren und ihrer Heimat so charmant und bitterböse zugleich, voller Witz, Situationskomik, Abenteuer und vor allem so voll an Herzlichkeit und Sympathie. Wer sich mit Jim und Huckleberry Finn auf die Floßfahrt macht, erlebt nicht nur die Gefahren und Freiheiten einer solchen Reise durch den Süden der USA vor dem Bürgerkrieg, man wird auch ohne große Mühe Bestandteil einer nur scheinbar längst verflossenen Welt. Wovon Mark Twain vor über 130 Jahren berichtete, prägt das Land noch immer. Man sollte es in die Verfassung aufnehmen. Mark Twain hätte sicher nichts dagegen gehabt.

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Buch:

Huckleberry Finns Abenteuer

Original: The Adventures of Huckleberry Finn, 1884

Autor: Mark Twain

Übersetzerin: Lore Krüger

Einband: Elizabeth Shaw und Erich Rohde

Aufbau-Verlag, 1969

gebundene Ausgabe, 413 Seiten

Nachwort: Karl-Heinz Schönfelder

 

ASIN: B003WCFLLG

 

Erhältlich bei: Amazon

 


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Erstellt: 29.02.2016, zuletzt aktualisiert: 05.08.2023 15:12, 14342