Interview mit Thomas Thiemeyer
Redakteur: Markus Mäurer
Fantasyguide: Hallo Thomas, viele deiner Romane, so auch Korona, spielen in Afrika. Welche Beziehung hast du zu diesem Kontinent?
Thomas Thiemeyer: Für mich ist Afrika einfach ein wunderbarer Kontinent mit faszinierenden Kulturen, einer reichhaltigen Tier- und Pflanzenwelt und atemberaubenden Landschaften. Es ist die Wiege der Menschheit und der Ursprung all dessen, was wir heute um uns herum sehen. Das Zentrum dessen, was einst der Superkontinent Pangäa gewesen ist. Wenn man so will der Nabel der Welt. Dass es diesem Kontinent jetzt so schlecht geht, zeigt, wie weit wir uns von uns selbst entfremdet haben.
Fantasyguide: Warum ist es dem Westen scheißegal, was mit Afrika passiert? Die Rohstoffe werden von großen Konzernen ausgebeutet, die Gewässer von den Flotten der EU leer gefischt, die lokalen Bauern werden mit billigen westlichen Lebensmitteln ausgebootet, Hilfsgelder fließen in Militärhaushalte und Kinder arbeiten wie Sklaven auf den Plantagen der Schokoladenindustrie und anderer westlicher Firmen.
Thomas Thiemeyer: Du hast die Antwort praktisch selbst gegeben. Die Welt steht unter dem Zeichen der Globalisierung, in der immer mehr Reichtum von immer weniger Menschen angehäuft wird. Alles, was zählt ist der Profit und darunter haben vor allem die Armen und Ärmsten zu leiden. Doch dieses System wird irgendwann zusammenbrechen, dessen bin ich mir gewiss.
Fantasyguide: Wie siehst du Afrikas Zukunft? Wo liegen die Chancen des Kontinents?
Thomas Thiemeyer: In der Selbstständigkeit. Afrika muss lernen, sich vom Westen unabhängig zu machen und auf eigenen Füßen zu stehen. Das Land hat Rohstoffe, es hat Ressourcen und Menschen, die arbeiten wollen. Alles was fehlt ist eine intelligente Führung, die im Interesse der Bevölkerung handelt, anstatt sich immer nur selbst die Taschen zu füllen.
Fantasyguide: Wie fühlt es sich an, im afrikanischen Dschungel zu sein?
Thomas Thiemeyer: Sehr fremd und gleichzeitig sehr vertraut. Es ist, als stünde man im Inneren eines lebenden, atmenden Wesens. Überall um einen herum brodelt es, die Luft ist angefüllt mit den seltsamsten Gerüchen und den Geräuschen exotischer Tiere. Das pure Abenteuer!
Fantasyguide: Was macht die Faszination der Gorillas aus?
Thomas Thiemeyer: Du siehst ihnen in die Augen und du spürst, wie intelligent sie sind. Es sind mächtige Tiere - bis zu zweihundertfünfzig Kilo schwer und muskelbepackt - aber gleichzeitig sind sie sanft und friedlich. Du weißt, dass du als Gast in ihrem Revier bist und dass sie dich mit einem Schlag töten könnten, wenn du dich nicht an die Regeln hältst. Also benimmst du dich entsprechend und bekommst dafür die Möglichkeit sie aus nächster Nähe zu beobachten. Das ist etwas völlig anderes, als sie im Zoo hinter Gittern oder Glasscheiben zu beobachten.
Was mich fasziniert ist, wie ähnlich sie uns sind. Wir unterscheiden uns ja nur in 2% unseres genetischen Materials. Gorillas haben zum Beispiel eine sehr ausgeprägtes "Ich" Bewusstsein. Sie wissen, dass sie sterblich sind und dass sie eine Seele besitzen. Auf die Frage, was sie nach ihrem Tod erwartet, antwortete z. B. Koko, das Gorillaweibchen der Stanford Universität, in Zeichensprache: "Warm – Höhle – auf Wiedersehen."
Fantasyguide: Du hast ja direkt vor Ort in Afrika recherchiert und auch einige Gorillas besucht. Wie ist es dazu gekommen?
Thomas Thiemeyer: Ich habe eine Reise gebucht und bin dorthin geflogen. Ich würde jedem, der das Land und seine Gepflogenheiten nicht so gut kennt, raten, einen einheimischen Führer mit dabei zu haben. Er kennt die interessantesten Orte, kennt Land und Leute und weiß, wie man sich in brenzligen Situationen zu verhalten hat. Von denen es keine gab, wohlgemerkt. Uganda steht völlig zu Unrecht in Verruf ein feindseliges Land zu sein. Die Zeiten sind zum Glück vorbei.
Fantasyguide: In Korona schreibst du von der »beschleunigten Evolution«, die für eine schnellere Entwicklung von Arten verantwortlich sein soll, als es eigentlich möglich sein sollte. Gibt es die wirklich, oder ist das deine Idee?
Thomas Thiemeyer: Nein, das ist ein alter Hut. Wir alle kennen die Theorie der natürlichen Zuchtwahl, die besagt, dass in den Genen spontane Mutationen auftreten, dass die Umwelt Mutationen bevorzugt, die vorteilhaft sind und dass aus diesem Selektionsprozess die Evolution resultiert. Einfach und direkt. Es gibt aber ein Zeitproblem. Eine einzelne Bakterie, die Urform des Lebens, beispielsweise hat 2000 Enzyme. Wissenschaftler haben Schätzungen angestellt, wie lange es dauert, bis aus Zufallskombination genau diese Anordnung aus einer Ursuppe entsteht. Sie kamen auf eine Zahl zwischen 40 und 100 Milliarden Jahren. Die Erde existiert aber erst seit 4,5 Milliarden Jahren, erste Bakterien gab es so ab 3,5 Milliarden.
Wer also hat das Ganze beschleunigt? Das führt uns zu der Theorie komplexer Systeme. Komplexe Systeme, seien es nun Organismen, Gehirne, Wirtschaftssysteme oder Tierherden, sind selbstorganisierend. Ihr Verhalten kann nicht durch ihre Zerlegung in Einzelteile entschlüsselt werden. Sie basieren aus einem Zusammenspiel von Anpassung und dem Gleichgewicht zwischen Ordnung und Veränderung, einem Zustand zwischen Konservatismus und Anarchie. Das ist der Motor, der komplexe Systeme zwingt, immer komplexer zu werden und das weitaus schneller, als es rechnerisch machbar wäre. Das Aussterben ist übrigens ein unvermeidlicher Teil dieses Systems. Er schafft Platz für Neues.
Fantasyguide: Was hältst du vom Kreationismus, der ein sogenanntes Intelligent Design propagiert? Also eine Idee, nach der es einen Schöpfer gibt, der sämtliche Entwicklungen der Arten durchgeplant hat.
Thomas Thiemeyer: Schwachsinn. Das ist nur ein weiterer Versuch, die gesicherte Theorie der Entwicklung der Arten auszuhebeln und den lieben Gott ins Spiel zu bringen, ohne dabei die in der Wissenschaft gültigen Verfahrensweisen der Überprüfung und Beweisbarkeit zu durchlaufen. Verfahren, die bei allem was wir tun, Standard sein sollten. Denn nur mit ihnen lassen sich Wahrheit von Lüge und Theorie von Behauptung trennen. Klar, dass die Scharlatane auf dieser Welt davon nichts wissen wollen.
Fantasyguide: Der im Roman auftretende Eingeborenenstamm wird als Matriarchat geführt. Die Frauen sind an der Macht, die Männer sind wenig Wert und werden für niedere Arbeiten benutzt. Beziehst du die da auf ein reelles Beispiel? Gibt oder gab es solche Stämme?
Thomas Thiemeyer: Nun, bestes Beispiel sind vermutlich die Amazonen, die auf matriarchalisch organisierte Stämme bei den Skythen und Sarmaten zurückgehen. Es gibt aber auch Hinweise auf kriegerische Frauen in der nordischen Mythologie (Walküren) oder bei den Wikingern. Ob es am Amazonas (der daraufhin seinen Namen bekam) kriegerische Frauenstämme gegeben hat, ist allerdings fraglich.
Fantasyguide: Du scheinst ein Faible für fliegende Schiffe zu haben. Sie tauchen nicht nur in Korona und Die Stadt der Regenfresser sondern auch schon in deinen Illustrationen. Woher kommt diese Faszination?
Thomas Thiemeyer: Keine Ahnung, da musst du meinen Psychiater fragen ;-)
Segelschiffe haben mich schon immer fasziniert, aber die totale Freiheit wäre natürlich ein Schiff, das fliegt. Ungebunden und archaisch. Es ist einfach ein Bild, das mir gefällt.
Fantasyguide: Was ist dein nächstes Projekt?
Thomas Thiemeyer: Ich schreibe gerade an einem Buch für junge Erwachsene. Eine Liebesgeschichte vor dem Hintergrund unserer zusammengebrochenen Zivilisation. Spitzentitel Herbst 2011 bei Pan. Lasst euch überraschen.
Fantasyguide: Vielen Dank für das Interview.
Thomas Thiemeyer: Ich habe zu danken.
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