Irre Seelen (Autor: Graham Masterton)
 
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Irre Seelen von Graham Masterton

Rezension von Torsten Scheib

 

Rezension:

Mit Graham Masterton ist es irgendwie wie mit der Fußballnationalmannschaft: Da ist definitiv großes, gewaltiges Potenzial vorhanden, aber zum großen Rundumschlag, zu DEM großen Wurf klappt’s einfach nicht. Zumeist, weil beide letztlich ungewollt über ihre eigenen Beine stolpern. Insofern darf man dem Protagonisten von Irre Seelen, dem Auspuffexperten Jack Reed durchaus eine gewisse Ähnlichkeit zu seinem Schöpfer attestieren – wenngleich es für den recht sympathisch anmutenden Mann zunächst schlichtweg nach einer unglücklichen Fügung des Schicksals aussieht, als er auf einer regennassen Landstraße um ein Haar ein Kind überfährt, letzten Endes aber lediglich sein Kombi und ein unschuldiger Baum dran glauben müssen. Doch was wesentlich schwerwiegender ist: Wo ist das Kind entschwunden? Gab es überhaupt eins? Oder war Jack letzten Endes Opfers eines Schabernacks geworden; inszeniert von seinem übermüdeten Verstand? Handelte es sich womöglich nur um eine optische Täuschung?

Natürlich will Jack der Ursache auf den Grund gehen. Tatsächlich wird er fündig, bloß vollkommen anders als gedacht. Mitten im Wald stößt er auf ein gewaltiges Anwesen samt nicht minder imposantem Gebäude, beides vom Zahn der Zeit alles andere als verschont. Doch für Jack spielt die äußere Form eher eine untergeordnete Rolle. Stattdessen sieht er vor seinem geistigen Auge die Vision einer prachtvollen, majestätischen Ferienanlage fernab von dröger Holiday Inn-Optik. Nein, wer diesen Kasten richtig auf Vordermann trimmt, wird eines Tages die Schönen und Reichen begrüßen dürfen – mit Betonung auf letztere Gruppe. Fasziniert und zugleich begeistert betritt Jack schließlich das offenbar seit Jahrzehnten verwaiste Gebäude. Zweifel? Berührungsängste? Fehlanzeige. Selbstredend hat sich auch im Innern der Verfall breit gemacht und was bei ängstlicheren Naturen zum prompten Rückzug geführt hätte, entlockt bei Jack kaum mehr als ein beiläufiges Schulterzucken. Wären da nicht diese unheimlichen, unvermittelt auftauchenden Schleifgeräusche oder das vermeintliche Blinzeln einer Marmorstatue. Gewiss eine weitere Illusion – oder?

So oder so, hat Jack gar nicht vor, seine Entdeckung abzuschreiben. Weit gefehlt. Entgegen der Proteste seiner Frau Maggie – von der er sich immer mehr entfremdet, unter anderem auch dank seiner sehr guten Beziehung zu seiner Sekretärin Karen – beharrt Jack weiterhin an den Plänen. Selbst, nachdem der lokale Makler den einstigen Verwendungszweck des zukünftigen Edel Country-Clubs offenbart, denkt Jack nicht daran, klein beizugeben. Dann war es eben mal eine Heilanstalt. Und die 135 geisteskranken Patienten, die sich scheinbar in Luft aufgelöst haben? Schwamm drüber!

Doch ebendiese Einstellung ist der sprichwörtliche Tropfen, der das Fass in Sachen Maggie zum Überlaufen bringt. Wutentbrannt verlässt sie ihn, sucht Unterschlupf bei ihrer Schwester. Immerhin: sein aufgeweckter Sohn Randy steht weiter zu ihm und seinen Plänen. Doch all dies ändert sich schlagartig und in höchst dramatischer Form, als Jack gemeinsam mit Karen und Randy abermals die einstige Heilanstalt besucht – und sein Sohn auf einmal verschwunden ist. Ein Werk von einem oder mehreren Insassen, die noch immer im Dunkel des alten Gebäudes dahinvegetieren?

In der Tat. Bloß vollkommen anders als vermutet. Bei seiner Suche nach Randy und den Rätseln der alten Nervenklinik stößt Jack auf einen ganz speziellen und überaus unheimlichen Ex-Patienten, der offenbar imstande ist, sich dank Druidenmagie durch feste Materie bewegen zu können und den Jungen für seine wahnsinnigen Pläne braucht …

 

Vergleicht man Mastertons letzten Festa-Output, Das Atmen der Bestie, mit diesem Roman, gibt es keine Zweifel: der Mann hat zwischen den späten 70ern und ausklingenden 1980er Jahren verdammt viel dazugelernt. Schon die Länge von »Irre Seelen« unterstreicht dies. Ferner lässt sich Masterton Zeit, baut meisterhaft Spannung auf, die zudem vor grusliger Atmosphäre förmlich strotzt. Das der Roman abermals durch unvermittelte, heftige Gewaltausbrüche zusätzlich punkten kann, ist ein weiterer positiver Aspekt, da diese Elemente praktisch ausnahmslos überraschen und dadurch sehr nachhaltig wirken. Auch sind die Angriffe des druidischen Antagonisten (ein filmreifer Bösewicht von buchstäblich bodenloser Intensität!) samt seiner verrückten Entourage rasantes, meisterhaft inszeniertes Kopfkino, an dem es so gut wie gar nichts auszusetzen gibt. Das Masterton abermals vorhandene Religionen und Mythen sehr … offen interpretiert?

Schwamm drüber. Ist halt künstlerische Freiheit. Das Masterton diese gewichtigen Pfunde braucht, um einige nicht minder gewichtige Probleme auszutarieren, ist allerdings umso ärgerlicher. So mutiert sein zunächst glaubhaft in Szene gesetzter Jack Reed mit fortschreitendem Verlauf immer mehr zu einem arroganten Macho-Arsch, der zudem offenbar nicht viel Hirnschmalz sein Eigen zu nennen scheint. Das er das Kuscheltier seines Sohnes mit dem liebevollen Kosenamen »Kackwurst« getauft hat, ist noch eines der harmloseren Lowlights. Anders als sehr viele seiner mitunter vollkommen unlogisch erscheinenden Handlungen – unter anderem eben auch, seinen Sohn mitten in der Nacht (!) mit in ein baufälliges Haus zu nehmen. Klar, diese Handlung setzt im Prinzip den Horror erst richtig in Szene, doch hätte sich Masterton doch gewiss etwas bedeutend Plausibleres einfallen lassen können.

Auch wirken manche Abschnitte einfach unfreiwillig lustig, beispielsweise der Versuch, sich mittels billiger Verkleidungen ins hiesige Polizeirevier zu schmuggeln um Fluchthelfer spielen zu können. Das hat etwas von schlechter Screwballkomödie und wirkt absolut deplaziert. Doch wie bereits erwähnt, knallt uns Masterton im Gegenzug Passagen voller atemloser Rasanz und unglaublich intensiven Schrecken vor den Latz, die zudem dank ihrem Naturell gehörig an den Urängsten spielen. Ist »Irre Seelen« somit ein schlechter Roman? Weit gefehlt. Doch hätte auch dem Buch auch ein perfektes Gruselmeisterwerk werden können, wäre der Autor – na was wohl? – nicht ein paar Mal über seine eigenen Beine gestolpert.

 

Fazit:

Horrorfreunde werden mit »Irre Seelen« definitiv ein paar intensive, wohlig-schaurige Lesestunden verbringen, sofern sie die eine oder andere unschlüssige oder unfreiwillig komische Szene goutieren können. Insgesamt ist der Roman originell, rasant, unglaublich packend, strotzt vor Spannung – hat aber eben auch ein paar Schönheitsfehler. So wird’s dann leider nichts mit der Champions-League, wenngleich nur denkbar knapp. Trotz allem wären weitere Werke aus Mastertons Feder sehr zu begrüßen!

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Buch:

Irre Seelen

Originaltitel: Walkers, 1989

Autor: Graham Masterton

Übersetzerin: Sandra Schindler

Taschenbuch, 448 Seiten

Festa-Verlag, 19. November 2012

 

ISBN-10: 3865521649

ISBN-13: 978-3865521644

 

Erhältlich bei: Amazon

 

Kindle-Asin: B00A8NG008

 

Erhältlich bei: Amazon Kindle-Edition

Oje, das hat nicht geklappt, Elfenwerk! 202403282239061a5861ab
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Erstellt: 18.02.2013, zuletzt aktualisiert: 12.07.2019 15:15, 12977