Kaltgeschminkt (Autorin: Rona Walter)
 
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Kaltgeschminkt von Rona Walter

Rezension von Torsten Scheib

 

Rezension:

Harris McLiod ist alles andere als ein Glückspilz. Leicht Vollschlank, ein wenig schüchtern und verschroben, hat er beim anderen Geschlecht bestenfalls überschaubare Erfolge vorzuweisen. Berufstechnisch sieht es da auch nicht gerade ersprießlicher aus. Obwohl „nur“ Auszubildender in der Kunst des Leichenpräparierens, gönnt ihm sein Lehrmeister bestenfalls eine winzige Unterkunft, karges Essen und im Optimalfall einen Hungerlohn. Zum Leben zu wenig, zum Sterben …? Tja, auch so eine Sache. Denn auch mit den diversen Suizidversuchen will es einfach nicht so richtig klappen. Was also tun?

An dieser Stelle erweist sich das Schicksal dann doch als gnädig – und reichlich makaber. Doch was soll’s. Mit seinem neu gewonnenen Vermögen und der unverhofften Freiheit sucht Harris die Flucht – auch vor den hiesigen Behörden. Prompt tauchen große, geradezu visionäre Pläne vor dem inneren Auge des Präparators auf. Eigenes Unternehmen! Erfolg! Anerkennung!

Bis Harris die unerwartete Bekanntschaft mit James Beastly macht. Kein Schotte wie er, nur ein Exil-Brite, der in Hamburg der gleichen Profession nachgeht wie das Objekt seiner Begierde. Wozu die weite Anreise? Ganz einfach: James hat ein Problem. Ein ziemlich Großes. Denn eines seiner Objekte weigert sich partout, zurechtgemacht zu werden. Völlig gleich, wie sehr sich James auch bemüht, spätestens am nächsten Morgen hat der Leichnam eines Politikers erneut denselben, unschönen Zustand angenommen. Nicht unbedingt übermotiviert, tritt Harris daraufhin die Reise gen Hamburg an. Sein reichlich obskurerer Kollege hat nicht geflunkert, was den Toten betrifft. Doch weshalb hat sich James ausgerechnet für ihn entschieden? Welches Geheimnis verbirgt er? Und was ist mit jener geheimnisvoll-faszinierenden Schönheit namens Rachelle, die Harris gleichermaßen den Kopf verdreht und verängstigt? Ohne es zu wissen, wird er zu einer Schachfigur der gesichtslosen Drei . Der Einsatz? Seine Seele …

Sie guckt so ernst auf ihrem Autorenfoto – dabei hat Rona Walter eigentlich allen Grund zum breiten Grinsen. Warum? Weil ihr Debüt Kaltgeschminkt einfach (makabren) Spaß macht. Schon nach wenigen Seiten merkt der Leser, dass hier eine frische, unverbrauchte Autorin am Werk ist, die dazu ihren ganz eigenen Stil hat; fernab von der langweiligen und zumeist austauschbaren Konkurrenz, welche die Regale der großen Buchfilialen in Anschlag genommen haben. Dabei führt sie den Leser zu Beginn erstmal gekonnt aufs Glatteis. Denkt man zunächst an einen, im späten 19. oder frühen 20. Jahrhundert spielenden Gothic-Grusel mit leicht schwarzhumoriger Note (vergleichbar mit John Landis’ bitterböser Komödie Burke & Hare) beendet das erste Auftauchen von modernen Fahrzeugen und aktueller Technik diesen Irrtum. Was bleibt, ist jedoch dieser Hauch von klassischem Schaudern, gekreuzt mit der Prosa der Neuzeit. Ein Markus Korb oder Tobias Bachmann hätten es wirklich nicht besser hingekriegt. Ferner – und erfrischenderweise – entpuppt sich »Kaltgeschminkt« auch nicht als todtraurige, verkniffen-ernsthafte Angelegenheit. Ein überzeugender Hauch von zynischem Humor umschmiegt die Geschichte um einen Protagonisten, der dank seiner Normalität und der vorhandenen Ecken und Kanten gleichermaßen vor dem inneren Auge zu Leben erwacht wie dessen Mit- und Gegenspieler und der dank seiner Normalität nur umso sympathischer erscheint.

Die sehr gelungenen, präzise pointierten Dialoge tragen dazu auch ihr Scherflein bei. Sehr schön sind auch die diversen Handlungsorte gelungen. Das Rona Walter als Bürgerin der Stadt Hamburg kennt, macht Sinn. Immerhin lebt und arbeitet sie dort. Aber auch die schottischen Szenarien sind ausnahmslos plastisch und köstlich atmosphärisch geschildert, ohne dabei in altlehrerhafte Lektionen auszuufern. Eine Gefahr, welche ebenfalls bei den Termini der Leichenpräparierung umgangen wird, die desgleichen zu überzeugen wissen. Einzig die Handlung selbst hätte ein bisschen straffer und geradliniger sein können. Hin und wieder verliert sich die Autorin doch ein bisschen zu sehr in der von ihr erschaffenen Welt und braucht mitunter etwas, um wieder zurück auf den eigentlichen Pfad zurückzufinden. Doch sollte man ob dieses kleinen Makels keineswegs gleich das Schwert über ihrem rabenschwarzen Haupte zücken, sondern Nachsicht üben. Da haben ganz andere Autoren schon wesentlich Schlimmeres bei ihren Debütromanen verzapft. Auf jeden Fall muss man Rona Walter ebenso gratulieren wie dem noch sehr jungen, aber ungemein tatkräftigen Luzifer-Verlag, der nach Michael DissieuxGrauem Land einen weiteren Hochkaräter auf die LeserInnen loslässt. Wenn das mal kein Grund zum Lächeln ist …

 

Fazit:

Trotz kleinerer Kinderkrankheiten ist »Kaltgeschminkt« ein toller Einstand für Rona Walter, die schon mit ihrem Erstling beeindruckendes, düster-makabres Potenzial sowie einen gänzlich anderen, weil ureigenen Stil vorzuweisen hat. Man darf also gespannt sein, was sie sich als nächstes aushecken wird.

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Buch:

Kaltgeschminkt

Autorin: Rona Walter

Taschenbuch, 238 Seiten

Luzifer-Verlag Steffen Janssen, 5. April 2012

Titelbild: Timo Kümmel

 

ISBN-10: 3943408043

ISBN-13: 978-3943408041

 

Erhältlich bei: Amazon

 

Kindle-ASIN: B007GBOM7I

 

Erhältlich bei: Amazon Kindle-Edition

Oje, das hat nicht geklappt, Elfenwerk! 20240426152419b42d2923
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Erstellt: 20.05.2012, zuletzt aktualisiert: 30.10.2022 10:08, 12533