Lord Arthur Saviles Verbrechen (Autor: Oscar Wilde; Die Bibliothek von Babel Bd. 30)
 
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Lord Arthur Saviles Verbrechen von Oscar Wilde

Reihe: Die Bibliothek von Babel Band 30

 

Rezension von Oliver Kotowski

 

Rezension:

Lord Arthur Saviles Verbrechen, der dreißigste Band der Bibliothek von Babel, schließt die Reihe ab. Herausgeber J. L. Borges hat hierfür zwei Erzählungen und drei kleine Kunstmärchen des irischen Enfant Terribles Oscar Wilde ausgewählt. Während die 1887 entstandenen Erzählungen eher humorvoll sind, neigen die 1888 veröffentlichen Kunstmärchen eher zu Melancholie und – ein gänzlich unerwarteter Zug für den Ruf des Autors – sind zutiefst moralisch.

 

Zu den Geschichten im Einzelnen:

Lord Arthur Saviles Verbrechen (58 S.): Die Empfänge der dekadenten Lady Windermere sind immer ein großer Erfolg – stets fängt sie neue amüsante Moden an. Dieses Mal ist es die Chiromantie. Sie lässt ihren Mr. Podgers, einen kleinen, dicken Herrn mit spaßigem Kahlkopf – einen Chiromanten mit passendem Äußerem hatte Lady Windermere nicht an der Hand – die Zukunft aus der Hand verschiedener Gäste lesen. Gewitzt bringt er die Charaktere der Gäste auf den Punkt und macht noch ein oder zwei Andeutungen über deren Zukunft. Die Show sorgt für Heiterkeit. Bei Lord Arthur Savile wird Mr. Podgers aber kreidebleich und bringt nur einige anscheinend belanglose Dinge hervor. Unter vier Augen bietet Lord Arthur eine hohe Summe um die Wahrheit zu erfahren – er werde morden! Lord Arthur fühlt sich jämmerlich: Wie kann er seine geliebte Sybil heiraten, wenn das Schreckgespenst eines Mordes über ihn schwebt? Für seine Liebe beschließt er jemanden zu ermorden, damit der Fluch abgewandt wird.

Diese Krimi-Farce nimmt die unmoralische feine Gesellschaft auf die Schippe: In ihr wird der Mode, Höflichkeit und Vermeidung von Unannehmlichkeiten mehr Bedeutung beigemessen als Morden. Ob Mr. Podgers Aussage nun eine self-fulfilling prophecy oder eine echte Prophezeiung war, bleibt dem Leser überlassen – wichtiger ist hier der Aspekt der Dehnbarkeit von scheinbar klaren Aussagen.

Das Gespenst von Canterville (53 S.): Lord Canterville überlässt den alten Familiensitz Canterville Chase dem amerikanischen Gesandten Hiram B. Otis mit der Warnung, dass es dort spuke. Mr. Otis lässt sich davon allerdings nicht beeindrucken und bezieht mit seiner Familie das Schloss. Den jahrhunderte alten Blutfleck, so befindet er, kann man nicht in der Bibliothek belassen. Zum Glück gibt es ja "Pinkertons hervorragende Fleckenpaste" – ruckzuck ist der Fleck weg. Am nächsten Morgen ist er wieder da. Es entbrennt ein Wettstreit zwischen Familie und Geist, ob der Fleck dort hingehört oder nicht. Doch auch darüber hinaus verhalten sich Mitglieder der Familie Otis ungehörig gegenüber Spuk und Tradition – indes, so schnell gibt Sir Simon de Canterville nicht auf.

Diese melancholische Komödie um eine respektlose und dreiste amerikanische Familie und einen allzu menschlichen Geist gehört zweifellos zu den bekanntesten und zu recht beliebtesten Gespenstergeschichten.

Der glückliche Prinz (15 S.): Der glückliche Prinz ist eine mit Gold überzogene und Edelsteinen verzierte Statue. Er bietet den Stadtbewohnern viel Raum zur Projektion, wie er so schön und prunkvoll dasteht. Eines Abends rastet eine Schwalbe, die aufgrund einer Liebesaffäre zu lange in jenen Gefilden geblieben war, zwischen seinen Füßen. Sie bemerkt, dass der Prinz weint. Er berichtet ihr von dem Elend, dass er täglich mit ansehen muss, und bittet die kleine Schwalbe ihm zu helfen. Eigentlich will diese ja weiter nach Ägypten, doch eine Nacht wird sie bleiben um zu helfen.

Dieses melancholische Kunstmärchen befasst sich mit der Tugendhaftigkeit im Allgemeinen und der Barmherzigkeit im Besonderen.

Die Nachtigall und die Rose (10 S.): Ein Philosophiestudent hat sich unsterblich verliebt. Er würde so gerne mit seiner Liebsten tanzen gehen, sie in seinen Armen halten – aber dazu müsste er ihr eine rote Rose schenken und in seinem Garten wächst keine einzige. Die Nachtigall ist von der innigen Liebe sehr ergriffen und beschließt ihm eine rote Rose zu beschaffen – allein dafür müsste sie ihr Herzblut opfern.

Ein trauriges Kunstmärchen um die wahre Liebe.

Der selbstsüchtige Riese (7 S.): Der Riese besuchte einst einen Verwandten und als er zurückkommt, spielen Kinder in seinem wunderschönen Garten. Da er nicht will, dass andere an dieser Schönheit teilhaben, vertreibt er sie und baut eine hohe Mauer um sein kleines Paradies. Ohne Kinder aber mag die Natur nicht dort sein und so bleibt es Winter. Der Riese beginnt sich zu wundern.

Ein zwischen Melancholie und Fröhlichkeit schwankendes Kunstmärchen, das Gemeinschaft und Teilhabe thematisiert.

 

Die Erzählungen spielen im England des späten 19. Jh., doch besonders ausführlich werden die Schauplätze nicht beschrieben. Bei den Kunstmärchen ist generell weder klar wo oder wann sie angesiedelt sind – in Der selbstsüchtige Riese wird es schließlich mit einer Überraschung für den Leser noch geklärt. Es handelt sich bei ihnen also eher um Ambientes.

Die Stimmung wird vor allem über die recht genaue und ein wenig umständliche Beschreibung des Aussehens und des Gebarens der Figuren erzielt; besonders Lord Arthur Saviles Verbrechen braucht deswegen eine Weile um in Fahrt zu kommen. Da die Geschichten allesamt zum Situativen neigen, bleiben die Charaktere der Figuren relativ schlicht; während es in der ersten Erzählung eher exzentrische Typen sind, sind es in der zweiten eher zentrische Typen. In den Kunstmärchen sind – ganz wie für Märchen üblich – die Figuren exzentrische Typen.

Die Wunder sind nicht immer leicht einzuschätzen: In den Kunstmärchen sind es zumeist Fabelwesen: sprechende Tiere, Pflanzen und Gegenstände und ein Riese. Warum hat Wilde nicht einfach Menschen verwendet? Eine klare Antwort habe ich nicht – vielleicht konnte er die moralische Botschaft nicht mit menschlichen Protagonisten vereinbaren – diese neigen bei ihm zur Selbstsucht und Amoral, wenngleich es diese in verschiedenen Abstufungen gibt, von der leichten Neigung bis zur hemmungslosen Befürwortung. Ähnliches scheint für den Geist des Sir Simon de Canterville zu gelten. Ob Mr. Podgers überhaupt zum Wahrsagen fähig ist bleibt unklar; es scheint auch gar nicht der Punkt der Geschichte zu sein – vielleicht ist das Ergebnis der damit entstandenen todorovschen Phantastik sogar ein Zufall.

 

Die Plots sind recht unterschiedlich – vom Krimi über die Gespenstergeschichte hin zum Märchen – doch gemeinsam ist der auf Fragen der Moral liegende Fokus: Es geht um die Amoral der Reichen und Schönen, um Barmherzigkeit, Liebe und Nächstenliebe. Das Gespenst von Canterville thematisiert gleich Mehreres. Die amerikanische Familie Otis verkörpert den Geist der Moderne: das Ablehnen des Übernatürlichen, das Streben nach Ordnung und rein materiellen Werten, kurz die Rationalität. Der Geist des Sir Simon de Canterville verkörpert dagegen den Geist der unaufgeklärten Zeit: Romantik, Tradition, Aberglaube und Gewalt, kurz die Irrationalität. Zwar ist die alte Zeit deutlich liebenswerter als die neue, doch feststeht, dass sie abgelaufen ist – sie kann nicht zurückgeholt werden und sie soll es auch gar nicht. Wohl aber können einzelne empfindsame Personen der neuen Zeit die Tugenden der alten aufnehmen – diese sind dann die Hoffnung der Zukunft: Sie können und sollen gedeihen. Sieht man von der ersten Erzählung ab, dann sind alle Geschichten melancholisch; die Erzählungen sind dazu noch auf gewitzte Art humorvoll.

Erzähltechnisch sind die Geschichten wiederum nicht auffällig. Die Sätze neigen zur Schnörkeligkeit, was zur Stimmung gut passt – in Lord Arthur Saviles Verbrechen ist sie ironisch und süffisant, ansonsten klar melancholisch.

 

Fazit:

Ob englische High Society, amerikanische Gesandte, Bürger oder Studenten – die Menschen sind zu moralischen Verhalten nicht fähig. Mit diesen fünf Geschichten hat Borges einen würdigen Abschluss für die Bibliothek von Babel gefunden, denn Wilde verfasst keine Erziehungslektüre, sondern humorvolle oder melancholische Geschichten um seinen Standpunkt zu verdeutlichen. Nicht umsonst gehören die Werke des Dandys zu den Meisterwerken der Weltliteratur.

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Titel: Lord Arthur Saviles Verbrechen

Reihe: Die Bibliothek von Babel Bd. 30

Original: Ohne Angabe

Autor: Oscar Wilde

Übersetzer: Josef Thanner

Verlag: Edition Büchergilde (April 2008)

Seiten: 157-Gebunden

Titelbild: Bernhard Jäger

ISBN-13: 978-3-940111-30-2

Erhältlich bei: Amazon


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Erstellt: 09.07.2008, zuletzt aktualisiert: 04.11.2023 16:42, 6876