Necromancer (Autorin: Martha Wells)
 
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Necromancer von Martha Wells

Rezension von Oliver Kotowski

 

Rezension:

Nicholas Valiarde alias Donatien gehört zu den meistgesuchten Verbrechern der Stadt Vienne. Gerade jetzt begeht seine Bande einen gewagten Raub: Während die Schauspielerin Madeline den magischen Hüter des Anwesens der Mondollots ausschalten soll, wollen die Anderen durch die Kanalisation in den Keller eindringen um dort gelagertes Gold der königlichen Bank zu entwenden. Doch Nicholas will sich daran nicht bereichern, er will es Count Rive Montesq unterschieben. Der hatte einst den Philosophen Edouard Viller unschuldig an den Galgen gebracht: Der Ziehvater Nicholas hatte eine Methode gefunden, über die Sphären mit den Toten zu kommunizieren und sein Mäzen Montesq wollte die Erfindung für seine Erpressungen nutzen. Madeline muss allerdings feststellen, dass ihr jemand zuvorkam: Der Hüter ist bereits ausgeschaltet. Auch Nicholas stolpert über frische Leichen im Keller – und einen angriffslustigen Ghul. Ein Unbekannter war kurz vorher eingedrungen und hatte etwas gestohlen; was mag das sein? Denn das Gold lag unberührt im Geldschrank. Als Nicholas daheim noch überlegt, inwiefern der Zwischenfall seine Pläne beeinflusst, tritt der schmierige Spiritist Dr. Octave an ihn heran. Der scheint gut über Donatiens Aktionen informiert zu sein. Erst wird man sich nicht so recht einig, dann handgemein und schließlich liegt der Besucher tot auf dem Boden – allein es ist nicht Dr. Octave, sondern ein Golem der dessen Aussehen hat. Das stinkt nach Nekromantie – es gilt diesen Risikofaktor auszuschalten! Mit diesem Anliegen wird Nicholas in ein komplexes Geflecht aus Verschwörungen verwickelt.

 

Das Geschehen trägt sich fast ausschließlich in Vienne zu. Vienne ist eine der wichtigsten Städte Ile-Riens, welches vage an das Frankreich im fortgeschrittenen 19. Jh. erinnert. Man reist mit der Eisenbahn überland, telegrafiert, geht im Schein der Gaslampen die Straße entlang zur U-Bahn oder lässt sich von einer Mietsdroschke dorthin kutschieren – seine Feinde hält man mit einem Revolver in Schach. Herrscherin ist die Königin, die sich allerdings die Macht auf nicht näher dargestellte Weise mit anderen wie der Präfektur teilen muss. Dabei funktioniert das Setting nicht immer plausibel: Die Ermittler und Gerichte der Präfektur versäumen es nie ein Fehlurteil zu fällen.

Überraschenderweise wird dieses urbane Ambiente zwar ausführlich beschrieben, dieses aber so konturlos und vage, dass kaum ein konkretes Bild entsteht; an die plastischen Beschreibungen von China Miévilles Perdido Street Station, Mary Gentles Der Herr der Ratten oder Ian MacLeods Aether reichen die von Wells nicht heran.

Phantastische Elemente gibt es einige: Ghule machen die Kanalisation unsicher, Spiritisten nehmen Kontakt zu den Toten auf, Hüter schützen das Haus vor magischen Attacken und Magier verzaubern Architektur und Inneneinrichtung mit unterschiedlichen Folgen. Sieht man von Nekromanten ab, die ihre Energie aus Leid und Tod beziehen, gehören Magier zum Alltag. Doch irgendwie ist die Magie nicht alltäglich – man sollte annehmen, dass gewisse Grundkenntnisse der Magie für Gebildete zu Allgemeinbildung gehören, doch diese verlassen sich voll und ganz auf die Spezialisten: Die Nicht-Magier (und damit der Leser) wissen nie, was möglich und was unmöglich ist, was üblich oder unüblich ist.

Die Verquickung von Magie und Gesellschaft des späten 19. Jh. erinnert klar an Randell Garretts Lord Darcy-Reihe – die Handlung unterscheidet sich aber deutlich.

 

Die Anzahl der Figuren ist recht hoch: Da sind der Meisterverbrecher Nicholas Valiarde alias Donatien, Nemesis des Count Rive Montesq, und seine Bande, die aus dessen Freundin der Schauspielerin Madeline Denare, dem eloquenten Reynard Morane, dem Zauberer Arisilde Damal, dem wortkargen Dieb Crack und einigen mehr besteht. Dann sind da noch Inspektor Sebastion Ronsarde und sein Gehilfe Dr. Cyran Halle sowie zahlreiche Beamte der Präfektur. Ferner der unangreifbare Bösewicht Count Montesq selbst und dazu Dr. Octave und sein finsterer Verbündeter, der Nekromant. Es tauchen noch zahllose weitere Figuren auf und sie alle haben einen ausgeprägten Charakter. Die Figuren neigen dabei deutlich zur Exzentrik: Nicholas ist überaus gewitzt und zudem entstammt er einer wichtigen adligen Familie, Morane ist ein homosexueller ehemaliger Kavalleriekapitän, der vom Opium abhängige Arisilde ist der mächtigste Zauberer Viennes, Ronsade der beste Ermittler der Präfektur und der Nekromant – man ahnt es schon. Es überrascht wenig, dass die Figuren weder sonderlich vielschichtig, noch dass sie statisch sind – sie sind typenhaft.

Eine gewisse Ausnahme bildet Nicholas Valiarde. Er soll besessen von der Rache an Montesq sein, ein Soziopath, der bereit ist über die Leichen unschuldiger Kinder zu gehen. Doch das ist bloßes Wortgeklüngel – er ist stets besorgt, schießt nicht, weil er Unbeteiligte treffen könnte usw. Er ist ein Meister der Täuschung, mag es aber lieber, wenn mit offenen Karten gespielt wird. Als der harte Hund zum ersten Mal die Opfer des Nekromanten erblickt, muss er sich übergeben. Beim zweiten Fund blödelt die Gruppe albern herum. Eine plausible Psychologie sieht anders aus.

Nicholas selbst erinnert an einen anderen Meisterdieb und Verwandlungskünstler: Maurice Leblancs Arsène Lupin. Doch wo Arsène zur anderen Person wird und stets gewitzt ist, setzt Nicholas nur eine Maske auf und witzelt herum. Das Gespann Ronsarde und Chronist Dr. Halle erinnert natürlich an Arthur Conan Doyles Sherlock Holmes und Dr. Watson – doch während Holmes seinen Scharfsinn den Lesern demonstriert, wird dem Leser nur von Ronsardes Scharfsinn erzählt.

 

Der Plot ist ein unfokussierter Thriller: Nicholas will sich an den Bösewicht Montesq rächen. Schnell kommen ihm aber Dr. Octave und der Nekromant in die Quere. Erst wenn diese beseitigt sind, kann man sich wieder um den Count kümmern. Nun setzen die Nachforschungen ein, bei denen Ronsarde, Montesq und politische Ränke behindernd wirken. Bei den Ermittlungen wechseln sich kommunikative Szenen mit actionreichen Szenen ab.

Die Spannungsquellen sind ebenfalls breit gestreut: Das Rätsel um den Nekromanten, die vielen Action-Szenen, skurrile Figuren, humorige Dialoge und grausige Funde. Meiner Ansicht nach gelingt es ihr nur bedingt diese Momente zu nutzen: Beim Rätsel kann man nicht mitraten, die Action-Szenen sind Digresse, der Humor ist nicht sonderlich geistreich – ein generelles Problem der Dialoge – und wirkt oftmals der Szene entgegen; wenn die Protagonisten herumblödeln, während sie in einer Todesfalle sitzen oder zerfleischte Leichen auffinden, dann mindert dieses erheblich die Bedrohlichkeit bzw. Grausigkeit der Szene.

Der Plotfluss ist recht langsam, was mit den vielen Digressen, ausführlichen Beschreibungen und z. T. redundanten Informationen zusammenhängt.

Necromancer gehört offenkundig zu den Romanen, die Wells Ile-Rien-Setting verwenden. Es ist nach der Chronologie des Settings der zweite von bisher fünf Romanen – inhaltlich ist er allerdings komplett in sich geschlossen.

 

Die Handlung entwickelt sich progressiv, wenn auch mit vielen regressiven Momenten wie Rückblenden, an einem Strang entlang, der aus der personalen Perspektive Nicholas' erzählt wird. Daneben gibt es einige Szenen, die aus der Perspektive Madelines etc. geschildert werden.

Die Erzähltechnik weißt einige Schwächen auf: Eine Reihe von Dialogen sind lahm und bisweilen ist eine bis eineinhalb Seite an Reflektionen zwischen aufeinander folgenden Bemerkungen eingeschoben. Außerdem fehlt der Autorin das Gespür für Lücken, Zusammenfassungen und Beschreibungen. Zusammenfassende Schilderungen werden kaum gebraucht, wenn, dann in der direkten Figurenrede. Erzählerrede ist in der Regel beschreibend. Da sich die Handlung über einige Zeit hinzieht, gibt es Sprünge, die oftmals nicht erläutert werden. Symptomatisch für dieses Problem ist eine Szene, die bis ins kleinste Detail beschrieben wird – doch als Madeline flucht, steht da nur: "Madeline stieß einen wüsten Fluch aus." Für das Verständnis der Figur und die Authentizität der Szene wäre der konkrete Wortlaut sehr hilfreich.

Der Stil ist nicht immer passend – Nicholas wird z. B. häufig "Nic" gerufen – was durch die Übersetzung noch verstärkt wird: Die Autorin sucht die Nähe zum Französischen, doch der Bezirk heißt "Philosopher's Cross", die Straße "Street of Flowers", das Anwesen "Coldcourt" und die Zeitung "Review of the Day" – wen wundert es da noch, wenn auf Seite 477 die Königin einfach die Queen bleibt?

 

Fazit:

Der Meisterverbrecher Valiarde plant eine perfide Rache am Mörder seines Ziehvaters – doch zuvor gilt es den Nekromanten zu demaskieren und auszuschalten. Nach meinem Dafürhalten ist dieser Fantasy-Thriller recht schwach: Die vielen Digresse und ausführlichen Beschreibungen verlangsamen ihn, Figuren und Setting sind nicht immer plausibel und Stimmung und Stil könnten kohärenter und durchgeformter sein. Wer das Betuliche und Gemäßigte nicht scheut oder gar schätzt, die liebenswerten, skurrilen Eigenschaften höher bewertet als die psychologische Glaubwürdigkeit und die Feudalismus-light-Settings satt hat und mal Industrialismus-light ausprobieren will, mag sein Glück mit diesem Roman versuchen.

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Necromancer

Reihe: Ile-Rien

Original: The Death of the Necromancer

Autorin: Martha Wells

Übersetzer: Friedrich Mader

Heyne, Mai 2008

Taschenbuch, 702 Seiten

Titelbild: Franz Vohwinkel

 

ISBN-13: 978-3-453-52412-5

 

Erhältlich bei: Amazon


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Erstellt: 01.06.2008, zuletzt aktualisiert: 26.03.2024 18:58, 6616