Parasitengeflüster herausgegeben von Marianne Labisch und Sven Klöpping
Fiese SF-Storys
Rezension von Ellen Norten
Diese Rezension erschien zuerst auf Kultura Extra.
Schmarotzer mit intelligentem Hintergrund
Parasiten leben auf Kosten ihres Wirtes, wer dieser Wirt auch immer sein mag. In der vorliegenden Anthologie gibt es menschliche Wirte und sie werden auf vielerlei Art und Weise von Parasiten befallen und es gibt Menschen, die Schmarotzer sind, nicht im übertragenen Sinn, sondern ganz konkret. In The Extinction of Beloved Parasites von Arno Endler wird sogar die gesamt Menschheit als solche tituliert, da sie die Erde ausbeutet. Soweit der reale Hintergrund, die Folgen darauf sind jedoch in keiner Weise zu erahnen.
Eine reale Grundlage setzt auch Diane Dirt in Faktor H.
Ihr habt uns in Reagenzgläser gesteckt, Bestandteile extrahiert und uns als Medizin benutzt. Dann habt ihr die Mutationen in Gang gesetzt und der Prozess lief in uns ab, ohne Reagenzglas. S. 69
Der Prozess hat zarten und eher empfindlichen Moosen ein fatales, wenn auch zart daherkommendes Eigenleben beschert. In den Tiefen des Amazonas besiedeln diese Moose nun Menschen. Dabei verschaffen sie den Betroffenen zwar ein angenehmes Körperklima und andere komfortable Besonderheiten. Doch der Preis für die ungewöhnlichen Errungenschaften wird auf den zweiten Blick deutlich.
Die meisten Parasiten in der Anthologie stammen von anderen Planeten, sind fremde Intelligenzen, Aliens, wie es von einer SF-Anthologie zu erwarten ist. Viele von ihnen übernehmen deutlich brutaler als die irdischen Moose den gesamten Planeten. Verschiedene ausgefuchste Strategien führen mehr oder minder zum Erfolg. In dieser Hinsicht ähneln sich einige der Geschichten, was der relativ enggefassten thematischen Ausschreibung des Sammelbandes geschuldet ist. Dennoch sind diese Strategien interessant zu verfolgen; Stimmen, die im Kopf des Menschen das Kommando übernehmen oder dies zumindest versuchen. Denn es kommt auch zu Verwechslungen, oder der Parasit wird an seiner Schwachstelle erkannt und bekämpft, wie etwa bei Stan von Daniela Herbst. Der eigentlich sogar recht lustige Parasit wird vom Wirt mit seinen eigenen Ängsten zur Strecke gebracht.
Pik ist das bewegliche Rauschgift von Melanie Ulrike Junge, das zwei Konsumenten in den Wahnsinn treibt. Ist es Droge, ist es ein Parasit. Eine letztendliche Gewissheit erhalten wir nicht.
Das Buch verzichtet bei seinen »flüsternden« Parasiten auf den schaurig-schönen Ekelfaktor, der lediglich um seiner selbst willen den Leser fesseln will. Die Parasit-Wirtsbeziehungen sind vielfältig und intelligent erdacht und sie sind in sich logisch. Interessant ist in diesem Zusammenhang auch der aktuelle wissenschaftliche Bezug. So werden Bornaviren heute als Ursache für Depressionen diskutiert, Streptococcen für Ticks, Waschzwang und Hyperaktivität und Toxoplasma, ein weitverbreiteter Einzeller scheint eine Schizophrenie (mit)verursachen zu können – Stimmen im Kopf.
Das Parasitengeflüster der Anthologie macht sich ebenfalls in den Köpfen breit, mal für den Befallenen schier unverständlich, mal in eher angenehmer Art, bewirkt es immer, dass sich im Leben des Infizierten etwas unumkehrbar ändert und diese fiktiven Ereignisse sind in jedem Fall lesenswert.
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