Raumanzüge & Räuberpistolen
Fantastische Kurzgeschichten von Jasper Nicolaisen, Jakob Schmidt und Simon Weinert
Rezension von Ralf Steinberg
Verlagsinfo:
Seit 2009 tritt die Lesebühne Schlotzen & Kloben – das sind Jasper Nicolaisen, Jakob Schmidt und Simon Weinert – an jedem ersten Donnerstag des Monats in der tristeza in Berlin auf. Der vorliegende Band enthält ihre besten Geschichten, in denen es unter anderem um bährenohrige Prinzessinnen, Metabolismus-Invertiten von Torus-5 und den Tod, der ohne seinen Stachel ganz deprimiert wird, geht. Texte, die so lange im Genretopf geschmort haben, bis etwas daraus geworden ist, das so im Rezept garantiert nicht vorgesehen war.
Rezension:
Lesebühnen sind eine eigene Welt. In Berlin gibt es eine umtriebige Szene, die je nach Potential einen festen Stammkreis an Fans und Zuhörern rekrutieren kann. Die Autoren wachsen mit den Publikum und unterliegen dem Rausch des Zuspruchs.
Klar, wer in irgendeiner Berliner Bruchbude vor ItBoys’n’Girls auftritt, will keine Bionade oder Afri-Cola ins Gesicht bekommen. Selbstredend, dass auch öffentlich vorgetragene Texte eigenen Regeln unterliegen und nicht jeder Hauch der Postmoderne rezitierbar ist.
Die jungdynamischen Macher der Lesebühne Schlotzen & Kloben stehen noch am Anfang ihres Siegeszuges durch die großen Säle der Stadt. Das Raumschiff tristeza ist aber auch gar nicht trist, sondern ein fein morbider Klangraum für die Texte der Autoren und das Bier dort ist bezahlbar. Das soll natürlich nicht bedeuten, es sei notwendig, sich die Texte oder Autoren schön zu trinken - der schriftlich fixierte Beweis liegt nun in Form des Bändchens Raumanzüge & Räuberpistolen vor.
Als erstes drängt sich die Frage auf: "Wahnsinn! was ist denn DAS jetzt?" - nun die Anthologie vereint Texte ganz unterschiedlicher Stile und verweigert sich einer Schubladisierung, im besten Sinne sind alle Beiträge phantastisch. Doch betrachten wir die Werke näher:
Nach einem sprachlich ausgefeilten Lobgesang der Konkurrenz (Name der Redaktion bekannt), beginnt Jasper Nicolaisen mit dem märchenhaften Die Prinzessin mit den Bährenohren. Nun könnte man behaupten, der Text sei eine beißende Satire auf Diskriminierung und die Boulevardpresse, doch so einfach geht der Autor mit seinem sozialkritischem Werk nicht um. Vielmehr offenbart er uns die Abgründe zufälliger Ereignisse, die eine seltsame Kette von erstaunlichen Unmöglichkeiten bilden und wohl eher dazu gedacht sind, dem skeptischen Leser ein Grinsen ins Gesicht zu zaubern, als tiefere Sinne zu transportieren. Das romantische Ende stimmt auf die nachfolgenden Texte mit brutaler Ehrlichkeit ein.
Nach dem sanften Märchen darf Jakob Schmidt ein Loblied singen. Mr. Swift ist eine stilistisch astreine Hommage an den Abenteuerroman. Es finden sich Bezüge zu Verne und Melville, im Besonderen zu 20000 Meilen unter den Meeren und Moby Dick und auch der titelgebende Name erinnert nicht ganz umsonst an der Schöpfer von Gullivers Reisen. Wäre die Erzählung ein Roman, ließe sich vielleicht postulieren: „Schmidts Roman warnt davor", dass wir bedenkenlos die Natur plündern, obwohl wir auch nur ein unbedeutender Bestandteil sind, aber obwohl diese Intention durchaus aufspürbar ist, steht im Mittelpunkt des Schriftstellerbestrebens die Imitation des klassischen Duktus. Dies gelang so deutlich, dass man sich problemlos eine Ausdehnung auf Romanlänge vorstellen kann, zu der oben angerissenes Rezensionsfazit dann passen würde.
In die Abgründe von Einsamkeit und Sehnsüchten entführt uns Simon Weinert in Mein einziger Freund. Weinert übernimmt in der Anthologie die Rolle des künstlerisch Extrovertierten, zumindest für jene Leser, die seine literarischen Experimente nicht mit Vergleichstexten belegen können. Auch in dieser skizzenhaften Geschichte offenbart sich der Reiz des Abseitigen. Bis zum Schluss muss man sich die Realität des Textes selbst denken, verwirrt der Autor absichtlich jede geradlinige Struktur und auch die Pointe am Ende kann man nicht ohne weiteres als solche hinnehmen. Besonders Leser, die mit dem beschriebenen Alleinsein vertraut sind und das mühsame Abstrampeln letzter Freunde an der eigenen Verzweiflung kennen, verstehen den Autor. Das Fazit jener Gebeutelten könnte lauten: Weinert zeigt uns eine Welt, die näher an der unseren ist, als uns lieb sein kann.
Man kennt es aus dem täglichen Leben - oft genug liest man Bücher, in denen die Figuren höchstwichtige Dinge tun, ohne dass man versteht, warm das nun so wichtig ist. Dieser Frage scheint Jasper Nicolaisen mit Warum das verwunschene Juwel von Zagghot noch immer darauf wartet, geraubt zu werden. nachspüren zu wollen. Diese klassische Fantasygeschichte öffnet sich zu einer kleinfeinbösen Posse, die sich selbst zerstört. Ein ziemlich offensichtlicher Lesebühnentext, erschaffen um gesprochen zu werden.
Fragen über Fragen hinterlässt auch der zweite Text von Jakob Schmidt. Die Gruft der Urgeluffen ist eine ambivalente Science Fiction Geschichte, die sich mit praktischen Problemen der Individualverkehrs im Weltraum beschäftigt. Die humorvolle Note hat einigen Reiz und auch das sarkastische Ende gibt Anlass zum Schmunzeln, aber der neugierige Leser dürfte nach der Beantwortung der offenen Fragen lechzen.
Da trifft es sich gut, wenn Simon Weinert gleich alle Fragen beiseite schiebt und seiner grotesken TOD-Persiflage stachel die Zügel schießen lässt. Erneut zwingt er den Leser, sich auf Ort und Handlung einzulassen, um dann mit süffisanten Dialogen belohnt zu werden. Auch dieser Text ist deutlich für das sprachliche Podium der Lesebühne erschaffen worden und dürfte vorgetragen ungemein amüsant sein.
Die letzte Runde Geschichten eröffnet Jasper Nicolaisen mit Hausaufgaben. Diese skurrile Nah-Fantasystory besticht durch eine homoerotische Handlung voll unschuldigem Sex und knallharten Kämpfen im Dungeon der Jugend. Mehr als schräg.
Auch Jakob Schmidt ist mit einem Märchen vertreten. Die drei Gaben des Waldes spielt mit typischen Genre-Klischees, weigert sich aber konsequent irgendwelche Lese-Erwartungen zu erfüllen. So bleibt denn auch das Urteil unentschlossen - so richtig zünden will die Geschichte nicht.
Simon Weinert verabschiedet den Leser mit einer inzwischen gewohnt irritierenden Parabel- Ein Sieg. Die Realitäten sind so verschroben wie die Hauptfigur, deren wahrscheinlich tiefenpsychologisch angelegtes Problem mit dem Vater zu tun hat, der auf recht unterschiedliche Arten zum Krüppel und zum Bezugspunkt seines Sohnes wurde. Der Plot lässt sich nur schwer kommentieren, aber es geht irgendwie um Frieden und Socken. Experimentelle Lektüre für die verwirrten Momente im Leben.
Abgerundet wird das feine Bändchen durch stilistisch passende Illustrationen von Dominik Herrmann und Kurzvorstellungen der Autoren.
Fazit:
Berlin ist eine Reise wert, wer es aber nicht schafft, sich persönlich von der Qualität der Texte der Berliner Lesebühne „Schlotzen & Kloben“ zu überzeugen, kann mit dem Bändchen „Raumanzüge & Räuberpistolen“ ausprobieren, ob er mit dem Humor und der stilistischen Freiheit der Autoren zurecht kommt. Anlässe zur Freude sind zumindest genügend vorhanden, selbst wenn man kein unbedingter Phantastik-Fan ist, ein schönes Betthupferl ist das Bändchen allemal.
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