Robinson Crusoe - Erster und zweiter Band (Autor: Daniel Defoe)
 
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Robinson Crusoe - Erster und zweiter Band von Daniel Defoe

Rezension von Ralf Steinberg

 

 

Verlagsinfo:

Der erste und zweite Teil des berühmten Romans von Daniel Defoe in einer einbändigen, illustrierten Ausgabe: Die Geschichte von Robinson Crusoe, der auf einer einsamen Insel um das nackte Überleben kämpft, zog Generationen von Lesern in ihren Bann und hat bis heute nichts von ihrer Faszination verloren. In einer hochwertig ausgestatteten Sonderedition der berühmtesten Abenteuerklassiker lässt sich teilhaben am wohl bekanntesten Schiffbruch der Literaturgeschichte.

 

Rezension:

Die Abenteuer von Robinson Crusoe auf seiner einsamen Insel sind Bestandteil der abendländischen Kultur, trotz der fast 300 Jahre, die seit ihrer Veröffentlichung verstrichen sind. Der große Zeitraum erklärt auch, warum wir das Werk inzwischen fast ausschließlich auf einen Teil reduzieren, eben jenem Inselaufenthalt. Ähnlich ergeht es Gulliver, der heute eher mit Lilliput in Verbindung gebracht wird als mit allen vier Reisen.

Dabei ist es verständlich, dass die Abenteuerstory für die breite Masse der Leser reizvoller ist, als der Rest. Doch worum geht es in diesem unbekannten Rest?

 

Um das herauszufinden lohnt sich ein längerer Blick in das schmucke dtv-Bändchen, dass neben dem Inselabenteuer auch den zweiten der drei Teile von Robinson Crusoe enthält.

Im Gegensatz zu den bekannteren und gekürzten Jugendfassungen beginnt das Werk mit einer breiten Vorgeschichte, die, so merkt man jedoch erst später, eben sowenig Vorgeschichte, wie der Inselaufenthalt Hauptbestandteil der Reiseabenteuer ist. „Robinson Crusoe“ gilt heute unter anderem deshalb als erster moderner Roman, weil er Reisebeschreibung, Abenteuergeschichte und ethische Überlegungen in einer Geschichte zusammenfasste. Dabei stellte er ganz im puritanischen Sinn die Tatsachen ins Zentrum, hielt sich nicht mit Ausschmückungen auf und berichtete von alltäglichen Dingen. Das gesamte Leben Robinsons auf der Insel besteht aus Tätigkeiten, die der zeitgenössische Leser um sich herum ausgeübt sah, die jedoch nicht Bestandteil einer erbaulichen Lektüre waren.

 

In seinem Essay Robinsons Lektionen am Ende des Buches untersucht Hans-Rüdiger Schwab diese Rahmenbedingungen und stellt eine umfangreiche Analyse zur Verfügung, die weitere Aspekte des Romans beleuchten, die sonst vielleicht ein falsches Urteil hinterlassen könnten.

 

Da wäre zum Beispiel die Rezeption Robinsons als pädagogischer Ratgeber. Die Fragen, was wird aus dem Menschen, wenn er allein zurecht kommen muss, welche Hilfsmittel benötigt er, ist diese Einsamkeit Asyl oder Exil?

Von Jean-Jacques Rousseaus Emile oder über die Erziehung bis zu den Robinsonaden Jules Vernes beschäftigte diese Extremsituation die Autoren. Dabei stellte gerade der Mangel kein wesentliches Problem für Robinson dar. Im Gegenteil, er konnte nicht nur eine ganze Menge aus dem Wrack retten, er fand zudem auf der Insel fast alles was er brauchte - er musste es nur nutzen und das tat Robinson auch. Um dieses Tun ging es Defoe. Die Notwendigkeit zwingt Robinson zu handeln, zu erforschen, zu erfinden, Dinge wieder zu entdecken, die es ihm ermöglichen, seine verschiedenen Projekte durchzuführen.

 

Schwab weist darauf hin, dass Robinson quasi die Menschheitsgeschichte im Schnelldurchlauf nachlebt. Vom Sammler und Jäger über Ackerbau bis hin zur Welterforschung und Kolonisation - und der religiösen Missionierung, ein für Defoe besonders wichtiger Entwicklungsschritt der Menschheit. Die Gottesfürchtigkeit erst macht den modernen Menschen Defoes zu einem zivilisierten Wesen, der Befriedigung in der Arbeit findet und dafür durch Gottes reichhaltiges Wunderwerk belohnt wird. Dabei wird deutlich, dass es durchaus nicht unbedingt des Geldes bedarf. Robinson stellt nur soviel her, wie er benötigt, für das Mehr hat er keinen Bedarf, im Gegenteil, Robinson lernt dadurch erst wirklich seine Bedürfnisse kennen. Die Umstände lehren sie ihm.

Dieser puritanische Geist durchdringt nicht nur das Inselabenteuer, sondern auch den Rest der Lebensbeschreibung Robinsons. Stets kann er durch Arbeit einer Notlage entkommen. Er gibt nie auf. Damit bleibt er weiterhin seines Glückes Schmieds, aber auch Verursacher seines Unglücks. Selbst wenn er etwas als Strafe Gottes begreift, so erkennt er dennoch in sich den Schuldigen dafür und die Strafe gerecht. Diese Erkenntnis ist direkte Folge des Handelns. Stets darf Robinson Fehler machen, denn erst durch sie kann er begreifen. Was wäre Erlösung ohne Sühne und Sühne ohne eine zugrundeliegende Verfehlung.

Dahinter steckt eine Ethik, die sich auf Vernunft beruft. Das Notwendige wird getan und die Konsequenzen getragen.

 

Für Defoe führt dieser Selbstfindungsprozess logischerweise zum wahren Glauben. Dabei bleibt Robinson durchaus demütig und tolerant - ganz besonders das Massaker der Spanier an den amerikanischen Eingeboren spielt im gesamten Roman immer wieder als negatives Beispiel eine große Rolle, selbst in jenen Szenen, da Robinson selbst offensiv gegen „heidnische“ Priester und Götzen vorgeht. Hier sieht er sich natürlich im Recht. Denn das zeichnet ihn als Protestant ja aus - die individuelle Sicht auf den Glauben, die keine priesterliche Interpretation benötigt und als Zeichen der neuen Zeit eine harmonische Beziehung zum wirtschaftlichen Erfolg eingeht.

 

Neben der religiösen Ebene, die heute Leser durchaus quälend langweilig erscheint, bietet Defoe im zweiten Teil einen sehr spannenden Abriss der Kolonisationsgeschichte. Man erfährt ungeheuer viel über das Selbstverständnis europäischer Händler. Wie sie etwa China sehen oder aus welchen Vorteilen sie das Gefühl beziehen, über den anderen zu stehen. Wer den Robinson liest, kommt nicht daran vorbei, sich über seine Beziehung zu den Wilden, den Kannibalen und ganz besonders zu Freitag zu machen. Das christliche Selbstverständnis jener Zeit wird hier in all ihren Ausprägungen deutlich. Der Erziehungs- und Missionierungsgedanke ebenso, wie die grundsätzliche Herabsetzung anderer Kulturen und Religionen, deren Vernichtung und Bestrafung ebenso wie das Streben nach ökonomischem Erfolg durch den Glauben sanktioniert ist.

 

Sicher kommen die eher typischen Reiseerlebnisse Robinsons nicht an die spannungsvolle Wirkung des Insellebens heran, aber sie runden diese erst wirklich ab. Man entnimmt ihr mehr, wenn man alles gelesen hat.

Ganz besonders deutlich wird es, wenn man sich Robinson als erfolgreichen Geschäftsmann ansieht. Auf seiner Insel wurde er zum Monarchen, in der freien Welt jedoch zum Sinnbild des modernen Kapitalismus, des unabhängigen Unternehmers, der durch Fleiß, Planung und Effektivität seine Konkurrenz aussticht. Hier werden die puritanischen Verhaltensregeln zum Motor der Veränderung. Robinsons unruhiges Weiterziehen und sein beständiger Drang, neue Unternehmungen zu realisieren, nie dem Müßiggang zu erliegen und durch Taten ein gottgefälliges Leben zu führen, kontrastiert ganz besonders stark zu einer ganz anderen Sicht auf die Puritaner, nämlich der von Nathaniel Hawthornes The Scarlet Letter (Der scharlachrote Buchstabe). Aus dem vorwärtsdrängenden neuen Zeitalter, der Verbindung mit dem jungen Kapitalismus, wurde eine in religiösen Regeln erstarrte Ordnung, die nicht die Belohnung für ihre diesseitigen Mühen selbst erschafft, sondern dem Jenseits überlässt. Der Kampf gegen die Umstände wurde ersetzt durch ihre Anbetung. Ein Zustand, der in Reflektion auf den Robinson um so eindringlicher wird, wenn man auch den zweiten Teil gelesen hat.

 

Darum ist die dtv-Ausgaben 'Neuentdeckern' deutlich ans Herz zu legen. Nicht nur wegen der vollständigen Textfassung der ersten beiden Teile, sondern auch wegen der vielen Extras. So sind etwa Illustrationen der Ausgabe von 1726/27 verwendet worden, auch wenn nicht alle an der passenden Stelle im Text zu finden sind, ganz besonders empfehlenswert ist das bereits erwähnte Essay. Es fördert das Textverständnis ungemein und hilft auch, die vermeintliche Schwäche „Religion“ zu verstehen und als wichtigen Bestandteil zu entdecken. In einer für ein Taschenbuch ungemein ansprechenden Aufmachung erhält man eine wunderbare Ausgabe des Klassikers zu einem mehr als fairen Preis.

 

Fazit:

Die Abenteuer Robinsons in einer vollständigen Ausgabe und mit einem äußerst nützlichen Essay bieten nicht nur jede Menge Lesespaß, sondern auch die Chance einen Autor zu entdecken, der deutlich mehr zu sagen hatte, als wir gemeinhin mit seinem Namen verbinden.

Daniel Defoe ist jede Erkundung wert.

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Buch:

Robinson Crusoe - Erster und zweiter Band

Original: The Life an Strange Surprising Adventures of Robinson Crusoe of York, Mariner, 1719

Autor: Daniel Defoe

Übersetzer: Franz Riederer

DTV, 1. Mai 2010

Nachwort: Hans-Rüdiger Schwab

Illustrationen der Ausgabe von 1726/27

Taschenbuch, 688 Seiten

 

ISBN-10: 3423138815

ISBN-13: 978-3423138819

 

Erhältlich bei: Amazon


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Erstellt: 06.10.2010, zuletzt aktualisiert: 21.04.2024 14:35, 11063