Shikasta (Autorin: Doris Lessing, Werke in Einzelausgaben, Band 7)
 
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Shikasta von Doris Lessing

Reihe: Werke in Einzelausgaben Band 7

 

Canopus im Argos: Archive - Betr: Kolonisierter Planet 5 - Shikasta - Persönliche, psychologische und historische Dokumente zum Besuch von JOHOR (George Sherban) - Abgesandter (Grad 9) - 87. der Periode der Letzten Tage

 

Rezension von Ralf Steinberg

 

Verlagsinfo:

Mit »Shikasta« beginnt Doris Lessings epochemachender Romanzyklus »Canopus im Argos: Archive«, der zwischen 1979 und 1983 entstand. Canopus im Sternbild Argos ist das Herrschaftszentrum eines unermesslichen Sternenreichs und der Sitz einer wohlmeinenden Intelligenz, die ihr Imperium gewaltfrei steuert. Auf dem Planeten Rohanda sind durch Experimente der Canopäer Menschen entstanden, die sich vielversprechend entwickeln. Doch als der Planet unter den Einfluss einer böswilligen Macht gerät, die mit Canopus im Streit liegt, werden die Canopäer verdrängt: Aus Rohanda wird Shikasta, aus dem »blühenden« Planeten wird ein »zerstörter«. Die Menschheit steuert auf ihre Auslöschung zu.

 

Rezension:

Im Vorwort verteidigt Doris Lessing leidenschaftlich die Science Fiction auch und obwohl sie ihre Canopus im Argos: Archive davon abgrenzend als Space Fiction bezeichnet. Diese Unterscheidung ist ihr wichtig, da sie wenig Wert auf eine plausible technische Zukunftsvision legt, vielmehr nutzt sie die außerirdische Perspektive um bei ihren Untersuchungen zum Zustand der Menschheit eine religiöse Note zu vermeiden. Sie will keine neue Schöpfungsgeschichte schreiben, obwohl sie im ersten Teil starken Bezug darauf nimmt.

 

Im Zentrum der Handlung steht ein Planet, der zunächst als blühender Planet Rohanda ideale Vorraussetzungen liefert, um dem idealisierten Sternenreich Canopus als Boden zu dienen für die Weiterentwicklung zweier Rassen, den Ureinwohnern und den Riesen, die als Lehrer der Eingeborenen fungieren und dabei selbst neue Stufen der Evolution erreichen sollen.

Der Abgesandte Johor berichtet davon und wird wieder nach Rohanda geschickt, als der Planet längst durch das Wirken feindlicher Kräfte von der Substanz des Wir Gefühls (SUWG) abgeschnitten ist, einer Art Aura, die aus dem Netzwerk der Lebewesen selbst entsteht und zur idealen Lebensweise Canopus führt.

 

Doris Lessing interessierte sich stark für den Sufismus, zu dessen Zielen es auch gehört, das Ego abzuschaffen um dem Göttlichen näher zu kommen. Der erste Teil des Buches wandelt daher auf den Pfaden der Schöpfungsgeschichte und deutet die religiösen Geschichten um, so dass sie in den außerirdischen Kontext passen. Aber entgegen dem wissenschaftlichen Grundkonsens der Evolution beschreibt Lessing die Menschheitsgeschichte als beständigen Prozess der Degeneration. Durch den negativen Einfluss des „bösen“ Reiches Schammat, aber vor allem durch den fast völligen Wegfall des SUWG werden die gewohnten menschlichen Fehler und Schwächen immer ausgeprägter, wandeln sich Menschen und Riesen immer mehr zu bösartigen und egoistischen Zerstörern.

Diesen Wandel beschreibt Lessing durch Berichte, Anmerkungen und szenischen Beschreibungen, die Johor oder seine Auftraggeber zur Geschichte Shikastas archivierten. Der Beobachtungsstandpunkt wechselt immer wieder und auch der Duktus. Gerade die Szenen in einer Art Zwischenschicht zwischen den Wiedergeburten, Zone 6 genannt, sind surrealistische Streiflichter voller Symbole und Andeutungen.

 

Erst ab dem zweiten Teil wird die Handlung konkreter und der Erzählfluss klarer.

Die Handlung ist in der Gegenwart angekommen. Johor berichtet emotional von der verletzten Erde, wofür Shikasta steht, und offenbart mit scharfen Worten die großen aber auch kleinen Grausamkeiten der Menschen. Man spürt in den Berichten und Biografien die engagierte Autorin, die ihre Finger mahnend und anklagend in die Wunden der Zivilisation steckt. Das fehlende Wir Gefühl blitzt als Ursache immer wieder durch das Geäst der Probleme hindurch. Die Zerstörung der bekannten Welt ist ein Motiv der Postmoderne, Lessing legt die Welt bloß. Konsum, Besitz und Egoismus sind die dunklen Male im menschlichen Wesen, die es korrumpieren und der Vernichtung nahe bringen.

 

Fast hat man die Anklagen satt, wenn der dritte Teil beginnt und sich eine Lösung anzubahnen scheint.

Johor wird als Mensch wiedergeboren. Er hat sich seine Eltern ausgesucht und auch seinen Bruder Ben, der jedoch erst zu seiner Mission finden muss.

Lessing wechselt den Blickwinkel und erzählt das Leben Johors, der als Mensch Georges heißt, durch Tagebuchaufzeichnungen seiner menschlichen Schwester, Geheimdienstberichte und Briefe. Wir sind in der Zukunft angekommen. Die erste Welt verarmt, die Umwelt ist vergiftet, die Jugend findet in Armeen ihre Aufgabe, da Arbeit knapp geworden ist, die bekannte Welt löst sich tatsächlich auf, die Machtgruppen verschieben sich. Johor/George Sherban wirkt fast unscheinbar, wie und was er tut, erfahren wir nur durch die Beobachtungen der anderen, aber je intensiver wir seinen Leben beiwohnen um so dringlicher wird das Gefühl, auf einen Höhepunkt zuzustreben. In einem seltsamen Prozess gegen die weiße Rasse arbeitet Lessing ganz nebenbei eine Gefahr für die Zukunft heraus, die 35 Jahre nach der Niederschrift Kontoren annimmt. Aus Ausgebeuteten werden Ausbeuter. Dasselbe Spiel nur andersherum.

 

Doch die Autorin verzichtet auf eine Dystopie, sie will, dass die Menschen lernen, verstehen. Zueinander finden.

Als ob sie riefe: Sucht das Wir Gefühl. Das ist die Stärke, die Kraft, die etwas besseres entstehen lässt. So wird ihre Parabel optimistisch, trotz aller Kritik und Demaskierung.

 

Ganz sicher ist „Shikasta“ keine gewöhnliche SF, hier muss man der Autorin Recht geben. „Shikasta“ ist eine moralische Bastion, ein Lebenswerk an Weltsicht und -betrachtung. Lessing selbst bezeichnete den Canopus-Zyklus als ihr wichtigstes Werk – nach der Lektüre von „Shikasta“ begreift man auch, warum.

 

Dem Band beigefügt ist ein Nachwort von Barbara Christ, die fundiert Roman und Zyklus in das Werk Lessings einordnet und einige Details näher beleuchtet.

 

Wie die gesamte Werksausgabe ist auch die Gestaltung von Band 7 schlicht gehalten, fast trostlos, dass auch ja nichts vom ernsten Inhalt ablenke.

 

Fazit:

Doris Lessing bekam ihren Nobelpreis nicht für ihre phantastischen Werke, obwohl sie den Zyklus um das Sternenreich Canopus als ihr wichtigstes Werk bezeichnete. Aus phantastischer Sicht jedoch bietet das erste Buch „Shikasta“ eine reiche Gedankenwelt, eingebettet in das schriftstellerische Credo einer aufmerksamen Autorin, der etwas an der Zukunft liegt. Ihre Vision ist Mahnung und Handbuch zugleich.

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Buch

Shikasta

Canopus im Argos: Archive - Betr: Kolonisierter Planet 5 - Shikasta - Persönliche, psychologische und historische Dokumente zum Besuch von JOHOR (George Sherban) - Abgesandter (Grad 9) - 87. der Periode der Letzten Tage

Original: Canopus in Argos: Archives. Re: Colonised Planet 5, Shikasta, 1979

Reihe: Doris Lessing Werkauswahl Band 7

Autorin: Doris Lessing

Übersetzerin: Helga Pfetsch

Hoffmann und Campe, Februar 2009

Gebunden, 528 Seiten

Nachwort: Barbara Christ

 

ISBN-10: 3455400655

ISBN-13: 978-3455400656

 

Erhältlich bei: Amazon


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Erstellt: 22.01.2010, zuletzt aktualisiert: 18.02.2024 09:28, 9922