von Karin Reddemann
Schauer aus der Oberliga: The Others ist ein Mystery- und Psychothriller aus dem Jahr 2001 mit visuellen Anleihen an die große Schwarz-Weiß-Horror-Film-Aera der 40er-Jahre. <em<Alejandro Amenábar</em> zeigt großes Kino: Düster, unheimlich, mit schleichendem Schock und einer fabelhaften Nicole Kidman.
Krasse Idee, Klasse Story. Ein wirklich guter Romanautor aus der Ecke, in der das Kerzenlicht verdächtig flackert, hätte aus dem Stoff ein richtig gutes Buch gemacht. Dann wäre der Film gedreht worden. Exakt so, wie wir ihn kennen. Diesen phantastisch guten Film »The Others«. Erst lesen, dann gucken, dann rundum satt und fürchterlich aufgewühlt und trotzdem großartig zufrieden sein, so wäre es perfekt gewesen. Regisseur Alejandro Amenábar war aber schneller. Er hatte die Grundidee, tatsächlich erkennbar erst beim grandiosen Gänsehaut-Finale, schrieb das Drehbuch, komponierte die Musik, setzte auf künstlerischen Freigang im Dämmerlicht und die Urangst vor der Dunkelheit, kreierte Großes und sagt(e) bescheiden:
»Es gibt weder Helden noch Bösewichte. Nur Menschen, die versuchen, eine Bedeutung in den Dingen zu finden, die ihnen widerfahren.«
Hat alles bestens funktioniert. »The Others« mit der bleichen, kühlen Schönheit Nicole Kidman in der Hauptrolle ist ein absolut stimmiger Gruselschocker, der leise Klänge langsam und düster durch die Nerven jagt, bis der Trommelwirbel einsetzt. Famos finstere Töne sind das, herrlich edel und fürchterlich echt. Genial durchdacht, das Ganze: Der Zuschauer wandert mit stetig steigender Erregung und Erwartung durch die Geschichte, die einsame Gegend, das alte Anwesen, die düstere Atmosphäre, die merkwürdigen Akteure werden ihm vertrauter, er glaubt, zu verstehen, und steht am Ende vor einer Erkenntnis, die ihn wie ein plötzlicher Regenguss hautnah und eiskalt erwischt.
»Keine Messer, keine Schlitz-Szenen, keine dunklen, vermummten Killer, allein die Musik ist klassisch spannungsfördernd, um nicht zu sagen spannungsheischend eingesetzt.«
Wolfgang Huang, filmspiegel.de
Schauplatz des Films, der hauptsächlich in Kantabrien, Madrid und auf der Kanalinsel Jersey gedreht wurde, ist ein imposantes altes Gemäuer, das von einem riesigen, üppig bewachsenen Grundstück umgeben ist. An diesem irritierend schönen und doch gänzlich unheimlichen Ort bleibt der Zuschauer ausnahmslos bis zum verblüffenden Ende Gast, kurzweilige Ausflüge, die von der geheimnisvollen Stätte mit etwas netter Idylle vielleicht mal ablenken könnten, gibt es nicht. Ein Picknick im Grünen bei Sonnenschein und bester Laune steht nicht im Drehbuch, hier herrschen Strenge und Konzentration vor, Traurigkeit, Sorge, Furcht, Zweifel und Angst.
Alles erstklassig inszeniert und herüber geschickt. Die Resonanz war dementsprechend: »The Others« spielte bei vergleichsweise bescheidenen 17 Millonen US-Dollar an Produktionskosten weltweit in den Kinos rund 210 Millionen US-Dollar ein, erhielt etliche Auszeichnungen, allein acht Goyas und den Saturn Award in drei Kategorien, darunter »Bester Horrorfilm«. Lobende Worte für den spanischen Regisseur, der 1997 mit Abre los Ojos (Virtual Nightmare – Open your Eyes: Remake Vanilla Sky mit Tom Cruise, 2001) bereits die Reise über den großen Teich mit Ziel Film-Olymp erfolgreich anvisiert hatte, fanden viele, die notorischen Nörgler, die nicht anders können, blieben herrlich ruhig.
So schrieb Manfred Müller 2001 im Spiegel:
»Alejandro Amenábar hält eindrucksvoll Einzug in Hollywood. Mit seinem subtilen Gruselfilm »The Others« trieb er seine Hauptdarstellerin Nicole Kidman zu Höchstleistungen an und schuf einen Genreklassiker, der ohne grelle Effekte auskommt und auf die Phantasie des Zuschauers setzt.«
Zur Story sei Wesentliches gesagt, ohne zu verraten, was man vielleicht eh’ längst weiß, aber gern mal wieder im von finsteren Sinnen beseelten Kopf hätte: Ende des Zweiten Weltkriegs, Kanalinsel Jersey: Grace lebt mit ihren Kindern Anne und Nicholas in völliger Abgeschiedenheit in einem riesigen Landhaus und hofft auf die Rückkehr ihres Ehemanns Charles, der als Soldat für England gekämpft hat. Personal ist zwar vorhanden, dieses verlässt Grace aber ohne Erklärung. Sie findet unverhofft Ersatz in der Haushälterin Mrs. Mills, dem Gärtner Mr. Tuttle und der stumme Dienstbotin Lydia. Die drei erhalten konkrete Anweisungen: Türen immer verschließen, Vorhänge stets zugezogen halten, um die Kinder zu schützen, die (so die Mutter) an einer Lichtallergie leiden. So weit geklärt, das Unheil nimmt seinen Lauf, es wird bedrohlich, es wird wirklich richtig spannend.
Da sind überall unerklärliche Geräusche, Grabsteine, die Wahres raunen, die kleine Tochter, die von einem fremden Jungen und einer seltsamen alten Frau erzählt, da ist eine verstörte Grace, die ein Foto-Album mit Bildern findet, die sie (völlig zu Recht) erschrecken, die durch den Nebel irrt, um den Pfarrer aufzusuchen und stattdessen auf Charles trifft, der sie ins Haus begleitet, mit dem sie streitet, mit dem sie schläft, der die Nacht bei ihr bleibt, einzig, um am nächsten Morgen wieder spurlos zu verschwinden. Wie eine Spukgestalt. Wie ihre Tochter, die plötzlich als völlig andere, schreckliche Person vor ihr steht. Wie eben all die Geister, Untoten, Seelen, die Zurückgelassenen, Wiedergekommenen, die Heimatsuchenden in Geschichten wie »The Others« es zu tun pflegen. Weil das nur so funktioniert, wenn auf eine Art gefesselt werden soll, die mächtig Eindruck hinterlässt. Nicht mehr, nicht weniger.
Hinzu kommt dieser herrlich angestaubte Stil, da werden beste Erinnerungen an Filme wie Hitchcocks berühmten Nervenkitzler Rebecca wach. Kurz und präzise formuliert ist »The Others« ein »… an klassischen Vorgaben orientierter düsterer Thriller, dessen vermeintlich vorhersehbare Geschichte in dem Augenblick umschlägt, in dem man glaubt, alles begriffen zu haben.« (Lexikon des Internationalen Films). Philipp Bühler in Die Tageszeitung formuliert diesem einen Wahnsinns-Augenblick im antiquiert scheinenden Ambiente recht salopp, haut aber hin:
»Natürlich ist es vor allem das nostalgische Flair, das »The Others« von neueren Mystery-Thrillern wie Sixth Sense abhebt. Viktorianische Kommoden sind einfach behaglicher als ausflippende Kühlschränke und Fernsehgeräte.«
Und weil die Kommoden sich allmählich beruhigen, kocht Mrs. Mills irgendwann, vielleicht im Morgengrauen, vielleicht in der Dämmerung oder typisch um Mitternacht allen »eine gute Tasse Tee« und nickt ihnen zu, während sie lächelnd im Chor flüstern: »Dieses Haus gehört uns.«
Und alles ist gut. Könnte so sein. Wäre echt schön. Könnte auch anders sein. Wäre echt gruselig. Oder beides. Immer gut.
Nach oben